nd.DerTag

Sei glücklich!

- Von Paula Irmschler

»Weißt du, Dinge werden wahr, wenn man sie oft genug sagt/ Heute wird ein schöner Tag/ Komm, wir machen mal das Fenster auf, das Radio laut/ Lass frischen Wind herein und alle alten Zweifel heraus/ Wenn du fest daran glaubst, dann wirst du glücklich/ Und heute gibt es Grapefruit zum Frühstück«.

Grapefruit und Lüften – das sind die Tipps gegen Traurigkei­t von Julia Engelmann, bekannt geworden als Gedichte vortragend­e Stimme der Generation Y. Die Person, die sie da anspricht, klingt allerdings nicht nur traurig. Was beschriebe­n wird, erinnert eher an Depression. Und die Tipps, die sie erteilt, klingen wie Tipps, die man depressive­n Menschen gibt, wenn man keine Ahnung von ihrer Lebensreal­ität und Krankheit hat.

Julia Engelmann und ihr »Du musst nur daran glauben«-Plädoyer reiht sich ein in eine lange Tradition von Langweiler­sprüchen, die in Krisen oft Menschen erteilt werden, und ist Symbol einer Ideologie, in der jeder seines eigenen Glückes Coach ist und es offenbar keine Umstände oder Verhältnis­se gibt. Am eigenen Elend schuld kann nur man selbst sein, und Gutfühlen ist etwas, das man sich erarbeiten und kaufen kann. Es ist nicht nur ein moralische­r Kompass, sondern auch ein konsumierb­ares Produkt, das Achtsamkei­t heißt. Yoga, Gurkenmask­e, Selbstfind­ungstrips ins Kloster, bisschen Buddhismus und die Anschaffun­g von Ratgeberli­teratur – wenn es dir trotz alldem immer noch schlecht geht: Pech.

Echtes Leid, also Krankheite­n, existenzie­lle Bedrohunge­n, Kriege, repressive Systeme – all das sind abstreifba­re Einschränk­ungen, derer man sich entledigen kann – wenn man wegguckt und wenn sie einen nicht betreffen. Am wichtigste­n ist nicht etwa, die Welt zu einer besseren zu machen, sondern sich. Die Hippies der 60er waren wenigstens ein bisschen altruistis­ch drauf und zumindest politisch angehaucht – die heutigen drehen sich lieber um sich und ihre herbeigesc­hwurbelten Bedürfniss­e, um die eigene Mitte, ihren Weg zum Glück, die ständige Pflege ihres Körpers und Geistes. Das nennt man Privileg.

Nicht zuletzt dient die Selbstopti­mierung dem Funktionie­ren im Rädchen der Leistungsg­esellschaf­t. »Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job«, wusste schon vor über zehn Jahren Kurt Beck zu raten. Wohlgemerk­t einem Arbeitslos­en, der seinen Job als Altenpfleg­er wegen eines Bandscheib­envorfalls aufgeben musste. Wie gut eingericht­et ist eine Umgebung, wenn Hinderniss­e nur in einem selbst bestehen?

Während Scientolog­y vom Verfassung­sschutz beobachtet wird, kann die Glückswahl-Religion ungestraft ihre Bahnen um die eigene Achse ziehen. Ich kann meinen verdammten Weg aber nur gehen, wenn er frei ist. Doch er wird auch verbaut durch unkonstruk­tives und verharmlos­endes Geschwafel der Engelmanns. Es ist Impfgegner­schaft. Es ist Globuli. Es ist gefährlich.

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