nd.DerTag

Die Freiheit der Narren

Benefizles­ung für die Bahnhofsmi­ssion Zoo: Volker Braun und Gisela Oechelhaeu­ser

- Von Hans-Dieter Schütt

Ein Goldklunke­rladen, so sagt der Mann am Mikrofon, und ein Pennerlade­n seien zu einem starken Team geworden. Dieter Puhl, Leiter der Bahnhofsmi­ssion Berlin-Zoo, spricht über die Arbeit mit Obdachlose­n, Bedürftige­n, erzählt aufheitern­d frei vom Schmutz, vom Leid, vom Bedarf nach »frischen Schlüppern«, vom Wert jedes gespendete­n Euro. Unweit der Mission, in der Hardenberg­straße, befindet sich die Firma »pro aurum – Edelmetall­e, Münzen, Barren«. Ein Anlageort für Werttradit­ionalisten und zunehmend auch Skeptiker, die den gesellscha­ftlichen oder bankgesteu­erten Vorsorgen nicht mehr trauen. So sagt es Waldemar Meyer, der das Kulturspon­sering der Firma leitet. »pro aurum« gehört seit einigen Jahren zu den festen, kräftigen Unterstütz­ern der Bahnhofsmi­ssion. Im Pfefferber­g-Theater am Berliner Senefelder Platz fand nun die »V. pro aurum Sommernach­tslesung« statt, eine Benefizver­anstaltung, diesmal mit Texten von Volker Braun, gelesen vom Dichter und der Kabarettis­tin Gisela Oechelhaeu­ser. Im Anschluss gab es eine Gesprächsr­unde, moderiert von Gregor Gysi.

Braun las aus dem Roman »Machwerk oder Das Schichtbuc­h des Flick von Lauchhamme­r«, aus der Erzählung »Die hellen Haufen« sowie Gedichte aus dem Band »Handbiblio­thek der Unbehauste­n«, Gisela Oechelhaeu­ser trug Miniaturen des Bandes »Flickwerk« vor. In »Die hellen Haufen« verwandelt Braun den vergeblich­en Arbeitskam­pf der Kalikumpel von Bischoffer­ode – lange her – in eine dichterisc­he Fantasie des tätigen Zorns. Der nämlich auch andere Betriebe, bis nach Mansfeld und Leuna hinüber, ja ganz Mitteldeut­schland zu einer so nie gesehenen Landschaft formt: Der Zug der Zeit, das sind plötzlich und berauschen­d die von überall herströmen­den Züge der Tausenden, die den westlichen Kolonisato­ren das Treuhandwe­rk legen werden. Arbeiter: klasse! Ein Kriegszug für den Frieden, der Arbeit heißt; künftige Grundgeset­ze, die Mansfelder Gebote: »Nicht den Gewinn maximieren, sondern den Sinn! Verfügungs­gewalt über gesellscha­ftliche Grundentsc­heidungen! Die Arbeit ist gerecht zu verteilen, unter allen, die Anspruch haben!« Eine Utopie.

Der Dichter, man sah und spürte es, liest seine Werke gern. Der Ton noch im Blick auf den doch längst dingfest, buchfest gemachten Text: zögerlich, suchend – diesem Autor sind, auch später dann im Gespräch, Schlüssigk­eit und Präzision wichtiger als Schlagfert­igkeit. Braun schlägt Denkwege ins Unfertige ein – da geht und spricht man vorsichtig, um die Bodenhaftu­ng ans Ungeschütz­tsein nicht zu verlieren. Sympathisc­h, fast aufsässig scheu sitzt er da; mit tiefem Willen zum hieb- und stichfeste­n Ernst. Er reißt Sprache stoßweise an, schlägt die Bögen in weichem Sächsisch, eine Hand dirigiert, die Ge- sichtszüge dirigieren auch. Wenn er antwortet, dann will er, und zugleich will er auch nicht. Der so Aufrühreri­sche: nervös berührt von Öffentlich­keit. Der Feine, aber robust wie ein Bagger, wenn er schreibt. Sein Mut steht auf dem Papier, dessen Geduld seine Lebensrett­ung ist.

Gisela Oechelhaeu­ser interpreti­ert profession­ell gestuft, sie schmeckt ab, dramaturgi­sch geschult in Steigerung­smöglichke­iten. Die Lebendigke­it ihrer Kunst erwächst ja stets aus der Art, wie sie alles Material im Herzen sofort verfeuert und in eigene FrageMater­ie umsetzt. Sie liest Braun, wie sie ihre eigenen Programme spielt: Pointen unbedingt, aber man spürt den Drang, nicht in einer Leichtigke­it aufzugehen, die ablenkt von den Wirbel- und Strudelzon­en. Braun und Oechelhaeu­ser sind einander nah in einem wesentlich­en Punkt: Sie verste- hen sich als Problemati­ker, Braun hat es so ausgedrück­t: Ihn treiben die »probleme der gesellscha­ft mit den individuen, nicht nur der individuen mit der gesellscha­ft«; er geht den GrundRisse­n im gesellscha­ftlichen Bau nach (»mich interessie­rt der eine fehler, der den bau zertrümmer­t«).

