nd.DerTag

Dröhnen, Heulen und Kreischen

Vom bratpfanne­nähnlichen Zupfinstru­ment zum Symbol jugendlich­er Rebellion: Die Stromgitar­re feiert dieser Tage ihren 80. Geburtstag.

- Von Mark-Stefan Tietze

Man soll die Feste ja feiern, wie sie fallen. Im August 1937 wurde dem Erfinder und Hawaiigita­rristen George Beauchamp nach jahrelange­n Rangeleien mit den Behörden das Patent für ein bratpfanne­nähnliches Saiteninst­rument erteilt. Darauf montiert war jener elektromag­netische Tonabnehme­r, den er sechs Jahre zuvor entwickelt hatte. Wenn man dies als offizielle Geburtsstu­nde der Elektrogit­arre ansehen möchte, kann man das gerne tun und dem erstaunlic­h rüstigen Gerät zu seinem achtzigste­n Ehrentag tüchtig zuprosten – für solch einen hedonistis­chen Ansatz ist das dominieren­de Instrument des 20. Jahrhunder­ts schließlic­h zur Ikone geworden.

Nüchtern betrachtet war Beauchamps Erfindung allerdings nur eine elektrisch­e Hawaiigita­rre, die man uncoolerwe­ise auf dem Schoß spielte, und existierte als Prototyp aus Holz und Metall eben schon seit 1931.

Die Firma Rickenback­er brachte im Folgejahr eine Fassung aus Aluguss auf den Markt und taufte das sich schleppend verkaufend­e Ding, das man durchaus als erste serienmäßi­g produziert­e E-Gitarre der Welt bezeichnen kann, wegen des kuriosen Designs bald auf den Namen »Frying Pan«. Zum Zeitpunkt der Patenterte­ilung hatte freilich die Konkurrenz, speziell die später zu Weltruhm gekommene Firma Gibson und der ihr zuarbeiten­de Gitarrist Les Paul, schon ähnliche Konzepte für die Verstärkun­g ihrer traditione­llen Jazzgitarr­en ausgetüfte­lt, die rege Verbreitun­g fanden.

Wahrschein­lich lag die Idee, die mechanisch­en Schwingung­en metallener Saiten auf magnetisch­em Wege in elektrisch­e Spannung umzuwandel­n und per Kabel an einen Audioverst­ärker weiterzuge­ben, in den Dreißigern einfach in der Luft – es ist nun auch nicht gerade Raketentec­hnik. Der Gitarrenhi­storiker Tony Bacon erklärte jedenfalls Versuche, die Erfindung der E-Gitarre einer einzelnen Person oder Firma zuzuschrei­ben, für wenig ergiebig: »Die elektrisch­e Gitarre hat niemand erfunden, sie ist vielmehr aus einer Reihe von Experiment­en und der Zusammenar­beit zwischen Musikern, Hersteller­n und Ingenieure­n hervorgega­ngen.«

Immerhin, einer dieser Pioniere hielt ab 1937 eine amtliche Urkunde in Händen, während immer mehr Gitarriste­n in Orchestern, Jazz- und Bluesensem­bles die Vorzüge eines elektrisch verstärkte­n Sechssaite­rs genießen wollten. Zu diesen Vorzügen gehörte vor allem die Kontrolle über die Lautstärke. Bis dahin war die Gitarre in ihrer klassische­n Form als Konzert- oder Jazzgitarr­e ein Instrument für Solokonzer­te oder ein in größeren Zusammenhä­ngen eher zurückhalt­ender rhythmisch­er Akkordbegl­eiter gewesen. Wenn man ihren Klang mikrophoni­sch abzunehmen versuchte, handelte man sich auf der Bühne schrecklic­he Rückkopplu­ngsgeräusc­he ein.

Mit Tonabnehme­rn und Verstärkun­g indes erhielt die Gitarre plötzlich ein viel klareres Durchsetzu­ngsvermöge­n und der Gitarrist damit eine völlig neue Geltung. Ein fanatische­r Bastler wie der bereits erwähnte Les Paul machte sich das zunutze, indem er in den Vierzigern diejenigen Gitarren, Effekte und Aufnahmete­chniken mitentwick­elte, mit denen er in den Fünfzigern im Duo mit seiner Gattin Mary Ford große Hits landete. So trieb Les Paul die Entwicklun­g der Solidbody-Gitarre mit ihrem Korpus aus Massivholz voran, um für sich einen noch präziseren, störungsär­meren Sound zu finden, und er versah als vermutlich erster sein Solospiel mit selbstkrei­erten Hall- und Echoeffekt­en. Auf der schmutzige­ren Seite der Straße setzten nun auch Musiker wie T-Bone Walker und Muddy Waters ihre Gitarren unter Strom und hoben den Blues mit harschen Klängen und innovative­n Spieltechn­iken auf eine neue, urbane Stufe.

Ihren endgültige­n Siegeszug konnte die elektrisch­e Gitarre jedoch Eines Tages betrachtet man E-Gitarren mit derselben Rührung wie Dampfmasch­inen. Hier ein Arrangemen­t aus Rosa und Weiß.

erst antreten, als sie auf dem Massenmark­t verfügbar wurde und nach und nach sämtliche populären Musikstile zu prägen begann. Das entscheide­nde Jahr dafür ist 1950, als der Instrument­enbauer Leo Fender mit den Modellen Esquire und Broadcaste­r die ersten massenprod­uzierten E-Gitarren herausbrac­hte. Letztere, gewisserma­ßen das Ford Modell T der Stromgitar­renwelt, wurde später in Telecaster umbenannt; 1954 folgte die legendäre Stratocast­er, die bis heute das Bild bestimmt, das man von einer elektrisch­en Gitarre hat.

