nd.DerTag

Auf den Pott gesetzt

Pixel Toilet: grotesk bis satirisch.

- Von Felix Riedel

Der Plot von Pixel Toilet ist in wenigen Bildern erzählt und absolut realistisc­h: Beim Campen verspeist der Held einen regenbogen­farbenen Pilz, der ihn aufs Klosett treibt. Wie es der Teufel gerade will, findet er sich plötzlich auf einer Abschussra­mpe wieder, die ihn mitsamt dem Pott in ungeahnte Höhen schießt. Das Spielziel ist ebenso konsequent aus dem täglichen Leben gegriffen. Auf seiner Flugbahn kann der Pilot durch Spülen Auftrieb erzeugen und nach und nach verschiede­ne in der Luft herumflieg­ende Gegenständ­e aufsammeln. Als Belohnunge­n hagelt es eine bunte Mischung an Animatione­n aus der Internetku­ltur. Vernünftig­erweise gibt es für die zurückgele­gte Strecke eine virtuelle Währung, mit der man nach einigen Abstürzen und Neustarts stärkere Abschussvo­rrichtunge­n, nuklearbet­riebene Nitrozündu­ngen und zur Sicherheit auch einen Helm kaufen kann.

So fliegt der Pilot unter kundiger Anleitung des Spielers immer höher und weiter, bis das mysteriöse letzte Upgrade erstanden werden kann, das, soviel sei verraten, die zwanzig Minuten Spielzeit wirklich wert ist. Das physikalis­che Lehrspiel trainiert sicherlich auch räumliche Koordinati­onsfähigke­iten, indem es Schubkraft und Fall simuliert. Aber das ist dem Spiel mitsamt seinem wirklich betörenden Soundtrack dankenswer­terweise völlig egal.

Der dadaistisc­he Einfluss ist in solchen Flugsequen­zspielen (»Launchgame­s«) wie Pixel Toilet unübersehb­ar: Ein wütender Bison wird durch eine Arena katapultie­rt, ein Dummy aus dem Auto geschleude­rt, am Nordpol will ein Pinguin das Fliegen lernen und in New York ein Papierflie­ger um die Welt starten. Immer sind die erwerbbare­n Upgrades grotesk, schiere Zahl und Absurdität der sammelbare­n Gegenständ­e setzen das Belohnungs­zentrum unter Strom. Der Flugrausch führt zwangsläuf­ig zu Absturz und Stillstand der wilden Fahrt, die allerdings durch unerwartet­e Rückpralle­lemente immer wieder hinausgezö­gert wird.

Höchst charakteri­stisch: Es gibt kein Scheitern, und Pixel Toilet wie die anderen Flugsequen­zspiele verspotten Leistung. Die virtuellen Belohnunge­n wie das Dankeschön des Unternehme­rs an die Arbeiter werden in der virtuellen Blödelei als der allerreals­te Blödsinn denunziert.

Solche Satire spricht auch ein Urteil über die generellen Möglichkei­ten der Computersp­iele, die wie alle Kulturware­n kontinuier­lich dem Stand der Produktivk­räfte angepasst wurden. Aus militärisc­hen Zielprogra­mmen und Konsolensp­ielen entwickelt­en sich in den 1990ern Computersp­iele mit ausgereift­er Grafik und bis dahin unbekannte­r Spieltiefe. Civilizati­on, Starcraft, Warcraft, Sim City und Siedler waren die Vorreiter von Aufbausimu­lationen, die meist auf das kluge Management von Rohstoffen (Gold, Erz, Kristall, Holz, Stein) hinauslief­en. Düstere Trendsette­r der Rollenspie­le und daran angelehnte­r Ego-Shooter waren Wolfenstei­n, Fallout, Doom, Quake und Duke Nukem. Kuriosität­en entstanden vor allem in Point-and-Click-Adventures wie Monkey Island und Day of the Tentacle.

Der Erfolg der Spieleschm­iede verdammte sie zur Produktion von Sequels (Fortsetzun­gen), die teilweise regelrecht von Fangemeind­en erbettelt wurden. Längst ist das branchenüb­lich: die »Wiederholu­ng des Immergleic­hen«, ein »reiner Stil«, wie ihn Adorno als Kennzeiche­n von Kulturindu­strie beschrieb.

Technologi­sch passten sich die meisten Spiele jedoch nicht dem durchschni­ttlichen Stand der Rechnerlei­stungen an; die Konsumente­n hinkten zwangsläuf­ig dem Markt hinterher. Hingegen entstanden Flashgames, die zu den Browserspi­elen gehören, gerade aus einem technologi­schen Defizit heraus (u.a. niedrige Bandbreite­n) zum Ende der 1990er Jahre. So arbeitet Adobe Flash mit Vektorgraf­iken. Das ermöglicht­e beispielsw­eise gegenüber Bitmap einen Bruchteil des Datenvolum­ens. Solche Spiele konnten nun von Einzelpers­onen oder kleinen Teams binnen Tagen oder Wochen realisiert werden. Ab 2005 begannen dann Werbeeinna­hmen bereits die Herstellun­gskosten zu tragen. So entstand eine Flut an Spielen, ein Wust an experiment­ellem Schwachsin­n, aus dem einige wenige Produktion­en mit genialen Stilen herausstac­hen.

Während die Open-World-Spiele immer realistisc­her und größer wurden, bot das klar Abgegrenzt­e der Flashgames einen scheinbar beherrschb­aren Rahmen. Doch auch vor kleinen Flashgames kann man Hunderte von Stunden verschwend­en; das Prädikat »süchtig machend« wird in der Spielindus­trie immer noch voller werbendem Stolz und nicht etwa als Warnung ausgesproc­hen.

Die in aller Regel leicht zu bewältigen­den Aufgaben bei Flashgames suggeriere­n den Schein des Erfolges, der den vom Produktion­sprozess Abgehängte­n im Alltagsleb­en fast immer unerreichb­arer ist. Da aber die meisten Inhalte noch der Arbeit nachempfun­den sind, geht ein Trend dahin, den Konsumente­n durch Einbindung in stumpfe Verwaltung­sakte zu verspotten. Solche eher fragwürdig­en Tendenzen innerhalb der Flashgames­entwicklun­g werden durch Games wie Pixel Toilet wiederum meisterhaf­t karikiert.

Pixel Toilet, Design: K. Elgazin, Code: Sobchenko, Artwork: A. Brazhnik, D. Asanafjev http://armorgames. com/play/ 13588/pixel-toilet

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Screenshot­s: armorgames.com Höchst charakteri­stisch: Es gibt kein Scheitern, und Pixel Toilet wie die anderen Flugsequen­zspiele verspotten Leistung. Die virtuellen Belohnunge­n wie das Dankeschön des Unternehme­rs an die Arbeiter werden in der virtuellen Blödelei als der...
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