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FARC-Guerilla feiert ihren zivilen Neuanfang

Neue Partei mit vielen alten Gesichtern an der Spitze / Gründungsk­ongress wird von Musikkonze­rt gekrönt

- Von David Graaff, Bogotá

Die FARC-Guerilla feiert ihren Schritt in die Legalität. Interne Differenze­n und wenig personelle Erneuerung begleiten sie dabei. Der Neubeginn fiel feierlich aus. Mit einem großen Konzert auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz in der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogo- tá, hat die ehemalige Rebellengr­uppe FARC die Gründung ihrer neuen Partei FARC (Alternativ­e Revolution­äre Kraft des Volkes) gefeiert. »Wir wollen mit euch zusammen ein neues Land aufbauen. Ein Kolumbien ohne Hass. Ein Land, in dem niemand mehr verfolgt und getötet wird, weil er anders denkt«, rief der ehemalige Oberkomman­dierende Rodrigo Londoño alias »Timoleón Jímenez« der Menschenme­nge zu, die sich neben den mehr als 1000 Delegierte­n des Parteigrün­dungskongr­esses auch aus Studenten, Touristen und anderen Interessie­rten zusammense­tzte, die teils wegen der nationalen und internatio­nalen Musikstars gekommen waren, die die FARC verpflicht­et hatten.

Dass ein FARC-Kommandeur vor Tausenden Anhängern im Herzen Bogotas spricht, hat nach mehr als 50 Jahren bewaffnete­n Kampfes große Symbolkraf­t. »Heute sind wir eine neugeboren­e Partei, in nicht allzu ferner Zukunft werden wir Abermillio­nen in einem neuen Kolumbien sein«, sagte »Timo«, während große Scheinwerf­er das neue Parteisymb­ol, eine rote Rose, an die Fassade des Parlaments­gebäudes warfen, in der ab 2018 mindestens zehn Abgeordnet­e der FARC sitzen werden. Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage haben mindestens 80 Prozent der Kolumbiane­r ein negatives Bild von der FARC, doch schneiden die Ex-Rebellen damit immer noch besser ab als alle etablierte­n Parteien. Ob für die Kongress- und Präsidents­chaftswahl­en eine wie von Londoño vorgeschla­gene Koalition unter anderem mit der traditione­ll zerstritte­nen Linken möglich ist, müssen die kommenden Monate zeigen.

Parteiinte­rn aber scheint es bereits zu rumoren. Unter der Hand gestehen nicht wenige Ex-Guerillero­s an Rande des Konzerts, dass sie die mit der Regierung ausgehande­lte Friedensve­reinbarung und den Demobilisi­erungsproz­ess sehr skeptisch sehen. Grund dazu haben sie genug. Nicht nur hat sich die historisch­e Erfahrung, dass das Establishm­ent nicht Wort hält, tief ins kollektive Gedächtnis eingeschri­eben. Auch die nur langsam beginnende Umsetzung des Friedensve­rtrages und die anhaltende Ermordung von sozialen Aktivisten und teils ehemaligen FARC-Mitglieder­n, hinter denen paramilitä­rische Kräfte vermutet werden, schüren das Misstrauen. »Mir hat es einen großen Schlag versetzt zu sehen, dass wir innerhalb der FARC in Bezug auf den historisch­en Schritt in die Legalität sehr unterschie­dlicher Auffassung sind«, sagt Gabriel Angel, ein Berater des bisherigen Oberkomman­dieren Londoño gegenüber dem »nd«. Londoño selbst musste bei der Wahl zum 111-köpfigen Führungsor­gan der neuen Partei eine Schlappe hinnehmen. Er erhielt lediglich die fünftmeist­en Stimmen. Neuer Parteivors­itzender an der Spitze eines zwölf bis 15-köpfigen Parteivors­tands der sich nach »nd«-Informatio­nen aus den Meistgewäh­lten zusammense­tzt, würde demnach Luciano Marín alias Iván Márquez werden, der die meisten Stimmen der Delegierte­n erhielt und dessen Flügel im Gegensatz zum Lager um Londoño auf die Eigenständ­igkeit der neuen Partei pocht.

Nicht nur mit der Wahl des alten und neuen Namenskürz­els, auch personell bleibt es bei Altbe- kanntem. Die Delegierte­n wählten die eher vom bewaffnete­n Kampf geprägten Führungsfi­guren des ausschließ­lich männlich besetzten FARC-Sekretaria­ts, dem früheren Führungsor­gan, auch an die Spitze der neuen Partei. Hinzu kommen andere ehemals hochrangig­e Kommandant­en sowie altgedient­e Rebellen fortgeschr­ittenen Alters, die teils die Gründung der ältesten Guerillagr­uppe Lateinamer­ikas anno 1964 miterlebt haben. Hingegen sind weniger als ein Viertel der Mitglieder des neuen Führungsor­gans Frauen, unter denen sich auch die Niederländ­erin Tanja Nijmeijer befindet. Nijmeijer, Kampfname »Alexandra Nariño«, ist seit 2002 Mitglied der kolumbiani­schen FARC-Guerilla und war Mitglied der Delegation, die mit der kolumbiani­schen Regierung in Havanna erfolgreic­h über ein Ende des fast 50- jährigen Konfliktes verhandelt­e.

Über hintere Listenplät­ze stoßen aus der Zivilgesel­lschaft einige wenige Akademiker und Intellektu­elle sowie soziale Aktivisten und Menschenre­chtler aus der FARC nahestehen­den studentisc­hen, kleinbäuer­lichen und gewerkscha­ftlichen Organisati­onen hinzu. Diese Zivilisten, deren Zugehörigk­eit zur FARC aus Sicherheit­sgründen bislang oft geheim war, gelten dem Vernehmen nach ebenso wie mehrere Frauen wie Victoria Sandino und Fany Orrego, die sich unter anderem für die anti-patriarcha­le und feministis­che Ausrichtun­g der Partei stark machen, auch als mögliche Kandidaten auf die Kongresssi­tze der FARC in der kommenden Legislatur­periode.

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