Kosmisches Kidnapping
Erinnerungen anlässlich einer neuen Ausstellung der Rosa-Luxemburg-Stiftung – kühne Weltallträume in der DDR
Eigentlich gehörte Science Fiction – oder Wissenschaftliche Phantastik, wie sie in der DDR genannt werden sollte – eher zu den randständigen Gebieten der Kulturproduktion. Ergoss sich noch zu Kaisers Zeiten eine Flut von Zukunftsentwürfen auf die Leserschaft, die wahlweise das neue Maschinenelysium oder die blutige Diktatur der Sozialdemokraten beschworen, und wurden ernstzunehmende »Phantasten« wie Jules Vernes, Kurd Laßwitz oder Edward Bellamy, den Clara Zetkin aus dem Englischen übersetzt hatte, in großen Auflagen verbreitet, verengte sich der Blick auf die Zukunft in der Nazizeit vor allem auf militärtechnische Aspekte. Der linientreue Hans Dominik etwa schrieb über Raketen und energetische Tarnkappen, während in Peenemünde an der Wunderwaffe gebaut wurde. Das Genre schien diskreditiert, die Technikzeitschriften blieben irdisch.
Das änderte sich mit dem Aufstieg der Kybernetik und dem beginnenden Sputnikzeitalter. Die noch junge DDR sah sich durchaus berufen, mit eigenen Ingenieursleistungen an den Erfolgen des Großen Bruders teilzuhaben und die Raumfahrt zu einer (ost-)deutschen Domäne zu machen. 1956 erschien der von Karl Böhm und Rolf Dörge verfasste Band »Gigant Atom« in grafisch aufwendiger Ausstattung – ein populärwissenschaftlicher Blick auf ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte mit bemannter Raumfahrt und Stationen im Orbit, der aber auch nicht die tödlichen Risiken verschwieg; die Endlagerfrage war damals schon eine ungelöste.
Die selben Autoren setzten noch eins drauf: Für den Folgeband »Auf dem Weg zu fernen Welten« wurde gleich das gesamte Illustratorenkollektiv der populären Comiczeitschrift »Mosaik« verpflichtet. Er erschien 1958, und nicht zufällig fanden sich die Helden des erwähnten »Mosaik«, die zuvor die Provinzen des Römischen Reiches mit ihren Späßen unsicher gemacht hatten, durch klassisches Kidnapping durch Außerirdische aus der Antike ins kosmische Zeitalter versetzt. Bereits ihr erstes Abenteuer führt sie auf den Mond und anschließend auf den sandigen Mars, wo ihr Raumschiff von notgelandeten gegnerischen Raumfahrern gekapert werden soll. Und schon sind die Leser mittendrin im Kalten Krieg der Bilderwelten, wo sinistre Agenten im Hawaihemd in futuristischen Landschaften agieren und der gesamtdeutsche Muff der Nachkriegszeit fröhlich durch den Kakao gezogen wird. Wie ganz nebenbei wird Technik – gegenwärtige (bis 1962) und künftige – mit Rückblicken auf berühmte Erfinder erklärt.
In Groschenheften wie »Das neue Abenteuer« veröffentlichen DDR-Autoren utopische Erzählungen, die Reihe »KAP – Krimi, Abenteuer, Phantastik« trägt das Programm schon im Titel. Dem Dresdner Ingenieur Eberhard del’ Antonio gelingt mit »Titanus« (1959) und »Die Rückkehr der Vorfahren« (1966) mit insgesamt 500 000 verkauften Exemplaren ein veritabler Bestseller. Die Monatszeitschrift »Frösi« übernimmt ab 1964 die von Marcello Argilli für die »L’ Unita« gezeichnete Serie um den liebenswerten Roboter Atomino und seine kämpferische Freundin Smeraldina und baut diese eigenständig mit Reisen in den Kosmos aus.
Der Karikaturist Erich Schmitt, der Einzelbilder und kurze Strips für Berliner Zeitungen zeichnet, nähert sich 1965 mit seinem eher begriffsstutzigen Roboter in der Serie »Kollege Blech« der Zukunft. 1962 schickt er die Raumkadetten Adam und Evchen auf Weltraumhochzeitsreise, die prompt in einem »uups, wie war das mit dem Hebel« und einer Bruchlandung auf einem fremden Planeten endet. Einen Coup landet Schmitt aber bereits mit seiner Stripserie von 1955 um den Berliner Weltraumingenieur Karl Gabel, der mit dem Autor Bäuchlein, »dit kleene Schnäuzerchen« und die Vorliebe für Gurkensalat und Bier gemein hat. Die Expeditionen zu fernen Planeten starten in der Urfassung von einer deutsch-deutschen, in nachfolgenden Überarbeitungen von einer internationalen Raumstation aus und werden von Schmitt beständig ausgebaut.
Der Trubel um den Weltraumflug des ersten deutschen Kosmonauten, Sigmund Jähn, im Jahre 1978 beflügelt noch einmal das Genre, aber der Optimismus der 1950er und 60er Jahre hat ausgedient. Die Science Fiction wird elegischer, Autoren wie Angela und Karl-Heinz Steinmüller fragen nach den Tiefen und Untiefen menschlicher Existenz in einem unverstandenem All, nach den Grenzen technischer Ratio. Und fast ist man geneigt, als Schlusspunkt den sarkastischen Abgesang auf die Technikverherrlichung durch das Karl-MarxStädter Klangkollektiv »AG Geige« von 1989 zu zitieren: »Bahn frei dem Atomflugzeug / mit Atomuhr und Benzinspur«.
Die noch junge DDR sah sich durchaus berufen, mit eigenen Ingenieursleistungen an den Erfolgen des Großen Bruders teilzuhaben und die Raumfahrt zu einer (ost-)deutschen Domäne zu machen.
Am heutigen Montag wird im Bürogebäude am am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain um 18 Uhr die Ausstellung »Gagarins Vermächtnis« der Rosa-Luxemburg-Stiftung eröffnet. Um 19 Uhr folgt eine Podiumsdiskussion mit den Kosmonauten Sigmund Jähn, Eberhard Köllner und Oleg W. Nowizki.