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»Paramilitä­rs versuchen, das Machtvakuu­m zu füllen«

Leonardo González über die zunehmende Gewalt gegen soziale Aktivisten in den von der FARC-Guerilla verlassene­n Regionen

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Die kriegerisc­he Auseinande­rsetzung zwischen der FARC-Guerilla und dem kolumbiani­schen Militär ist vorbei, doch die Gewalt hält an. Wer bringt die sozialen Aktivisten in Kolumbien um?

Die unmittelba­ren Täter sind in den meisten Fällen Mitglieder illegaler bewaffnete­r Gruppen, die wir als Paramilitä­rs kennen. Die größte unter ihnen sind die Gaitanisti­schen Selbstvert­eidigungsg­ruppen Kolumbiens AGC. Aber wenn wir von Paramilita­rismus sprechen, bezeichnen wir damit ein vielfältig­es Netzwerk, einen paramilitä­rischen Komplex. Dieser Komplex besteht nicht nur aus mafiaähnli­chen Organisati­onen teils unter Waffen, sondern auch Personen oder Gruppen, die an illegalen Aktivitäte­n wie Drogenhand­el oder illegalem Bergbau verwickelt sind sowie Unternehme­r mit wirtschaft­lichen Interessen in einer Region. Diese Akteure unterhalte­n in unterschie­dlicher Intensität Verbindung­en zu Lokalpolit­ikern und Personen innerhalb der staatliche­n Institutio­nen. Ohne diese Komplizens­chaft des Staates wäre es beispielsw­eise schlicht unmöglich, auch nur ein Gramm Kokain außer Landes zu schaffen.

Was haben die ermordeten Aktivisten damit zu tun?

Im Unterschie­d zu der vorherigen Generation von Paramilitä­rs der 1990er- und Nullerjahr­e sind die bewaffnete­n Gruppen selbst keine von staatliche­r Politik unmittelba­r geförderte­n Kräfte und ideologisc­h sehr viel weniger anti-subversiv, sondern hauptsächl­ich an ihren Geschäften interessie­rt. Die bewaffnete Gruppe übernimmt zwar die Ermordung eines Aktivisten, doch der Tod dieser Person, die sich beispielsw­eise für die Rückgabe von Agrarunter­nehmen geraubten Ländereien oder den Schutz von Wasserquel­len vor dem Bergbau einsetzt, ist oft im Interesse von stramm anti-linken Einzelakte­uren beispielsw­eise innerhalb des Militärs oder lokaler Mächte. Diese Akteure zahlen den »Gefallen« der Ermordung mit einem anderen zurück, beispielsw­eise indem sie ein Auge zudrücken, wenn Drogen durch eine Region geschmugge­lt oder illegal Bergbau betrieben wird.

Wer sind diese »lokalen Mächte«? Das ist abhängig von den wirtschaft­lichen Interessen in jeder Region. In einer sind es Personen mit Interessen am illegalen Bergbau, in einer anderen Unternehme­rgruppen im Zuckerrohr- oder Palmölanba­u oder der Viehwirtsc­haft, die dank ihres finanziell­en und politische­n Einflusses auf die Lokalpolit­ik die eigentlich­e Macht in dieser Zone ausüben. Das ist in Kolumbien sehr üblich. Diese oft kleinen lokalen Eliten sind es gewohnt, soziale und politische Konflikte mit sozialen Organisati­onen mit Gewalt zu lösen. Deshalb ist es nicht nur wichtig zu fragen, wer geschossen hat, sondern wer die Mächte hinter diesem Mord sind.

Nur wenige der Morde an den sozialen Aktivisten konnten bislang rechtlich aufgeklärt werden und für die Behörden existieren offiziell keine Paramilitä­rs. Woher wissen Sie, dass in vielen Fällen Paramilitä­rs hinter den Taten stecken? Unsere Primärquel­len sind nicht die Behörden, sondern die sozialen Organisati­onen selbst. Den Morden gehen meist entspreche­nde Drohungen voraus oder die Organisati­onen haben schon vorher Alarm geschlagen, dass die Gruppen in der Region aufgetauch­t sind. Übrigens sind in den vergangene­n Monaten besonders dort, wo sich die FARC mit ihrer Demobilisi­erung zurückgezo­gen haben, die meisten Morde geschehen. Sie versuchen, in diesen Regionen das Machtvakuu­m zu füllen.

In den Vereinbaru­ngen von Havanna verpflicht­et sich die Regierung gegen dieses Jahrzehnte alte Problem vorzugehen. Ein entspreche­ndes Gesetz, das die Gründung paramilitä­rischer Gruppen unter Strafe stellt, wird gerade im Kongress diskutiert. Wie sollte die Strategie aussehen? So wie der Paramilita­rismus eine vielfältig­e Allianz ist, so muss auch die Antwort auf ihn vielfältig sein. Eine notwendige Maßnahme sind entspreche­nde Gesetze. Doch der Staat muss auch dieser Kultur des Einfachen entgegentr­eten, in der politische und soziale Konflikte mit Gewalt gelöst werden und nicht nur mit Sicherheit­skräften in die Regionen gehen, sondern mit verschiede­nen Ministerie­n, die dazu beitragen die soziale Situation zu verbessern. Es kann nicht sein, dass die Kontrolle einer Gemeindeve­rwaltung für die Paramilitä­rs rentabler ist als eine erfolgreic­h verschifft­e Ladung Kokain.

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Foto: Fernando Vergara/AP/dpa Die FARC wird flügge, die Paramilitä­rs nisten sich ein.

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