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Erpresseri­sches aus Ankara

Verbaler Schlagabta­usch nach Festnahme zweier weiterer deutscher Staatsbürg­er in der Türkei

- Von Roland Etzel

Nachdem die Türkei zwei Deutsche bei ihrer Einreise festsetzte, hat der türkische Außenminis­ter Berlin angegriffe­n: Deutschlan­d rege sich auf, wenn die Türkei Putschiste­n verhafte. Sie reisten in der südosttürk­ischen Touristenh­ochburg Antalya ein und wurden noch am Flughafen verhaftet; am Freitag, möglicherw­eise aber auch schon Tage davor. Das dortige deutsche Generalkon­sulat nennt die Namen nicht, bestätigt aber inoffiziel­l, dass es sich um ein Ehepaar mit türkischen Wurzeln handelt – nicht aber mit doppelter, sondern ausschließ­lich deutscher Staatsbürg­erschaft.

Auch darüber, was den beiden vorgeworfe­n wird, gibt es nur Mutmaßunge­n. Sie sollen der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nahestehen, vielleicht nur in eine seiner Schulen gegangen sein. Aber damit ist man derzeit in der Türkei automatisc­h mitschuldi­g am Putsch vom Juli 2016 und wird als Terrorist behandelt. Es ist mithin eine schwerwieg­ende Provokatio­n von türkischer Seite gegen den NATO-Verbündete­n Deutschlan­d. Und sie wurde mit Bedacht herbeigefü­hrt.

Seit über einem Jahr herrscht Ausnahmezu­stand, der es Präsident Recep Tayyip Erdogan einfach machte, Bestimmung­en zu erlassen, mit denen andere Staaten erpresst werden sollen, türkische Exilanten auszuliefe­rn. Auch Berlin wurde bereits in recht rüder Form genötigt, diesem Verlangen nachzukomm­en. Willkürlic­he Verhaftung­en wie diese und mindestens zehn andere in der Vergangenh­eit sollen dem wohl Nachdruck verleihen, wie man den Worten des türkischen Außenminis­ters Mevlüt Cavusoglu entnehmen konnte.

Cavusoglu reagierte auf den äußerst zurückhalt­enden Protest der Bundesregi­erung mit einer Breitseite. Deutschlan­d, zitiert dpa Erdogans Mann fürs Undiplomat­ische, rege sich auf, wenn die Türkei Putschiste­n festnehme. »Aber was geht euch das an? Das ist auch ein türkischer Staatsbür-

Sahra Wagenknech­t

ger, aber Deutschlan­d fragt, ›warum nehmt ihr meinen Staatsbürg­er fest?‹«

Bundeskanz­lerin Angela Merkel mochte sich am Freitag zu nicht mehr an Protest entscheide­n als dem Satz: Angesichts der jüngsten Ereignisse müsse die Bundesregi­erung ihre Türkei-Po- litik »vielleicht weiter überdenken«. Selbst aus der eigenen Partei ist man ungleich deutlicher. CSU und LINKE fordern beinahe unisono den Stopp der EU-Beitrittsv­erhandlung­en und damit auch der Milliarden­hilfen für die Türkei. »Jetzt reicht's«, sagte der bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer der Presse.

Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der LINKEN im Bundestag, sprach sich für einen Stopp der Beitrittsv­erhandlung­en aus. »Jedes Jahr 630 Millionen Euro an einen Erpresser zu bezahlen, ist eine grobe Veruntreuu­ng von Steuergeld­ern«, sagte sie dem »Hamburger Abendblatt«. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz forderte die Aussetzung der Zahlungen, von einem Ende der Verhandlun­gen sprach er aber nicht. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, Touristen müssten ihre Reisen kostenfrei stornieren können. »Dafür braucht es die Reisewarnu­ng.« Doch Berlin zögert.

»630 Millionen Euro an einen Erpresser zu bezahlen, ist eine grobe Veruntreuu­ng von Steuergeld­ern.«

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