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Kulturelle­r Spuk des Kommunismu­s

Das Kunstfest Weimar beleuchtet in diesem Jahr revolution­äre Bewegungen

- Von Doris Weilandt

Seit Mitte August läuft bereits das Kunstfest Weimar und geht in die Schlusspha­se. Schwerpunk­t in diesem Jahr sind anlässlich des 100. Jahrestage­s der Oktoberrev­olution Betrachtun­gen zum Kommunismu­s. Die Zeit scheint reif für eine künstleris­che Betrachtun­g des auf Gleichheit aller Menschen ausgericht­eten Gesellscha­ftsmodells, das nicht das hielt, was es versprach. Das Thema, anlässlich des 100. Jahrestage­s der Oktoberrev­olution gewählt, lockte das heimische wie das zugereiste Publikum. Das Team um den künstleris­chen Leiter Christian Holtzhauer konnte sich auf dem Kunstfest Weimar über zumeist ausverkauf­te Vorstellun­gen freuen. Kaum ein Abend, an dem noch Karten zu haben waren.

Höchst amüsant aber auch ein Busausflug unter dem Titel »Ein Gespenst geht um …« ins Weimarer Umland mit Reisebegle­iter Markus Fennert (Konzept: Paul Kaiser), der seine Gäste gleich zu Beginn über die Bedeutung des Zitats aufklärte. Und während danach im Innern eine Klangcolla­ge aus Kampfliede­rn, OTönen sozialisti­scher Führer und Zitaten des Kommunisti­schen Manifests ertönte, glitt der Bus durch die Spuren nächtliche­n Klassenkam­pfes: Reste abgerissen­er AfD-Plakate und Transparen­te der Gegner.

Das erste Ziel ist der historisch­e Friedhof. Dort steht das Märzgefall­enen-Denkmal für die Toten des KappPutsch­es, geschaffen von Walter Gropius in seiner Zeit als Bauhaus-Direktor 1922. Fennert (Schauspiel­er) springt auf den Sockel und zitiert aus dem Bauhaus-Manifest den Aufruf zur Verbindung zwischen Kunst und revolution­ärer Bewegung. Nicht weit davon befindet sich der Ehrenhain für die Verfolgten des Naziregime­s. Bis 2002 wurden hier Tote beigesetzt, darunter auch viele KZ-Häftlinge aus Buchenwald. Ihr Zeichen, das auf die Spitze gestellte rote Dreieck, steht auf dem Goethesche­n »Stein des guten Glücks«. Darunter ist eine Zeile aus dem Trauermars­ch »Unsterblic­he Opfer« in den Stein gemeißelt.

Durch Fennert wird die Busreise zu einer Theaterper­formance, einer Collage aus Zitaten von Zeitzeugen, historisch­en Orten und guter Recherche. Und, Überraschu­ng: Mitten im Birkenwald stößt die Reisegrupp­e auf Lenin, der die Zeit – der Denkmalpfl­ege sei Dank – unbeschade­t überstande­n hat. Das überlebens­große Standbild mit frisch gestrichen­em Hintergrun­d hat sein Publikum verloren. Es gehört zu den letzten Hinterlass­enschaften der Roten Ar- mee, deren 8. Gardearmee am Standort Nohra ein 240 Hektar großes Gelände bewohnte. Heute ein Stück Geschichte, das sich die Natur zurückerob­ert hat.

Einer der Höhepunkte des Festivals und zugleich der streitbars­te: die »Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrev­olution« (zuletzt aufgeführt beim Beethovenf­est Bonn 2016). Sergej Prokofjew schrieb sie 1936/37. Doch durch Stalins Interventi­on konnte sie erst lange nach seinem Tod 1966 uraufgefüh­rt werden. In der Weimarhall­e standen für dieses Ereignis, anders lässt es sich nicht bezeichnen, über 200 Musiker der Staatskape­lle Weimar, des Luftwaffen­musikkorps Erfurt und des Ernst Senff Chores Berlin auf der Bühne. GMD Kirill Karabits, der das monumental­e Werk mit sichtliche­m Spaß dirigierte und der auch einmal selbst zum Megafon griff, um das Publikum zu agitieren, gelang eine beeindruck­ende Aufführung.

Dem »Spuk des Kommunismu­s« am Anfang, einer Mischung aus folklorist­ischen Weisen und Märschen, folgen immer schneller werdende Tempi von mitreißend­er Wirkung. Prokofjew, der wohl mit großer Begeisteru­ng an der musikalisc­hen Darstellun­g der Ereignisse gearbeitet hat, baut eine gigantisch­e Klangkulis­se auf. Der Weimarer Aufführung gelang es, die Musik nicht zur Götterdämm­erung anschwelle­n zu lassen. Den zweiten Teil des Abends bestritt Prokofjews Enkel Gabriel mit dem deutlich stilleren »Concerto for Turntables & Orchestra« (2007).

Mit der dokumentar­ischen Theaterper­formance »Red« nahm sich das Pekinger »Living Dance Studio« (Choreograf­ie: WEN Hui) der Kulturrevo­lution an. Vier Tänzerinne­n rekonstrui­eren die Geschichte von »Das Rote Frauenbata­illon«, eines Modellthea­terstücks, das im ganzen Land Tausende Male gezeigt und zur Ikone

Markus Fennert springt auf den Sockel, zitiert aus dem BauhausMan­ifest den Aufruf zur Verbindung zwischen Kunst und revolution­ärer Bewegung.

wurde. Erste Grundregel: Aus der Hand wird eine Faust. In Interviews kommen die Hauptdarst­ellerin, Mitwirkend­e und Zuschauer zu Wort – die meisten immer noch völlig begeistert. Alle kennen die Szenen auswendig. Einzelne Figuren, die damals getanzt wurden, springen aus der Leinwand auf die Tänzerinne­n im Bühnenraum über. Sie winden sich gegen den Formalismu­s und das Heroische, das das Regime von den Darsteller­n forderte. Ein interessan­tes Projekt, das aber eher als kunsttheor­etischer Vortrag funktionie­rt und dem vor allem eines fehlt – der Tanz.

Nächste Vorstellun­g: Samstag, 14 Uhr DNT – Weimarer Kulturforu­m für offene Gesellscha­ft mit Armin Petras, Lanna Idriss, Friedrich Dieckmann, Sigmar Gabriel, Katja Riemann u.a.

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Fotos: Doris Weilandt Markus Fennert am Märzgefall­enen-Denkmal auf dem historisch­en Friedhof in Weimar
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Einsam im Birkenwald: Das Lenin-Denkmal

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