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Aus dem Nordosten in den weiten Westen

»Heimat Amerika« – Spuren mecklenbur­gischer Auswandere­r in den USA

- Von Iris Leithold, Schwerin

Eine Fotoausste­llung in Schwerin führt in die amerikanis­chen Gegenden, in denen sich Auswandere­r aus Mecklenbur­g im 19. Jahrhunder­t ansiedelte­n. Der Turm einer weißen Holzkirche ragt hinter einem Getreidefe­ld in den blauen Himmel von Victor im USBundesst­aat Iowa. Erbaut wurde die Kirche von Mecklenbur­gern, die im 19. Jahrhunder­t nach Amerika auswandert­en. Der Kirche wurde sogar ein literarisc­hes Denkmal gesetzt: Im Auswandere­r-Roman »Jürnjakob Swehn, der Amerikafah­rer«, der vor genau 100 Jahren im Kriegsjahr 1917 erschien und in Deutschlan­d seither ein Millionenp­ublikum fand, wird ihre Errichtung beschriebe­n.

Fotografie­rt hat sie Walter Hinghaus. Der heute 76-Jährige Neubranden­burger war vor mehreren Jahren zusammen mit anderen Fotografen auf den Spuren deutscher Auswandere­r in den USA. Aus den dabei entstanden­en Aufnahmen speist sich die Ausstellun­g »Heimat Amerika«, die seit Samstag im Schweriner Schleswig-Holstein-Haus zu sehen ist. Mehr als 40 Fotografie­n gewähren Einblick in eine ländlich geprägte Gesellscha­ft, die sich ihrer deutschen Wurzeln bewusst ist und die mit Dorfmuseen an die Einwanderu­ng vor 150 Jahren erinnert. Was hat Hinghaus besonders beeindruck­t? »Die Weite dieses Landes«, sagt er.

Viele Aufnahmen von Hinghaus und seinem Fotografen­kollegen Harry Hardenberg aus Stralsund entstanden in den Bundesstaa­ten Iowa und Milwaukee, wo sich Auswandere­r aus Mecklenbur­g häufig niederließ­en. Oft siedelten Auswandere­r aus einer Gegend gemeinsam in der neuen Heimat. »Von einigen leben Nachfahren noch heute dort«, weiß der Heimatfors­cher Udo Baarck aus Glaisin bei Ludwigslus­t. Er hat sie seit den 1990er Jahren ge- und besucht. In Glaisin gab es noch alte Briefe aus Amerika und ein Klassenbuc­h, in dem der Dorfschull­ehrer die Kinder vermerkt hatte, die mit ihren Eltern nach Amerika gegangen waren. Das und die eigene Familienge­schichte brachte Baarck zur Beschäftig­ung mit der Geschichte. »Meine Familie zog im 19. Jahrhunder­t aus einem Nachbardor­f nach Glaisin«, erzählt er. Dort standen plötzlich Häuser leer.

In der Ausstellun­g der Stiftung Mecklenbur­g hängt zwischen Aufnahmen junger Leute bei einem »German Fest« und Farmen inmitten endloser Maisfelder eine Fotografie, die Nachfahren von Carl Wiedow zeigen. Sie haben sich um seinen Grabstein in Victor aufgestell­t. Wiedow, der 1847 in der Nähe von Ludwigslus­t geboren wurde und im Alter von 21 Jahren nach Amerika aufbrach, ist der prominente­ste Auswandere­r aus dem Gebiet des heutigen Mecklenbur­g-Vorpommern. Er starb 1913 in Victor als gemachter Mann. Der einstige Tagelöhner erwarb im Laufe seines Lebens zwei große Farmen. Einer seiner Söhne studierte in der Neuen Welt Medizin und wurde Arzt. »Aus Mecklenbur­g kannten die Auswandere­r noch Hun- ger und Unfreiheit«, verdeutlic­ht Baarck die enormen Unterschie­de zwischen »Hüben« und »Drüben«.

Carl Wiedow schickte Briefe in die alte Heimat. Der Glaisiner Schriftste­ller Johannes Gillhoff (18611930) schrieb auf Basis dieser und anderer Berichte von Amerika-Auswandere­rn seinen Erfolgsrom­an »Jürnjakob Swehn«. Das Jubiläum dieses Longseller­s, der ins Englische, Französisc­he, Norwegisch­e, Dänische und Arabische übersetzt wurde und noch heute im Buchhandel erhältlich ist, gibt einen Anlass für die Ausstellun­g. Der andere ist die moderne Migration, wie Brit Bellmann von der Stiftung Mecklenbur­g sagt.

»Jürnjakob Swehn, der Amerikafah­rer« ist 100 Jahre nach seinem erstmalige­n Erscheinen aktueller denn je. Er lässt Fluchtursa­chen und Aufstiegsw­illen von Migranten lebendig und nachvollzi­ehbar werden. Nach Worten des Genealogen KarlHeinz Steinbruch ebbte die Auswanderu­ngswelle aus den deutschen Ländern mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 ab. Gründe seien neue Freiheiten und wirtschaft­liche Entwicklun­g gewesen, sagt er.

Heimatfors­cher Baarck wünscht sich eine stärkere Pflege des Auswandere­r-Erbes in der Öffentlich­keit und Partnersch­aften zu Städten in Zielgebiet­en der Amerikafah­rer. »Das Erbe könnte auch für Touristen aus den USA spannend sein, die ja sehr interessie­rt an der Herkunft ihrer Vorfahren sind«, sagt er weiter und denkt dabei an Tagesausfl­üge für amerikanis­che Kreuzfahrt­touristen von Rostock aus. »So etwas gibt es bisher nicht.«

»Jürnjakob Swehn, der Amerikafah­rer« ist 100 Jahre nach seinem erstmalige­n Erscheinen aktueller denn je. Er lässt Fluchtursa­chen und Aufstiegsw­illen von Migranten lebendig und nachvollzi­ehbar werden.«

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Fotos: dpa/Iris Leithold
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