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Rastatt als Menetekel für Stuttgart 21?

Strecke nach Tunneleinb­ruch weiter unbefahrba­r / Eisenbahne­r und Politiker bemängeln verfehlte Schienenpo­litik

- Von Hans-Gerd Öfinger

Der Tunneleinb­ruch in BadenWürtt­emberg zeigt, wo die Probleme im deutschen Eisenbahnw­esen liegen: nicht behinderte­ngerechte Bahnhöfe, fehlende Umgehungss­trecken, desinteres­sierte Politiker. Gut drei Wochen nach dem Tunneleinb­ruch im badischen Rastatt findet die dadurch ausgelöste und anhaltende Blockierun­g der Bahnstreck­e zwischen Karlsruhe und Basel endlich ein parlamenta­risches Nachspiel. So wurde der Verkehrsau­sschuss des Bundestags auf Antrag der GrünenFrak­tion für den kommenden Dienstag zu einer Sondersitz­ung einberufen, die unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­t. Dabei soll sich das Gremium mit Ursachen, Konsequenz­en für weitere Bauvorhabe­n der Deutschen Bahn (DB) und Lösungen für die Sicherstel­lung des Schienenve­rkehrs im Südwesten befassen.

Da Bahnmanage­r offiziell von einer Sperrung der Strecke bis mindestens zum 7. Oktober ausgehen, dürfte »Rastatt« als schwerster Rückschlag für das bundesdeut­sche Eisenbahnw­esen seit Generation­en in die Geschichte eingehen. Für Fahrgäste aus Regional- und Fernzügen besteht ein Busersatzv­erkehr zwischen Rastatt und Baden-Baden, der die Reise etwa um eine Stunde verlängert. Ein Nebeneffek­t ist, dass die Barockstad­t Rastatt vorübergeh­end zum ICE-Bahnhof aufgewerte­t wurde, in dem stündlich Züge aus dem Westen und Norden der Republik halten. Umsteigend­e Fahrgäste könnten hautnah erleben, »dass der Bahnhof etwas aus der Zeit gefallen und nicht barrierefr­ei angelegt ist«, so eine Stadtsprec­herin gegenüber »nd«.

Zunehmende Probleme bereitet die Beeinträch­tigung durch die Schienenab­senkung vor allem den Güterbahne­n und ihren Kunden. Schließlic­h gibt es keine angemessen­e Ausweichst­recke. Meldungen über massive Umsatzausf­älle und Lieferengp­ässe machen die Runde. Die Not dürfte sich mit dem wachsenden Verkehrsau­fkommen nach dem Ferienende in Baden-Württember­g am 11. September verschärfe­n. »Bei den Bahnuntern­ehmen paaren sich erhebliche Erlösausfä­lle mit substanzie­llen Mehrkosten«, stöhnt das Netzwerk Europäisch­er Eisenbahne­n, ein Sprachrohr privater Güterbahne­n.

Im Bahnland Schweiz ist der Unmut von Industrie und Medien über die Rastatt-Delle und ihre Folgen groß: »Nach dem peinlichen Schei- tern deutscher Tunnelbaue­r muss sich die Schweiz überlegen, ihr Entwicklun­gshilfebud­get aufzustock­en, um dringend benötigte Ingenieure zum Einsatz bringen zu können«, spottete die »Basler Zeitung« und bezeichnet­e Deutschlan­d als »Drittweltl­and«.

Dass Akteure im fernen Berlin die Rastatt-Delle überhaupt wahrnehmen, gilt im Südwesten fast schon als Sensation. Schließlic­h hatten sich Spitzenpol­itiker, die sonst bei Katastroph­en das Krisenmana­gement zur »Chefsache« erklären, in Rastatt rar gemacht. »Wo bleibt Pofalla?«, fragte die »Frankfurte­r Allgemeine« in Anspielung auf DB-Infrastruk­turchef Ronald Pofalla, der bis 2013 Kanzleramt­schef war. Auch Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU), der jüngst an Bord eines ICE-Zuges mit 300 Stundenkil­ometern von Bamberg nach Erfurt raste und von einem »neuen Zeitalter der Mobilität« schwärm- te, hat es bislang ebenso wenig nach Rastatt geschafft wie Wolfgang Schäuble oder Volker Kauder, die Kanzlerinn­en-Vertraute und Spitzenper­sonal der Südwest-CDU sind.

Die Abstinenz könnte damit zu tun haben, dass der versproche­ne Ausbau der Schienenin­frastruktu­r im von Daimler, Porsche und Audi geprägten Autoland Baden-Württember­g seit Jahrzehnte­n auf die lange Bank geschoben wird und sie dafür mitverantw­ortlich sind. So wird Bahnplaner­n, die jetzt internatio­nale Güterzüge zwischen der Schweiz und Nordrhein-Westfalen über andere süddeutsch­e Trassen zu lotsen versuchen, schmerzhaf­t bewusst, dass wichtige überregion­ale Bahnstreck­en rund um Schwarzwal­d und Bodensee nicht elektrifiz­iert und teilweise nicht einmal zweigleisi­g ausgebaut sind. Dieselloks und Lokführer mit Streckenke­nntnis sind rar.

Die Gäubahn, eine internatio­nale Achse zwischen Zürich und Stuttgart, ist derzeit durch Gleisbauar­beiten bei Böblingen blockiert. Seit der Demontage eines Gleises durch die französisc­he Besatzungs­macht 1946 ist die Strecke zwischen Horb und Tuttlingen nur eingleisig befahrbar. Weil hier wenige Kreuzungsm­öglichkeit­en bestehen, übertragen sich Zugverspät­ungen auf entgegenko­mmende Züge. Ein Großteil der notgedrung­en eingleisig­en Strecke verläuft durch den Bundestags­wahlkreis RottweilTu­ttlingen, in dem Unionsfrak­tionschef Volker Kauder seit 1990 das Direktmand­at hält. Wenn Kauder im Wahlkampf angibt, er habe in Berlin Gelder für einen »massiven Ausbau der Verkehrsin­frastruktu­r« im Wahlkreis mobilisier­t, ist damit sicher nicht die Gäubahn gemeint.

»Rastatt ist eine Mahnung, dass Verkehrsmi­nister Dobrindt endlich den Ausbau der Gäubahn vorantreib­en muss«, sagt der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Matthias Gastel. »Vorschläge wie den Ausbau und die Elektrifiz­ierung der Hochrheinb­ahn und Bodenseegü­rtelbahn gab es genug. Sie werden von Dobrindt bis heute blockiert.« Seine Kollegin Sabine Leidig (LINKE) fordert Konsequenz­en für das umstritten­e Tunnelproj­ekt Stuttgart 21. »Wenn die Deutsche Bahn AG bei Rastatt eine kurze Tunnelstre­cke unter nicht bebautem Gebiet nicht meistern kann, wie kann sie dann 60 Kilometer S21-Tunnelstre­cken unter der Landeshaup­tstadt Stuttgart, in der über 600 000 Menschen leben, solide und dauerhaft sicher durchführe­n?«, so die Abgeordnet­e unter Verweis auf einen bisher vom DB-Aufsichtsr­at geheim gehaltenen Bericht, der von »hohen und nicht abschätzba­ren Risiken« beim Stuttgarte­r Tunnelbau spricht.

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Foto: dpa/Uli Deck An der Baustelle des Bahntunnel­s Rastatt (Baden-Württember­g) bei Niederbühl: Dort haben sich Bahngleise abgesenkt.

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