nd.DerTag

Der intellektu­ell verkümmert­e Rest

Alexander Gauland und der Abstieg der deutschen Konservati­ven

- Von Jürgen Amendt

Es gab einmal einen klugen Konservati­ven, der schrieb solche Sätze: »Historisch­e Erinnerung ist kein nachträgli­ch gesäuberte­s und nach heutigen Maßstäben politisch korrekt zugerichte­tes Gedenken à la Walhalla, sondern es soll an Menschen mit ihren Irrtümern und Fehlern erinnern. Wir erinnern uns ihrer nicht deshalb, weil sie nie gefehlt hätten, sondern weil das Ganze, die historisch­e Bilanz erinnerung­swürdig ist. Und da bleiben eben Reformatio­n und Bibelübers­etzung bei Martin Luther, das ›Kommunisti­sche Manifest‹ und ›Das Kapital‹ bei Karl Marx, die Reichseini­gung bei Bismarck und Rapallo bei Rathenau. Sie lassen uns Irrtümer wie Bismarcks Sozialiste­ngesetz oder Luthers Bauernbesc­himpfung zwar nicht übersehen, aber eben doch vergeben. Schließlic­h dürfte es auch schwerfall­en, deutsche Geschichte ohne Luther und Marx, ohne Bismarck und Rathenau zu erinnern.«

Besagtes Zitat stammt aus einer Kolumne, die im Berliner »Tagesspieg­el« am 1. Mai 2011 erschien. Anlass für den Text war die Debatte über den Historiker Heinrich von Treischke (1834 – 1896), der in Heidelberg lehrte und lebte. Nach Treischke war in der Stadt am Neckar eine Straße benannt. 2011 nun beschloss der zuständige Gemeindera­t die Umbenennun­g dieser Straße. Der Grund ist wohlbekann­t: Treischke war Antisemit und mit seinem Urteil »Die Juden sind unser Unglück« einer der lautesten Vertreter seiner Gedankenzu­nft im wilhelmini­schen Deutschlan­d. Heute heißt der Weg im Universitä­tsviertel Goldschmid­tstraße, benannt nach dem Ehepaar Leontine und Victor Goldschmid­t – zwei zum Christentu­m konvertier­te Juden aus Heidelberg.

Jener kluge Konservati­ve also kritisiert­e diese Umbenennun­g in durchaus bedenkensw­erten Worten. Er wolle »keinesfall­s eine Lanze für diesen deutschnat­ionalen Geschichts­mystagogen brechen, dessen deutsche Geschichte im 19. Jahrhunder­t schon immer höchst angreifbar war«, schrieb er über Treischke. »Bloß, wo kämen wir hin, wenn wir die historisch­e Erinnerung aller entsorgen wollten, die vor Auschwitz ein paar unpassende Bemerkunge­n über Juden oder das Jüdischsei­n gemacht haben. Karl-Marx-Straßen dürfte es dann keine mehr geben, so wenig wie MartinLuth­er-Straßen. Auch Bismarck und Thomas Mann hätten aus unseren Stadtbilde­rn zu verschwind­en. Und selbst der ermordete Jude und republikan­ische Reichsauße­nminister Walther Rathenau müsste sofort entsorgt werden. Sein ›Höre Israel‹ war selbst dem gewohnheit­smäßigen bürgerlich­en Salonantis­emitismus des Kaiserreic­hes zu viel.«

Man teilte als Linker damals die Meinung des Autors des zitierten Textes in seinen Kolumnen meist nicht, man konnte aber innerlich darüber mit ihm im demokratis­chen Diskurs streiten. Dass das heute nicht mehr möglich ist, würde der Betreffend­e vermutlich damit erklären, dass die Politisch-Korrekten mittlerwei­le die Oberhand im Land gewonnen hätten, dass überall das Regiment der politische­n Korrekthei­t herrsche und das Konservati­ve aus der Öffentlich­keit verdrängt worden sei. Als Begründung dient ihm unter anderem die Tilgung von Wörtern wie »Neger« aus Kinderbüch­ern, die in der Tat mit einem Furor vollzogen wurde, der in seiner Unerbittli­chkeit jeglichen, auch noch so vorsichtig und leise vorgetrage­nen Einwand mit Gebrüll niederdrüc­kte; hier kann man diesem einstigen Konservati­ven ein gewisses gefühlsmäß­iges Verständni­s entgegenbr­ingen.

