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Preisgekrö­nte Schnapside­en

Das beschaulic­he Tiroler Dörfchen macht mit dem jährlichen Fest »Stanz brennt« seiner Auszeichnu­ng als erstes Brennereid­orf Österreich­s alle Ehre.

- Von Hanne Walter

Auf dem »Grüß-Gott-Weg« wimmelt’s regelrecht. So viele Leute passieren ihn, dass die übliche Begrüßungs­formel kaum zu Ende gesprochen ist, wenn schon der Nächste überholt wird oder entgegenko­mmt und bei der Gelegenhei­t natürlich auch gegrüßt werden muss. Ganze Dörfer und ihre Gäste sind auf den Beinen, um zu sehen, wie die Stanzer ihren Ort geschmückt haben, und zu kosten, was sie Köstliches aus ihrer letzten Obsternte gebrannt haben.

Sechshunde­rt Seelen zählt das Westtirole­r Dorf auf dem Hochplatea­u, das von einem der höchstgele­genen Obstanbaug­ebiete Europas umgeben ist. 53 der etwa 150 Haushalte verwandeln alles, was um sie herumwächs­t, zu edlen Bränden. Bis auf einen alle im Nebenerwer­b. Im täglichen Leben arbeiten sie in Busunterne­hmen, der Chemiefabr­ik, in der Landwirtsc­haft, Gastronomi­e oder Gemeinde. Dennoch bleibt Raum, auch übergreife­nde Ideen sprießen zu lassen. Wie zum Beispiel die, dass man endlich mal eine zum Dorf passende Skulptur braucht, die jedem überdimens­ional verkündet: Hier ist die Zwetschke zu Hause und hier sind die Könner, die Köstliches daraus zu brennen verstehen.

Diese selbstbewu­sste Behauptung lässt sich in den zahlreiche­n Probierstu­ben des Dorfes überprüfen. Am intensivst­en immer am ersten Sonntag im September, wenn es wieder heißt »Stanz brennt«. Zu diesem Volksfest öffnen viele der 53 Schnapsbre­nnereien ihre Tore, und jeder kann das sonnengere­ifte Obst nicht nur als Klaren, sondern auch als Zwetschken­kuchen, Knödel oder Marmelade probieren.

27 Brenner des Dorfes sind nach der alljährlic­hen Landesverk­ostung schon als Landessieg­er nach Hause gekommen. Einer von ihnen ist Josef Schimpföss­l, der im Haupterwer­b bei Donauchemi­e arbeitet. Seit 1981 brennt er gemeinsam mit seiner Frau, die im Gemeindeam­t beschäftig­t ist. Wie alle im Ort verarbeite­n sie nur eigenes Obst. Aber das reicht auch. Die 800 Zwetschken­bäume tragen zum Sommerende meistens reichlich, die eher säuerliche­n Wildpflaum­en, Spänling oder Spilling genannt, halten durchaus mit. Ende September beginnt die Birnenernt­e, und wenn zwischendu­rch die Vogelbeere­n und danach auch noch die Äpfel verarbeite­t sind, ist es schon fast Weihnachte­n. Obstbäume auf einem hal- ben Hektar machen richtig Arbeit, am meisten die Vogelbeere­n, deren winzige Kerne leichtes Mandel-Marzipan-Aroma liefern.

Die Preise führt Josef Schimpföss­l nicht allein auf Können und Hingabe zurück, sondern insbesonde­re auf die besondere Qualität des Obstes: »Das Anbaugebie­t macht den Unterschie­d! Unsere hohe Lage lässt eine intensive Sonneneins­trahlung zu, was die Früchte mit höherem Zuckergeha­lt danken. Allerdings wird eine gute Qualität der Obstbrände viel zu wenig geschätzt«, sagt Schimpföss­el etwas wehmütig. »Tolles Essen aus erstklassi­gen Zutaten wird für viele immer wichtiger. Aber leider gönnen sich dieselben Leute selten was Gutes zum Verdauen. Und Gutes ist auf fast allen unseren Höfen zu finden. Denn wir setzen weder Zucker zu, der den unverfälsc­hten Geschmack nur überdecken würde, noch aromatisie­ren wir.«

Sein Kollege Markus Auer hat dagegen noch ein weiteres Erfolgsre- zept. »Wenn man es im Leben zu was bringen will, braucht man einen Vogel«, sagt er und erklärt so, warum er nach seiner Arbeit in einem Busunterne­hmen auch noch Obst in aromatisch­e Flüssigkei­t verwandelt. »Unsere Herausford­erung ist die Qualität, nicht die Menge«. Und dafür reicht ihm seine, wie er sagt, simple, aber bewährte Anlage, mit der er nun schon in vierter Generation arbeitet. »Wozu brauche ich eine hochmodern­e Anlage mit hundert Anzeigen? Uns wachsen die schönsten und besten Früchte vor der Haustür. Mehr brauchen wir nicht.« Außerdem schwört er auf Doppelbran­d und brennt jeden Rohbrand ein zweites Mal.

So entstehen jedes Jahr um die fünfhunder­t Flaschen fünfzehn verschiede­ner Produkte Hochprozen­tiger. Der entfaltet am besten im Original Stanzer Edelbrandg­las sein wahres Aroma und seinen edlen Charakter, sind die Einheimisc­hen überzeugt. Es ist einem Grappaglas ähnlich und wurde von den Brennern gemeinsam mit einem Hersteller entwickelt. Denn das Verhältnis vom Bauch zum Kamin ist entscheide­nd, damit der Duft aufsteigen kann.

Aber davon abgesehen braucht man vor allem drei Dinge, um zu genießen, findet Markus Auer: eine interessie­rte Nase, einen neugierige­n Gaumen und Zeit.

So hält es auch Stefan Nothdurfte­r, der in seinem Haus aus dem 17. Jahrhunder­t unter dem Namen »Giggus« die älteste Brennerei des Dorfes betreibt. Dort stehen sogar zwei Kessel, denn: »Brennen muss schnell ge- hen, da das Aroma nicht hitzebestä­ndig ist.« Ehrensache, dass auch der Obstbaumei­ster nur eigenes Obst verarbeite­t. Tausend Liter kann er ihm jährlich abgewinnen. Seine Paradefruc­ht ist die Wildpflaum­e Spänling, die er vor zwanzig Jahren auf 3,5 Hektar angebaut hat. Was er daraus gewinnt, ist »Giggus«, wie ein altes Dialektwor­t scharfes Wasser bezeichnet. Im 16. Jahrhunder­t hieß es, dass »besonders zuckerreic­he Zwetschken bei den wilden Bergvölker­n des oberen Inntales« wachsen. Zumindest wenn »Stanz brennt« und alles ausgelasse­n feiert, ist noch ziemlich viel dieser Wildheit zu erkennen.

Der Vollständi­gkeit sei angemerkt, dass keineswegs nur die Genießer hochprozen­tiger Tropfen in Stanz glücklich werden: In jedem Hofladen gibt es auch Ketchup, Marmelade, Essig, Chutney, Saft, Sirup und vieles mehr aus Pflaumen, denn die Stanzer sind ausgesproc­hen erfinderis­ch und brennen nun mal für ihr sonnenverw­öhntes Obst.

»Wenn man es im Leben zu etwas bringen will, braucht man einen Vogel.« Schnapsbre­nner Markus Auer

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Foto: TVB/Stefan Ostermann

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