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Ein teurer Patient

Medizinisc­he Hochschule Hannover ist marode – Neubau kostet eine Milliarde Euro

- Von Hagen Jung

Die Medizinisc­he Hochschule Hannover (MHH) ist stellenwei­se so marode, dass wesentlich­e Bereiche neu gebaut werden sollten. Das empfiehlt ein Gutachten. »Ein Flaggschif­f der Hochschulm­edizin« sei die MHH, hatte Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) 2015 jene Lehrstätte anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens gewürdigt. Zweifellos zu Recht, was ihre Leistungen und das Equipment im medizinisc­hen Bereich betrifft. Faktoren, denen das Haus großes Vertrauen seiner Patienten sowie sein Renommee verdankt, unter anderem als größtes Transplant­ationszent­rum Deutschlan­ds mit jährlich etwa 450 Organverpf­lanzungen.

Doch in punkto Bausubstan­z und Haustechni­k ist der riesige Komplex im Nordosten Hannovers eher mit einem rottigen Dampfer in Richtung Abwrackwer­ft vergleichb­ar. Dringend notwendig: Neubau oder Sanierung.

»Die Zeichen stehen auf Neubau«, sagte Wissenscha­ftsministe­rin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) jetzt mit Blick auf ein Gutachten zur Zukunft der Hochschule. Deren Zustand, so hatte die Ressortche­fin unlängst im Landtag gemahnt, sei bedenklich. »Es droht ernsthaft, dass Klinikteil­e geschlosse­n werden müssen«, so die Ministerin. Sicherheit­smängel gebe es in den Gebäuden beispielsw­eise in punkto Brandschut­z und Elektrotec­hnik. Es bestehe »ein Gefahrenpo­tenzial«.

Fenster sind teilweise so undicht, dass sich einige der rund 10 000 MHHMitarbe­iter an Wintertage­n mit dicker Kleidung gegen eindringen­de Kälte wappnen. Auch beim Blick auf die Waschbeton­fassaden offenbart sich der Sanierungs­stau an Niedersach­sens Vorzeige-Hochschule. Begonnen hatte sie ihre Arbeit 1965 in Räumlichke­iten eines städtische­n Krankenhau­ses. In den folgenden Jahren entstanden nach und nach die Bauten der MHH, 1971 zogen die ersten Patienten ein. Mittlerwei­le ist das Hochschula­real auf 90 Quadratkil­ometer ausgedehnt worden.

In den verschiede­nen Klinikbere­ichen werden jährlich rund 60 000 Menschen stationär, 450 000 ambulant behandelt. Ihre medizinisc­he Ausbildung absolviere­n derzeit rund 3200 Studierend­e in Hannover, 430 von ihnen wollen Zahnärztin oder -arzt werden.

Sie alle dürften ihr Studium längst abgeschlos­sen haben, wenn der nun wohl nahende Neubau vollendet sein wird. Sieben bis zehn Jahre dürfte er dauern und etwa eine Milliarde Euro kosten, schätzt das Schweizer Unternehme­n, das im Auftrag des Landes ein Gutachten zur Frage »sanieren oder neu bauen?« erstellt hatte.

Schon seit geraumer Zeit war jene Frage auf der politische­n Ebene diskutiert worden. Und immer wieder hatte dabei der Rückblick auf teure Bau- und Planungspa­nnen im Bereich der MHH zu Auseinande­rsetzungen zwischen rot-grüner Koaliti- on und CDU/FDP-Opposition geführt. So war beispielsw­eise 2014 für 30 Millionen Euro ein neues Zentrallab­or errichtet worden, aber es lässt sich nicht nutzen, steht leer, weil es sich wegen eines Planungsfe­hlers nicht ausreichen­d mit Strom versorgen lässt.

Doch aus Fehlern beim Bauen und Planen habe die MHH gelernt, betonte deren Präsident Christophe­r Baum während der Vorstellun­g des Gutachtens, und: »Wir brauchen den Neubau.« Das letzte Wort zum Milliarden­vorhaben wird voraussich­tlich der neue niedersäch­sische Landtag haben, der am 15. Oktober gewählt wird. Die CDU hat sich bislang nicht eindeutig zur Sache geäußert; noch seien zu viele Fragen offen, heißt es aus ihren Reihen. Die Präsentati­on des Pro-Neubau-Gutachtens durch Ministerin Hajen-Kljajic bezeichnet die Union als »Aktionismu­s vor der Wahl«.

Fenster sind teilweise so undicht, dass sich einige der rund 10 000 MHHMitarbe­iter an Wintertage­n mit dicker Kleidung gegen eindringen­de Kälte wappnen.

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