Rastatt als Menetekel für Stuttgart 21?
Strecke nach Tunneleinbruch weiter unbefahrbar / Eisenbahner und Politiker bemängeln verfehlte Schienenpolitik
Der Tunneleinbruch in BadenWürttemberg zeigt, wo die Probleme im deutschen Eisenbahnwesen liegen: nicht behindertengerechte Bahnhöfe, fehlende Umgehungsstrecken, desinteressierte Politiker. Gut drei Wochen nach dem Tunneleinbruch im badischen Rastatt findet die dadurch ausgelöste und anhaltende Blockierung der Bahnstrecke zwischen Karlsruhe und Basel endlich ein parlamentarisches Nachspiel. So wurde der Verkehrsausschuss des Bundestags auf Antrag der GrünenFraktion für den kommenden Dienstag zu einer Sondersitzung einberufen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Dabei soll sich das Gremium mit Ursachen, Konsequenzen für weitere Bauvorhaben der Deutschen Bahn (DB) und Lösungen für die Sicherstellung des Schienenverkehrs im Südwesten befassen.
Da Bahnmanager offiziell von einer Sperrung der Strecke bis mindestens zum 7. Oktober ausgehen, dürfte »Rastatt« als schwerster Rückschlag für das bundesdeutsche Eisenbahnwesen seit Generationen in die Geschichte eingehen. Für Fahrgäste aus Regional- und Fernzügen besteht ein Busersatzverkehr zwischen Rastatt und Baden-Baden, der die Reise etwa um eine Stunde verlängert. Ein Nebeneffekt ist, dass die Barockstadt Rastatt vorübergehend zum ICE-Bahnhof aufgewertet wurde, in dem stündlich Züge aus dem Westen und Norden der Republik halten. Umsteigende Fahrgäste könnten hautnah erleben, »dass der Bahnhof etwas aus der Zeit gefallen und nicht barrierefrei angelegt ist«, so eine Stadtsprecherin gegenüber »nd«.
Zunehmende Probleme bereitet die Beeinträchtigung durch die Schienenabsenkung vor allem den Güterbahnen und ihren Kunden. Schließlich gibt es keine angemessene Ausweichstrecke. Meldungen über massive Umsatzausfälle und Lieferengpässe machen die Runde. Die Not dürfte sich mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen nach dem Ferienende in Baden-Württemberg am 11. September verschärfen. »Bei den Bahnunternehmen paaren sich erhebliche Erlösausfälle mit substanziellen Mehrkosten«, stöhnt das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen, ein Sprachrohr privater Güterbahnen.
Im Bahnland Schweiz ist der Unmut von Industrie und Medien über die Rastatt-Delle und ihre Folgen groß: »Nach dem peinlichen Schei- tern deutscher Tunnelbauer muss sich die Schweiz überlegen, ihr Entwicklungshilfebudget aufzustocken, um dringend benötigte Ingenieure zum Einsatz bringen zu können«, spottete die »Basler Zeitung« und bezeichnete Deutschland als »Drittweltland«.
Dass Akteure im fernen Berlin die Rastatt-Delle überhaupt wahrnehmen, gilt im Südwesten fast schon als Sensation. Schließlich hatten sich Spitzenpolitiker, die sonst bei Katastrophen das Krisenmanagement zur »Chefsache« erklären, in Rastatt rar gemacht. »Wo bleibt Pofalla?«, fragte die »Frankfurter Allgemeine« in Anspielung auf DB-Infrastrukturchef Ronald Pofalla, der bis 2013 Kanzleramtschef war. Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der jüngst an Bord eines ICE-Zuges mit 300 Stundenkilometern von Bamberg nach Erfurt raste und von einem »neuen Zeitalter der Mobilität« schwärm- te, hat es bislang ebenso wenig nach Rastatt geschafft wie Wolfgang Schäuble oder Volker Kauder, die Kanzlerinnen-Vertraute und Spitzenpersonal der Südwest-CDU sind.
Die Abstinenz könnte damit zu tun haben, dass der versprochene Ausbau der Schieneninfrastruktur im von Daimler, Porsche und Audi geprägten Autoland Baden-Württemberg seit Jahrzehnten auf die lange Bank geschoben wird und sie dafür mitverantwortlich sind. So wird Bahnplanern, die jetzt internationale Güterzüge zwischen der Schweiz und Nordrhein-Westfalen über andere süddeutsche Trassen zu lotsen versuchen, schmerzhaft bewusst, dass wichtige überregionale Bahnstrecken rund um Schwarzwald und Bodensee nicht elektrifiziert und teilweise nicht einmal zweigleisig ausgebaut sind. Dieselloks und Lokführer mit Streckenkenntnis sind rar.
Die Gäubahn, eine internationale Achse zwischen Zürich und Stuttgart, ist derzeit durch Gleisbauarbeiten bei Böblingen blockiert. Seit der Demontage eines Gleises durch die französische Besatzungsmacht 1946 ist die Strecke zwischen Horb und Tuttlingen nur eingleisig befahrbar. Weil hier wenige Kreuzungsmöglichkeiten bestehen, übertragen sich Zugverspätungen auf entgegenkommende Züge. Ein Großteil der notgedrungen eingleisigen Strecke verläuft durch den Bundestagswahlkreis RottweilTuttlingen, in dem Unionsfraktionschef Volker Kauder seit 1990 das Direktmandat hält. Wenn Kauder im Wahlkampf angibt, er habe in Berlin Gelder für einen »massiven Ausbau der Verkehrsinfrastruktur« im Wahlkreis mobilisiert, ist damit sicher nicht die Gäubahn gemeint.
»Rastatt ist eine Mahnung, dass Verkehrsminister Dobrindt endlich den Ausbau der Gäubahn vorantreiben muss«, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. »Vorschläge wie den Ausbau und die Elektrifizierung der Hochrheinbahn und Bodenseegürtelbahn gab es genug. Sie werden von Dobrindt bis heute blockiert.« Seine Kollegin Sabine Leidig (LINKE) fordert Konsequenzen für das umstrittene Tunnelprojekt Stuttgart 21. »Wenn die Deutsche Bahn AG bei Rastatt eine kurze Tunnelstrecke unter nicht bebautem Gebiet nicht meistern kann, wie kann sie dann 60 Kilometer S21-Tunnelstrecken unter der Landeshauptstadt Stuttgart, in der über 600 000 Menschen leben, solide und dauerhaft sicher durchführen?«, so die Abgeordnete unter Verweis auf einen bisher vom DB-Aufsichtsrat geheim gehaltenen Bericht, der von »hohen und nicht abschätzbaren Risiken« beim Stuttgarter Tunnelbau spricht.