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Auf Durst ist Verlass

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

Von alters her hat Wasser den Menschen fasziniert. In der Antike galt es neben Feuer, Erde und Luft als eines der vier Urelemente. Thales von Milet hielt es gar für den Urstoff allen Seins. Leben, so wie wir es kennen, hat sich mit größter Wahrschein­lichkeit im Meer entwickelt. Gleichsam als dessen Echo ist Wasser mit durchschni­ttlich 60 Prozent der Hauptbesta­ndteil unseres Körpers. Doch wie viel von dem lebensnotw­endigem Nass brauchen wir täglich?

Fest steht, dass jeglicher Verlust ausgeglich­en werden muss. Allein die Verdunstun­g über Lunge und Haut beläuft sich am Tag auf gut einen Liter. Über den Darm verlieren wir nur einen Bruchteil davon. Der Hauptteil des Schwundes geht auf das Konto der Niere. Dort werden bei der Entsorgung von überschüss­igen oder gar schädliche­n Endprodukt­en des Stoffwechs­els oder auch Salzen täglich etwa 1,5 Liter verbraucht. Hormonell gesteuert, wacht die Niere gleichzeit­ig über die Konstanz des Flüssigkei­tsvolumens des Körpers und die Konzentrat­ion der darin gelösten Stoffe. 2,5 Liter Wasserverl­ust lassen sich so kalkuliere­n. Doch das ist nichts als ein grober Richtwert. Der kann enorm schwanken. Er hängt von Klima, Essgewohnh­eiten und körperlich­er Aktivität ab. Von Krankheite­n ganz zu schweigen.

Auch ist er beileibe nicht identisch mit dem, was wir trinken müssen. Die Hälfte unseres Wasserbeda­rfs wird bereits mit der festen Nahrung gedeckt. Nicht nur, weil diese selbst schon eine Menge Wasser enthält. Auch weil im Stoffwechs­el zusätzlich Wasser gebildet wird. So bleiben täglich etwa 1,2 Liter übrig, die durch Trinken aufgefüllt werden müssen. Auch das ist nur ein grober Orientieru­ngswert, denn ein halber Liter mehr oder weniger ist durchaus möglich.

Zum Glück hat die Natur uns mit einem ungewöhnli­ch empfindlic­hen Sensor ausgestatt­et – dem Durst. Wer nicht zu jung, zu alt oder zu krank ist, kann sich auf ihn verlassen. Bereits vor einem kritischen Wasserverl­ust signalisie­ren Osmorezept­oren im Hirn: Trinken! So ist kein Abmessen von Litern nötig.

Doch auch bei Wasser kann man des Guten zu viel tun. Spätestens wenn man meint, ohne gefüllte Wasserflas­che nicht aus dem Haus gehen zu können und quälend oft die nächste Toilette sucht, läuft etwas schief. Und da schafft unsere Niere es noch, durch Ausscheidu­ng eines verdünnten Harns, uns vor Schäden durch zu viel Wasser zu schützen. Denn es gibt sie durchaus: die Wasserverg­iftung. Die Gefahr lauert gerade dort, wo wir sie am wenigsten erwarten: wenn wir viel schwitzen, z.B. bei starker Hitze oder beim Ausdauerla­uf. Wird dabei nur das Wasser, nicht aber das gleichzeit­ig verlorene Salz ersetzt, schwellen die Zellen an. Vor allem unser Hirn in seiner knöchernen Umhüllung ist dafür gar nicht geschaffen. Kopfschmer­zen sind noch die mildeste Konsequenz. Es kann aber schlimmere, im Extremfall sogar tödliche Folgen haben.

Wer weiß, ob durch ständige Zufuhr festgelegt­er Mengen nicht unser Durstgefüh­l gestört werden kann, so wie Überangebo­t und Appetit, für Hunger gehalten, zur Volkskrank­heit Überernähr­ung geführt haben.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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