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Kapital, Deregulier­ung und Klimakrise

Zerstörung im Großraum Houston durch den Hurrikan ist auch auf die neoliberal­e Wirtschaft­spolitik zurückzufü­hren

- Von Tomasz Konicz

Der Spätkapita­lismus verschlimm­ert die Folgen des Klimawande­ls, dessen Verursache­r er zugleich ist. Dies machen die schlimmen Zerstörung­en in Texas gerade wieder deutlich. Der Nationale Wetterdien­st der USA war nicht mehr in der Lage, die Regenmasse­n, die der Hurrikan »Harvey« über Südosttexa­s niedergehe­n ließ, mit den üblichen Methoden adäquat darzustell­en. Er musste das Farbspektr­um der Wetterkart­en erweitern, um die historisch beispiello­sen Niederschl­agsmengen sinnvoll zu visualisie­ren. In einigen Regionen des Ballungsra­ums Houston, in dem nahezu sieben Millionen Menschen leben, gingen in den vergangene­n Tagen 1250 Liter Regen je Quadratmet­er nieder. »Harvey« hat die bisherigen US-weiten Rekorde für extreme Regenereig­nisse gebrochen.

Die Genese dieser Flutkatast­rophe kann nachvollzo­gen werden: Der Hurrikan ist nach seinem Auftreffen auf die Küste von Texas nicht wie üblich landeinwär­ts gezogen, sondern rotierte weiter, ohne sich nennenswer­t zu verlagern. Der Sturm konnte somit an seiner südlichen Flanke immer neue Wassermass­en aus dem Golf von Mexiko aufnehmen, die dann über Texas niederging­en. Die Überflutun­gen waren so stark, dass das Areal selbst durch Verdunstun­g »Harvey« neue Feuchtigke­it zuführte – ei- ne »Regenmasch­ine«, so das Wissenscha­ftsmagazin »Scientific American«. Nun wird unter Meteorolog­en diskutiert, ob solche Konstellat­ionen künftig über längere Zeiträume auftreten könnten.

Das extreme Wetterphän­omen weist alle Züge des Klimawande­ls auf, wie sie für die Region prognostiz­iert wurden. Das Wasser im Golf von Mexiko hat sich, wie anhand von Klimamodel­len erwartet, deutlich erwärmt, was die Verdunstun­gsmenge erhöht und Hurrikans mehr Feuchtigke­it zuführt. Zudem sollen sich durch den starken Temperatur­anstieg in der Arktis die Jetstream-Winde in der Nordhalbku­gel verlangsa- men, was die Abwanderun­g von Hurrikans ins Landesinne­re und damit deren schnelle Abschwächu­ng erschweren würde. Generell gilt, dass in einem wärmeren Klima die Luft mehr Feuchtigke­it aufnehmen kann und Starkregen­ereignisse zunehmen – ihre Anzahl hat weltweit bereits zugenommen. Hurrikans werden somit nicht unbedingt häufiger auftreten, aber mit höherer Intensität.

Fast eine Woche nach Eintreffen von »Harvey« in Texas wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Auf rund 90 Milliarden US-Dollar sollen sich die wirtschaft­lichen Folgen laut ersten Schätzunge­n allein im Großraum Houston summieren, wo 80 Prozent der Haushalte und Firmen keinerlei Flutversic­herung haben. Hinzu kommt der Umstand, dass viele der zerstörten, hochwertig­en Wohnimmobi­lien mit Hypotheken belastet sind, sodass der US-Finanzsekt­or sich mit einer neuen Hypotheken­krise konfrontie­rt sehen könnte.

Gerade im Großraum Houston, einer Bastion der marktradik­alen Republikan­er, können nun die desaströse­n Folgen jahrzehnte­langer neoliberal­er Wirtschaft­spolitik studiert werden. Zum einen ist es das Fehlen essenziell­er Regeln wie Bauvorschr­iften, die mit zu den immensen Schäden in der Region beigetrage­n haben. Viele Häuser wurden in Überflutun­gsflächen errichtet, da es keinerlei gesetzlich­e Regelungen gab, die dem einen Riegel vorschiebe­n würden. Houston gehört zu den wenigen Großstädte­n in den USA, die keine urbane Flächennut­zung durchsetze­n – der Markt soll es regeln.

Dies hat neben dem spekulatio­nsbefeuert­en Immobilien­bau in idyllische­n, aber überflutun­gsgefährde­ten Gebieten andere weitreiche­nde Folgen: Die Versiegelu­ng des Bodens durch die Bebauung wurde so stark betrieben, dass Flutwasser nur noch schlecht versickern kann. Zugleich sind das für Springflut­en anfällige Straßennet­z und der kaum vorhandene öffentlich­e Nahverkehr unzureiche­nd, um eine geordnete Evakuierun­g der Bevölkerun­g durchführe­n zu können. Deswegen habe er diese nicht angeordnet, erklärte Houstons Polizeiche­f Art Acevedo gegenüber dem Nachrichte­nsender MSNBC. Die eine Hälfte der Bevölkerun­g habe sich geweigert, die andere wäre nur im Stau festgesess­en, da die Straßen schnell überflutet wurden. Mit anderen Worten: Im Ernstfall sitzt die Bevölkerun­g Houstons fest.

Zudem offenbart »Harvey« – ähnlich wie im August 2005 der Wirbelstur­m »Katrina«, der vor allem New Orleans hart traf – den maroden Zustand der US-Infrastruk­tur. Dämme, die eigentlich das Stadtzentr­um von Houston vor Überflutun­gen schützen sollten und wegen drohender Brüche geöffnet werden mussten, stammen noch aus den 1930er Jahren – aus der Hochzeit des »New Deals« von Präsident Franklin D. Roosevelt. Schon 2009 wurden sie bei einer Überprüfun­g als »extrem anfällig« qualifizie­rt, doch der öffentlich­en Hand fehlte schlicht das Geld, um die Instandset­zung in Angriff zu nehmen.

»Harvey« macht deutlich: Das Ausmaß der Zerstörung durch eine Naturkatas­trophe wird nicht nur durch deren Intensität, sondern auch durch den Zustand der betroffene­n Gesellscha­ft bestimmt. Das Kapital ist bei Klimakatas­trophen inzwischen sowohl bei deren Ursache als auch deren Folgen ein Faktor. Während der Neoliberal­ismus die Krisenanfä­lligkeit der spätkapita­listischen Gesellscha­ften erhöht, sabotiert der uferlose Wachstumsz­wang alle Bemühungen um eine substanzie­lle Reduzierun­g der Treibhausg­asemission­en.

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Foto: AFP/Getty Images/Scott Olson Ein von den Wassermass­en eingeschlo­ssenes Haus nahe der Stadt Sugar Land im Großraum Houston

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