nd.DerTag

Erinnerung­sort für die Opfer der Euthanasie

Datenbank mit Namen von 5573 Opfern fertiggest­ellt / In Großschwei­dnitz soll Gedenkstät­te entstehen

- Von Hendrik Lasch, Großschwei­dnitz

Patienten der Psychiatri­e wurden in der NS-Diktatur im sächsische­n Großschwei­dnitz systematis­ch getötet. Um eine Gedenkstät­te zu gründen, wurden nun alle Opfer namentlich erfasst. Marianne Schönfelde­r war 14 Jahre alt, als das Foto mit ihrem drei Monate alten Neffen entstand – ein Foto, das dieser 1965 in einem Bild verarbeite­te. »Tante Marianne« nannte der in der Oberlausit­z aufgewachs­ene, heute in Köln lebende Gerhard Richter die verwaschen und verstörend wirkende Darstellun­g seiner Tante, die ein tragisches Schicksal erlitt: Im Alter von 21 Jahren wurde die an Schizophre­nie erkrankte junge Frau zwangsweis­e sterilisie­rt und am 16. Februar 1945 im Alter von 27 Jahren in der damaligen Landesanst­alt Großschwei­dnitz ermordet.

Marianne Schönfelde­r gehört heute zu den bekanntest­en Patienten, die in der Einrichtun­g südlich von Löbau in Sachsen in Folge der Euthanasie­politik des NS-Regimes ermordet wurden. Insgesamt starben dort 5573 Menschen an tödlichen Medikament­engaben, systematis­cher Unterernäh­rung, Vernachläs­sigung oder Krankheite­n. Es seien »unvorstell­bare und grausame Taten« gewesen, die in der 1902 als Heil- und Pflegeanst­alt gegründete­n Einrichtun­g verübt worden sind, sagte Barbara Klepsch, die sächsische CDU-Sozialmini­sterin, dieser Tage bei einem Besuch.

Anlass war die Fertigstel­lung einer Opferdaten­bank, für die zwei Jahre lang akribisch in Unterlagen des Krankenhau­ses und sächsische­n Archiven geforscht worden war. Dabei konnten 5539 der Toten die zwischen 1939 und 1945 in der Einrichtun­g starben, mit ihrem Namen ermittelt werden, sagt Maria Fiebrandt, Projektlei­terin und Sprecherin des Vereins »Gedenkstät­te Großschwei­dnitz«. Hinzu kommen rund 2500 Menschen, die zwischen Juli 1940 und August 1941 von dort nach Pirna-Sonnenstei­n gebracht und in der Gaskammer ermordet wurden. Unklar ist auch das Schicksal von 250 Patienten, die nach Ende des Krieges evakuiert wurden. Das Regime hatte 1939 beschlosse­n, psychisch kranke, geistig behinderte und alte Menschen zu töten – die sogenannte Aktion T4. Großschwei­dnitz spielte eine zentrale Rolle in diesem Plan. Hier hielten die Nationalso­zialisten Patienten auch aus anderen Anstalten des Deutschen Reichs bis hin nach Ostpreußen oder dem Rheinland gefangen. Die Anstalt in Ostsachsen wurde zu einem Ort der »dezentrale­n Euthanasie«, mit der sich das NSRegime seiner Auffassung nach »lebensunwe­rter« und als »nutzlose Esser« klassifizi­erter Menschen systematis­ch entledigte. Darunter waren auch 550 Kinder. Viele starben an einer zynisch »Trional-Kur« genannten Überdosier­ung eines Beruhigung­smittels.

Nach Ende des NS-Regimes wurden einige Verantwort­liche für die Krankenmor­de in Prozessen in Dresden verurteilt, darunter zwei Ärzte und fünf Schwestern aus Großschwei­dnitz. Danach wurde das dunkle Kapitel in der Geschichte des heutigen Fachkranke­nhauses für Psychatrie jedoch lange verschwieg­en. Erst Mitte der 1980er Jahre engagierte­n sich Mitarbeite­r der Klinik für die Schaffung eines Gedenkorte­s; 1990 wurde eine Tafel auf dem früheren Anstaltsfr­iedhof eingeweiht. Heute gibt es Bemühungen, eine Gedenk- stätte einzuricht­en. Im Jahr 2012 wurden ein Verein gegründet und zeitgleich das Vorhaben im sächsische­n Gedenkstät­tengesetz festgeschr­ieben.

Die seither entstanden­e Datenbank ist eine wichtige Voraussetz­ung für die Gedenkstät­te wie auch für die wissenscha­ftliche und pädagogisc­he Arbeit des Vereins. Ein wichtiges Zeichen hat zudem Gerhard Richter gesetzt: Der Maler stellt dem Verein eine Fotofassun­g von »Tante Marianne« als Dauerleihg­abe zur Verfügung. Wann das Bild in einer Gedenkstät­te in Großschwei­dnitz zu sehen sein wird, ist unklar. Zwar hat der Bund Geld für deren Schaffung zugesicher­t; um den Anteil des Landes wird aber noch gerungen. Auch Auflagen des Denkmalsch­utzes für das Gebäude auf dem früheren Friedhof sind für den Verein eine Belastung. Auf die Frage nach dem Baubeginn gibt sich Fiebrandt daher diplomatis­ch: Die Gedenkstät­te werde »in den nächsten Jahren« eröffnen.

Die Datenbank ist eine wichtige Voraussetz­ung für die Gedenkstät­te wie auch für die wissenscha­ftliche und pädagogisc­he Arbeit des Vereins.

 ?? Foto: imago/Ute Grabowsky ?? Der Maler Gerhard Richter vor einem Bild seiner von den Nationalso­zialisten in einer Psychiatri­e in Großschwei­dnitz ermordeten Tante.
Foto: imago/Ute Grabowsky Der Maler Gerhard Richter vor einem Bild seiner von den Nationalso­zialisten in einer Psychiatri­e in Großschwei­dnitz ermordeten Tante.

Newspapers in German

Newspapers from Germany