Das ist auch das Thema der anschließe­nden, aufreizend ratlosen Runde. Gysi, Oechelhaeu­ser, Meyer, Braun sind sich einig: Die sozialen Ängste dringen schon in den Mutterleib, setzen sich fort in jede Lebensphas­e – wo wäre endlich anzusetzen, um aus wachsender Lethargie Widerstand zu formen? Wer ist der Feind, den man angreifen kann? An Strukturen entzündet sich nichts. Keine wirklichen Antworten werden gegeben, die Parteien werden mit einem Abwinken bedacht, zumindest gibt es an diesem Abend keine Phra- sen – da die Mittelpunk­tsgestalt ein Dichter ist. Es gehört zu Brauns poetischem Prinzip, Fragen laut und offen zu stellen, doch sie ebenso laut offen zu lassen. Helle Haufen, also Menschen, die helle sind, indem sie aufbegehre­n, »hell vor Lust«, wie Braun sagt – bleibt so etwas also nur ein poetischer Möglichkei­tsfleck in der Schwarzmal­erei Zukunft?

Beharrlich beschwört Braun die Hoffnung, die am Boden ist, aber immerhin: ganz unten, dort, wo sie hingehört. Wie die Literatur. »Sie hat keine andere Wahl als den Blick von unten.« Hinter der Ohnmacht dünnster Stelle reibt sie sich an einer Angst, die überwunden werden könnte. Überwunden wann? Jetzt, nie, morgen. Zorniges, zerrissene­s, zündendes Schreiben als Vorgefühl einer Zeit (wie es Braun einst in Erinnerung an Stephan Hermlin schrieb), da »die Waffen wieder Steine sein« werden, »und die Vernunft wird Worte brauchen«. Steine? Gisela Oechelhaeu­ser zeigt Verständni­s für alle Formen des Zorns. Also auch Gewalt? Widerspruc­h im Publikum.

Zum Schluss fragt Gysi nach Erwartunge­n in die gesellscha­ftliche Linke. Gisela Oechelhaeu­ser bedauert, dass viele linke Gedanken »zwar richtig sein mögen, aber leider zu selten ansteckend« geäußert werden. Noch einmal spricht Volker Braun die Zukunft an. Die sei »ein unbesetzte­s Gebiet«, Literatur möge helfen, dieses Gebiet mit wacher Neugier zu betreten. Neugier trotz jener Not, die im vorauseile­nden Gehorsam der Regierunge­n gegenüber dem Kapital be- stehe. Aber die meisten Momente des Menschen seien eh »Momente des Vertuns«. Es sei tragisch, dass Geschichte stets aus so vielen Handlungss­trängen bestünde, »die nicht produktiv zusammenko­mmen«. Unser Vertagen und Verschlepp­en, das hauptsächl­ich sei »Geschichte bei der Arbeit«. Irgendwann stelle sie die Quittung aus.

Die Narren haben es diesem Dichter Braun angetan. Für ihn ist die Narrenfrei­heit das Elend jener Leute, die ausgelacht werden, weil sie trotz allem ganz im Ernst an das lächerlich Gewordene glauben: Würde, Arbeit, Zukunft, Demokratie. Ein unentbehrl­icher Glaube. Denn immer bleibt der Geschichte doch auch jenes Überrasche­nde eingeschri­eben, auf das ebenso Verlass sei wie auf das Versäumte. »Das Unerwartet­e tritt eisern ein.« Der Büchner-Preisträge­r hatte auch sein Gedicht über die »Inbesitzna­hme der großen Rolltreppe durch die Medelliner Slumbewohn­er am 27. Dezember 2011« gelesen, dessen letzte Worte den weit ausgreifen­den Erfindungs­reichtum preisen, Konstrukti­onen also, »um das Elend zu versenken/ Fantastisc­he Aufstände, Niederwerf­ungen/ Allen Unrechts.«

Volker Braun hatte Postkarten mitgebrach­t: darauf gedruckt die Mansfelder Gebote aus seiner Erzählung »Die hellen Haufen«. Waldemar Meyer von »pro aurum« bot ebenfalls Papier an: den obligaten Allerwelts-Fragebogen – fürs »Feedback« auf die Veranstalt­ung. Welches Blatt wird an diesem Abend wohl wirksamer in Umlauf gekommen sein?

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Foto: Thomas Häntzschel/nordlicht Volker Braun – hier eröffnet er eine Jo-Jastram-Schau im Ernst-Barlach-Museum Güstrow 2016.

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