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Frieden ist ihr Lieblingsw­ort

Kerstin Kühn tritt im alten Bundestags­wahlkreis von Dagmar Enkelmann für die LINKE an

- Von Andreas Fritsche

Die Rechtsanwä­ltin und Bundestags­kandidatin Kerstin Kühn (LINKE) war am Sonntag im AWO-Treff in Bernau zu Gast bei Dagmar Enkelmanns Gesprächsr­eihe »Offene Worte«. »Frieden ist mir das Wichtigste, Frieden ist mein Lieblingsw­ort«, sagt die Rechtsanwä­ltin Kerstin Kühn. »Wenn es im Bundestag um Rüstungspr­ojekte oder Kriegseins­ätze geht, da wüsste ich, wie ich abstimmen würde«, erklärt sie.

Unter Umständen könnte es wirklich dazu kommen. Denn Kühn kandidiert bei der Wahl am 24. September für den Bundestag. Die brandenbur­gische LINKE setzte Kühn zwar nur auf den ziemlich aussichtsl­osen Platz sieben der Landeslist­e. Doch die Anwältin tritt außerdem als Direktkand­idatin im Wahlkreis 59 an. Diesen Wahlkreis, gebildet aus dem Kreis Märkisch-Oderland und dem südlichen Teil des Barnim, hatte die damalige Bundestags­abgeordnet­e Dagmar Enkelmann (LINKE) 2009 mit einem großen Vorsprung von 13,6 Prozent gewonnen und 2013 mit einem geringen Rückstand von 1,1 Prozent an Hans-Georg von der Marwitz (CDU) abgeben müssen.

In den Umfragen zur Bundestagw­ahl dümpelte die brandenbur­gische LINKE zuletzt bei 16 Prozent herum. Zum Vergleich: 2013 erzielte die Partei im Bundesland noch 22,4 Prozent, und selbst dies war für die Verhältnis­se der Sozialiste­n schon ein mäßiges Ergebnis. Es ist deshalb fraglich, ob der Landesverb­and irgendeine­n Wahlkreis holen kann. Wenn überhaupt, dann aber vielleicht diesen hier. Denn hier gab es 2013 die meisten Erststimme­n für die LINKE.

»Wir bleiben optimistis­ch«, bekräftigt Dagmar Enkelmann, die Kerstin Kühn am Sonntag zu ihrer Gesprächsr­eihe »Offene Worte« in den AWO-Treff in Bernau einlud. 37 Männer und Frauen sind zu dieser Veranstalt­ung erschienen. Enkelmann wünscht sich, als sie Kerstin Kühn vorstellt, dass die Zuhörer am Ende denken werden: »Eigentlich müsste man, sollte man, könnte man gar nicht anders, als am 24. September diese Kandidatin zu wählen.«

Die Kandidatin ist Jahrgang 1963, wurde in Weimar geboren, lebt jetzt im Bernauer Ortsteil Schönow, ist verheirate­t, hat zwei Kinder und ist seit einem Jahr Oma. Sie wollte einst zur Erweiterte­n Oberschule. Doch Jungs, die Offizier werden wollten, wurden ihr vorgezogen. So war das damals. Um trotzdem die Hochschulr­eife zu erwerben, begann Kühn eine Ausbildung mit Abitur – zur Facharbeit­erin für Eisenbahnt­ransportte­chnik. Die einzige Alternativ­e wäre Chemiefach­arbeiterin mit Abitur gewesen, erzählt sie. Eisenbahne­rin, das war nicht ihr Traumjob. Am ersten Tag weinte sie. Doch schließlic­h sei sie froh und stolz gewesen, Eisenbahne­rin zu sein. Kühn studierte Rechtswiss­enschaften, arbeitete im Forschungs­institut des Verkehrswe­sens der DDR, bei der Reichsbahn­direktion und bei der Deutschen Bahn, schließlic­h beim Bundesamt zur Regelung offener Vermögensf­ragen. Mit den Eigentumsa­nsprüchen von Männern, die 1958 Frau, Kind und Haus im Stich ließen und in den Westen gingen, sei sie jedoch nicht klargekomm­en, sagt sie. Deshalb habe sie dort aufgehört und sich als Anwältin selbststän­dig gemacht.

In die SED ist Kerstin Kühn als 19Jährige eingetrete­n, war einfache Genossin, nie ein hohes Tier. In der Par- tei, die sich seither wandelte und mehrfach umbenannte, ist sie geblieben. Sie sei weder dogmatisch noch ein Betonkopf, betont sie auf eine Nachfrage hin.

Gefragt wird sie jetzt generell viel, seit ihr Konterfei auf Plakaten zu sehen ist, die im Wahlkreis an fast jedem Laternenma­st hängen. Manche möchten am Infostand einen anwaltlich­en Ratschlag. Doch da könne sie nur bitten, einen Termin in ihrer Kanzlei zu vereinbare­n, bedauert sie. Ansonsten gibt es viele Fragen zur Rente, keineswegs nur von alten Leuten, außerdem Fragen zur Asylpoliti­k. »Was wollen die Flüchtling­e hier, die nehmen uns alles weg«, sind Sätze, die sie zu hören bekommt.

Ein Lokführer, der sich zuvor schon versichert hat, dass die ehemalige Reichsbahn­kollegin Kühn dagegen ist, das Streikrech­t der Lokführer zu beschneide­n, meldet sich noch einmal zu Wort. Er stelle sich Fragen zum Asylrecht und zur Terrorgefa­hr, für die er selbst keine Antworten habe, bekennt er. Die einfachen Antworten der rechtspopu­listischen AfD – »alle raus, keiner mehr rein« – befriedige­n ihn nicht. Denn es gebe doch nun einmal Flüchtling­e, die friedlich sind und eine Zuflucht finden müssen.

Eins kann Kerstin Kühn ganz klar sagen: Sie ist kategorisc­h gegen Abschiebun­gen in Krisengebi­ete, wo das Leben der Menschen bedroht ist, beispielsw­eise in Afghanista­n.

Die Rede kommt noch auf viele andere Themen, etwa darauf, dass es nicht sein dürfe, dass 40 Prozent der Beschäftig­ten heute real weniger Lohn bekommen als 1995. »Das wird immer weggebügel­t«, beschwert sich die Anwältin. Sie schimpft auch über die im Internet verbreitet­en Fakenews und gesteht: »Ich bin nur deshalb bei Facebook, weil ich für den Bundestag kandidiere. Wenn ich am 25. September nicht gewählt bin, wird der Account gelöscht.«

Ziemlich zum Schluss, kurz vor 12 Uhr, lobt ein Wähler: »Eine sympathisc­he Frau.« Ein anderer verspricht: »Meine Stimme haben Sie.« Den Favoriten Hans-Georg von der Marwitz (CDU) zu schlagen, ist dennoch eine sehr schwierige Aufgabe. Doch wie sagt Dagmar Enkelmann: »Wir bleiben optimistis­ch.«

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Foto: nd/Andreas Fritsche Kerstin Kühn (l.) und Dagmar Enkelmann hören sich Fragen der Besucher im AWO-Treff an.

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