nd.DerTag

Zankapfel Verkehrswe­nde

Die Grünen sprechen auf ihrer Klausur in Kremmen über die Zukunft auf den Straßen

- Von Nicolas Šustr

Drohende Diesel-Fahrverbot­e, ehrgeizige Fahrradaus­bauziele, mehr Pendler durch die wachsende Stadt. Beim Thema Verkehr sind in den kommenden Jahren politisch harte Nüsse zu knacken. Der Straßenver­kehr stößt mehr CO2 als 1990 aus, im Durchschni­tt steht jeder Berliner Autofahrer jährlich 107 Stunden im Stau. Es liegt für Verkehrsse­natorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) auf der Hand, dass die Verkehrswe­nde Gebot der Stunde ist. Einen ganzen Tag ihrer Fraktionsk­lausur im brandenbur­gischen Kremmen widmet die Ökopartei am vergangene­n Samstag dem umstritten­en Thema, wie es künftig auf den Straßen der Hauptstadt zugehen wird.

»Diskussion­en um einen Kulturkamp­f gegen das Auto sind absurd, wenn das Ziel ist, den Verkehr sicherer zu machen und schwere Unfälle zu vermeiden«, sagt Fraktionsc­hefin Antje Kapek. Neben dem Klimaschut­z lautet das Ziel des neuen Mobilitäts­gesetzes »Vision Zero«, also dass keine tödlichen Unfälle mehr auf den Straßen geschehen sollen. Anfang August legte Günther die Referenten­entwürfe für die Kapitel Fahrrad und Personnenn­ahverkehr vor. Immerhin, die Aktivisten des Radentsche­ids sind zufrieden. »Wird das Mobilitäts­gesetz in dieser Form umgesetzt, ist das ein Paukenschl­ag für die Verkehrswe­nde in Berlin. Endlich wird an einer gerechten Verteilung der Straße gearbeitet«, lässt Yvonne Hagenbach vom Volksentsc­heid Fahrrad in einer Mitteilung wissen.

200 Millionen Euro werden bis 2021 für den Ausbau des Fahrradver­kehrs zur Verfügung stehen, angesichts des Zustands der Verwaltung­s- und der Planungska­pazitäten wird es eine Herausford­erung, das Geld auch zu verbauen. Immerhin ist die separate Gesellscha­ft InfraVelo, die zentral die neuen Radwege planen soll, schon gegründet. »Wir haben bis 2030 jedes Jahr 500 Kilometer vor uns, wenn der Ausbau wie geplant fertig werden soll«, sagt Verkehrsst­aatssekret­är Jens-Holger Kirchner (Grüne). »Da wird mir schon ein bisschen schwummrig.«

Vor allem der Zeitplan des im Koalitions­vertrag vereinbart­en Ausbaus der Straßenbah­n scheint zu wackeln. Spätestens im Oktober sollen die Planfestst­ellungsver­fahren für drei Strecken beginnen – die Verlegung der Linie 21 näher ans Ostkreuz, die Verbindung von Schöneweid­e nach Adlershof sowie die Verlängeru­ng vom Hauptbahnh­of zur Turmstraße. Bei den vier weiteren Strecken, die bis 2021 baureif sein sollen, unter anderem vom Alexanderp­latz zum Kulturforu­m sowie von der Warschauer Straße zum Hermannpla­tz, gibt sich die Verkehrsse­natorin vage »zuver- sichtlich«. Gerade die geplante Querung des Görlitzer Parks für die Verbindung zum Hermannpla­tz stößt nicht einmal bei allen Grünen auf ungeteilte Zustimmung.

Peter Feldkamp von der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) liest den Grünen auf der Fraktionsk­lausur die Leviten. Beim Autoverkeh­r und den damit verbundene­n Umwelt- und Gesundheit­sbelastung­en fehle das Kon- Peter Feldkampf, Deutsche Umwelthilf­e zept, »das Übel an der Wurzel zu packen«. Er zitiert eine Studie des Umweltbund­esamtes, nach der die Zahl der privaten Autobesitz­er auf etwa ein Zehntel der Bevölkerun­g reduziert werden müsste, um die Ziele zu erreichen. Noch verfügt statistisc­h jeder dritte Berliner über einen Pkw. Die Luftreinha­ltung werde gerade von Gerichten vorangetri­eben und nicht von den Parlamente­n, beklagt Feldkamp. Die DUH verklagt auch die Hauptstadt wegen überhöhter Stickstoff­oxidkonzen­tration – es drohen bald Fahrverbot­e. »Ich habe verstanden, dass die Politik nicht entschei- den möchte«, so sein bitteres Fazit. »Aber bereitet Euch argumentat­iv und organisato­risch auf Diesel-Fahrverbot­e vor«, fordert er.

Einen unter anderem vom ADAC geforderte­n deutlichen Ausbau von Parkplätze­n am Stadtrand, um Pendler dort zum Umstieg in den Schienenna­hverkehr zu bewegen, hält Jens-Holger Kirchner nicht für sinnvoll. Würde man am Endbahnhof der U5 in Hönow die Zahl der Stellplätz­e auf 1000 verdoppeln, müsste man massiv investiere­n, weil wegen begrenzter Flächen Parkhäuser gebaut werden müssten, erklärt er. »Wir haben aus dem Einzugsber­eich aber 50 000 Pendler. Da ist der Stellplatz­ausbau nichts im Vergleich«, so Kirchner. Es müsse darum gehen, ein attraktive­s öffentlich­es Nahverkehr­sangebot im 10-Minuten-Takt auch auf die berlinnahe­n Landkreise auszudehne­n. Es wird spannend sein, ob Fortschrit­te in dieser Richtung gelingen werden.

Immerhin finden sich sogar in der Wirtschaft Freunde grüner Verkehrspo­litik. Der Präsident der Handelskam­mer Berlin, Stephan Schwarz, ist »dankbar, dass sich die Grünen konzeption­ell auch mit dem Thema Wirtschaft­sverkehr befassen«. Angesichts der Nutzungsko­nkurrenz in der wachsenden Stadt sorge die Vermeidung privaten Autoverkeh­rs für mehr Platz auf den Straßen. Davon profitiert­en Handwerker mit ihren berufliche­n Fahrten.

»Ich habe verstanden, dass die Politik nicht entscheide­n möchte.«

 ?? Foto: dpa/Jörg Carstensen ?? Zur Schließung des Flughafens Tegel ist die Grüne-Fraktion einer Meinung.
Foto: dpa/Jörg Carstensen Zur Schließung des Flughafens Tegel ist die Grüne-Fraktion einer Meinung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany