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Deutschlan­d fährt auf die Seidenstra­ße ab

Chinas neue Infrastruk­tur- und Handelsini­tiative ist weit größer als das Fünf-Länder-Bündnis BRICS

- Von Hermannus Pfeiffer

Deutschlan­d und die EU sollen gemeinsame Interessen mit der Volksrepub­lik besser ausloten, fordert ein führender Think-Tank. Die deutsche Wirtschaft freut sich schon auf die Neue Seidenstra­ße. Folgsam dreht sich Präsident Xi Jinping den Pressefoto­grafen zu, als Gastgeberi­n Angela Merkel auf dem G20-Gipfel in Hamburg die Mächtigen der Welt darum bittet. Ein smartes Lächeln umspielt seine Lippen. Der Mann gilt für einen Politiker aus Asien als bemerkensw­ert offen für das Spiel mit den Medien. Und der 64-jährige nimmt dankend die Kontermögl­ichkeiten an, die ihm die protektion­istische Politik von USPräsiden­t Donald Trump bietet. Kernbotsch­aft: Wir sind für freien Handel.

So nutzte Xi den Gipfel im Juli auch, um die BRICS-Konferenz mit den anderen großen Schwellenl­ändern Brasilien, Russland, Indien und Südafrika vorzuberei­ten, die seit Sonntag in Xiamen tagt. Zwei Stichworte spulten Chinas Offizielle und Inoffiziel­le in den Hamburger Messehalle­n ständig ab: offene Volkswirts­chaft und »Beltand-Road-Initiative«. Bei letzterer geht es um den Aufbau eines interkonti­nentalen Infrastruk­turnetzes zwischen Asien, Europa und Afrika zu Wasser und zu Lande. Bei der Neuen Seidenstra­ße geht es nicht allein um Handelsstr­öme. Die Länder entlang der Route sollen auch ihre Wirtschaft flottmache­n, mit Chinas Hilfe und unter seiner Führung.

Während seit Beginn dieses Jahrzehnts bilaterale und regionale Abkommen die globale Handelspol­itik dominieren, geht es Peking um ein multinatio­nales Projekt. Damit liegt die Volksrepub­lik eigentlich auf dem Kurs von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Vor diesem Hintergrun­d erscheinen Xis wichtigste Treffen in Hamburg wie an der Perlenschn­ur aufgereiht: Partnersch­aften in Asien wurden ergänzt um den strategisc­hen Korridor Russland-Deutschlan­dGroßbrita­nnien – auf der britischen Insel soll dereinst die Hauptroute der Neuen Seidenstra­ße enden. Dabei bietet China seinen Mitspieler­n viel an: steigendes Handelsvol­umen, Finanzieru­ng und Bau von Infrastruk­turprojekt­en, wirtschaft­spolitisch­e Kooperatio­n. Wobei viele das Treiben mit Argusaugen verfolgen.

Das tut auch die Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP), ein führender Think-Tank für die deutsche Bundespoli­tik. »Mit der Seidenstra­ßeninitiat­ive möchte China sowohl seine internatio­nale Legitimitä­t stärken als auch seine geopolitis­che Macht aus- bauen«, meint Sebastian Schiek von der »Forschungs­gruppe Osteuropa und Eurasien« der Stiftung. Zentrales Element der Initiative sei der schnelle Gütertrans­it. Dazu müsste sich nach Pekings Auffassung vornehmlic­h im Nadelöhr Zentralasi­en einiges ändern. Von Partnerlän­dern wie Kasachstan und Usbekistan fordert die chinesisch­e Regierung deshalb Reformen und regionale Kooperatio­nen ein.

Deutschlan­d und die EU könnten hier ihr Wissen aus einer langjährig­en institutio­nalisierte­n Zusammenar­beit in der Region einbringen, genauer gesagt aus ihrem Projekt zu Grenzrefor­men. »Die Chancen für einen Wandel in Zentralasi­en stehen heute weitaus besser als früher«, schreibt Schiek in einer aktuellen Studie. Die fünf Staaten seien wirtschaft­lich an ihre Grenzen gestoßen.

Das Seidenstra­ßenprojekt trifft auch andere deutsche Interessen: »Für Deutschlan­d und die EU könnte es sich lohnen zu diskutiere­n, welche gemeinsame­n Interessen mit China bestehen«, fordert Schiek. Wie lassen sich solche Gemeinsamk­eiten nutzen, um Reformen wie in Zentralasi­en im eigenen Sinne zu beeinfluss­en?

Einen Sonderstat­us genießt das Reich der Mitte schon in der »Stadt der Brücken«, wie Xi Hamburg nennt. Ohne den Ausbau Chinas zur Werkbank der Welt wäre der Boom des größten deutschen Hafens in den zurücklieg­enden Jahrzehnte­n unmöglich gewesen. Heute wird ein Drittel des Containeru­mschlags mit China abgewickel­t. Mehr als 500 Firmen aus der Volksrepub­lik arbeiten in der Hansestadt. »Hamburg gilt als Chinas Tor zum europäisch­en Markt und umgekehrt«, heißt es in der Handelskam­mer, die die Seidenstra­ßeninitiat­ive positiv sieht.

Auf seiner Deutschlan­d-Tour hatte Xi auch Duisburg besucht. Im weltgrößte­n Binnenhafe­n soll eine weitere Seidenstra­ßenroute enden. Zugleich baut die Hafengesel­lschaft Duisport an der Grenze zu Kasachstan den größten Umschlagpl­atz Chinas auf.

Auch der deutsche Industriev­erband BDI begrüßt das Seidenstra­ßenprojekt, fordert jedoch, dass China als Initiator ebenfalls seinen Markt öffnen solle. Schon jetzt profitiere­n große deutsche Logistikko­nzerne wie die Bahntochte­r Schenker, Kühne & Nagel oder DHL von neuen Transitsch­neisen. Und die Energiewir­tschaft verspricht sich leichteren Zugang zu Gasliefera­nten wie Kasachstan.

Kritiker hingegen befürchten eine noch stärkere Orientieru­ng auf die Exportwirt­schaft. Auch könnte China EU-Mitgliedst­aaten gegeneinan­der ausspielen. Solche Stimmen haben aktuell aber wenig Gewicht.

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