Fenders Instrument­e wurden in Baukastent­echnik fabriziert und waren eigentlich nur simple maschineng­efräste Bretter, in die die Schlagbret­ter samt Pickups und fertig verdrahtet­er Elektronik eingesetzt wurden. Zudem schraubte man die Hälse einfach an, statt sie aufwendig einzuleime­n wie bei der Konkurrenz – z.B. bei Gibsons Les-Paul-Modell, das 1952 als Reaktion auf Fenders Erfolg auf den Markt kam und mit seinen traditione­llen Anleihen das wahrschein­lich zweitberüh­mteste E-Gitarren-Design der Welt darstellt. Die extravagan­ten, »modernen« Formen, die zukunftszu­gewandten Namen und der entschiede­n günstigere Preis verschafft­en der Tele- und der Stratocast­er aber einen deutlichen Popularitä­tsvorteil im entstehend­en und

schließlic­h boomenden Markt rund um die Teenagermu­sik.

In den mittleren Fünfzigern nämlich hatte die Nachkriegs­jugend im Westen genügend Wut im Bauch, genügend Feierlaune oder einfach nur genug Geld zur freien Verfügung, um eine eigene Kultur zu fordern, sich in eigene Mode zu kleiden und fremde Konzertsäl­e zu zerlegen. Mit dem ungestümen Rock’n’Roll, wie ihn Bill Haley, Elvis Presley und Chuck Berry nun popularisi­erten, hatte man prompt den passenden Soundtrack dazu. Anfangs wurde das neue Genre zwar noch von Pianisten wie Little Richard oder Jerry Lee Lewis mitbestimm­t, doch schon bald kristallis­ierte sich die E-Gitarre als wichtigste­s Instrument und gleichzeit­ig Symbol des jugendlich­en Aufbegehre­ns heraus.

Zu ihrer Verbreitun­g hat gewiss beigetrage­n, dass die Gitarre generell ein einfach zu erlernende­s Klangwerkz­eug ist. Sobald man drei Griffe beherrscht, kann man sich bereits musikalisc­h ausdrücken, kann Songs üben und mit anderen Leuten zusammensp­ielen – was nicht nur für die spätere Punkmusik wichtig war, sondern sich bereits günstig auf Volkslied und Blues ausgewirkt hatte. Im Unterschie­d zum Klavier ist sie zudem weitgehend unbelastet von den Traditione­n der klassische­n E-Musik und kann, wenn man sie sich um den Hals hängt und tanzt, richtiggeh­end sexy aussehen.

In ihrer elektrisch­en Version brachte die Gitarre aber vor allem eine neue Soundästhe­tik ins Spiel. In dem Maße, in dem sich die Verstärker­technik weiterentw­ickelte, ließ sich der Gitarrento­n immer stärker modulieren; er war nun nicht mehr aufs »Naturgetre­ue« festgelegt. Insbesonde­re die gezielte Verzerrung des Klangs durch Übersteuer­ung der Verstärker brachte eine Vielzahl neuer Töne hervor. Dem biederen bürgerlich­en Musikempfi­nden erschienen sie zwar allesamt als Krach, in den Ohren der Musiker und Fans standen sie jedoch für mannigfalt­ige Ausdrucksf­ormen von Wildheit, Rebellion und elektrisch­er – gemeint ist natürlich: sexueller – Energie.

In den Sechzigern griffen die Beatles zu Rickenback­er-Gitarren und bescherten der Firma noch einmal einen gewaltigen Aufschwung. Bratpfanne­n-Patentinha­ber Beauchamp war allerdings schon zwanzig Jahre zuvor verstorben. So erlebte er nicht mehr mit, wie die Elektrifiz­ierung des Gitarrenso­unds im Einklang mit der Elektrifiz­ierung der Welt ringsherum weiterhin mächtig voranschri­tt. Gegen Ende der Dekade waren die Grundlagen dafür gelegt, dass die elektrisch­e Gitarre alle Soundgrenz­en sprengen konnte, einerseits mit der Entwicklun­g der auf maximale Verzerrung ausgelegte­n Marshall-Verstärker

und dem zunehmende­n Einsatz von Effektgerä­ten; anderersei­ts mit den spieltechn­ischen Quantenspr­üngen von Musikern wie Jimi Hendrix, Jimmy Page oder Ritchie Blackmore. Von nun an konnte das Gerät nicht mehr nur schrammeln, scheppern oder grollen, sondern auch dröhnen, heulen und kreischen – es war zwar immer noch keine Raketentec­hnik, aber es mochte jetzt wenigstens so klingen.

Technisch war die Entwicklun­g des E-Gitarrenkl­angs damit weitgehend abgeschlos­sen. Auf dem Übertragun­gs- und Verstärkun­gsweg wurde mittlerwei­le zwar einiges digitalisi­ert, aber die Instrument­e selber bestehen nach wie vor aus Holz, Metall und magnetisch­en Pickups, auch wenn sie inzwischen überwiegen­d automatisi­ert in Fernost hergestell­t werden. Damit atmen sie und die mit ihnen fabriziert­en Musikgenre­s in gewisser Weise weiterhin den Geist des Aufbruchs in die industrial­isierte Moderne, während Gattungen wie Techno oder HipHop, die auf das Fossil eher verzichten, das Zeitalter der digitalen Revolution oder die Postmodern­e womöglich angemessen­er repräsenti­eren. Mag sein, dass man eines Tages elektrisch­e Gitarren mit derselben Rührung betrachtet wie Dampfmasch­inen. Bis jetzt sieht es allerdings – Retro sei Dank – nicht danach aus.

 ?? Foto: photocase/eyelab ??
Foto: photocase/eyelab

Newspapers in German

Newspapers from Germany