Heute empfiehlt dieser der Integratio­nsbeauftra­gten der Bundesregi­erung, Aydan Özoguz (SPD), auf einer Wahlkampfr­ede seiner Partei folgendes: Die gebürtige Hamburgeri­n, deren Eltern aus der Türkei stammen und die seit 1989 die deutsche Staatsange­hörigkeit besitzt, solle doch einmal ins Eichsfeld kommen und ihre Behauptung wiederhole­n, es gebe keine spezifisch deutsche Kultur. Unter dem Jubel seiner Anhänger setzte er hinzu: »Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.«

Es war dies nicht die erste verbale Abkehr des heutigen AfD-Spitzenpol­itikers Alexander Gauland in den zurücklieg­enden Jahren. Am intellektu­ellen Niedergang dieses einstigen CDU-Politikers, der 40 Jahre dieser Partei angehörte, für sie in Ministerie­n und Staatskanz­leien arbeitete, der Zeitungen herausgab, als Kolumnist eben für den liberalen »Tagesspieg­el« schrieb und Bücher verfasste, die Titel trugen wie »Anleitung zum Konservati­vsein«, zeigt sich, wie rasch der Konservati­vismus in Deutschlan­d aus der Mitte verschwand und zum randständi­gen Phänomen wurde. Wie einst die Kommuniste­n und ihr Denken von der SPD Ende der 1950er Jahre mit dem Godesberge­r Programm aus der Sozialdemo­kratie getilgt wurden, haben jetzt auch die Konservati­ven keine politische Heimat mehr. Die AfD, an die sich der um Gauland herum intellektu­ell verkümmert­e Rest klammert, ist ein rechtspopu­listischer Marktschre­ierverein, ein geistiger Mülleimer, in den sich gerade der Konservati­vismus selbst entsorgt.

Konservati­ve sind in Deutschlan­d heute eine politisch heimatlose Spezies. Jene, die wie Gauland in der AfD Asyl fanden, machen dafür Angela Merkel und die Liberalisi­erung der Union verantwort­lich. Die von ihnen bemühte Lesart lautet wie folgt: Die Union habe durch ihre Orientieru­ng an den urbanen liberalen Milieus, etwa durch die Einführung der Ehe für Homosexuel­le oder der unter RotGrün eingeführt­en doppelten Staatsbürg­erschaft, das Konservati­ve in der Partei getilgt.

Doch das ist nur der vordergrün­dige Schein der Wahrheit. Konservati­ve (und da sind die deutschen in Europa nicht allein) leiden unter dem Wertewande­l in der Gesellscha­ft, unter der von ihnen wirtschaft­lich mit losgetrete­nen Globalisie­rung, die eben nicht nur die Ware Arbeitskra­ft beliebig weltweit austauschb­ar gemacht hat, sondern auch die Lebensstil­e und Kulturen einander weltweit angleicht. Flüchtling­e aus Afrika kommen nicht in zerlumpten Kleidern und ohne die Insignien westlicher Konsumkult­ur nach Europa, sondern in AdidasSchu­hen und Nike-Shirts und haben ihre Wanderung per GPS über ihr Smartphone gesteuert.

Was die Lage für die deutschen Konservati­ven aber besonders dramatisch macht, hat ihnen dieser Tage Thomas Schmid erläutert. Der ehemalige Herausgebe­r der »Welt«-Gruppe schreibt in seinem Blog auf welt.de: »Der deutsche Konservati­smus hatte

»Der deutsche Konservati­smus hatte sich zum größten Teil dem Nationalso­zialismus mehr oder minder willig hingegeben. Diesen Makel ist er nie wieder losgeworde­n – auch weil er die Auseinande­rsetzung mit seiner Selbstkorr­umpierung zumeist beharrlich verweigert hat.«

Thomas Schmid, Ex-Herausgebe­r der »Welt«

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