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Heiß begehrt

Bei der öffentlich­en Kinderbetr­euung gibt es noch Luft nach oben. Darin sind sich die derzeitige­n Bundestags­parteien einig

- Von Stefan Otto

Eigentlich besteht kein Zweifel, dass in der kommenden Legislatur­periode der Kita-Ausbau fortgesetz­t wird. Die Frage ist nur, wie weitreiche­nd er sein wird und wer für die Kosten aufkommt. Der Kita-Ausbau geschieht manchmal Hals über Kopf. Im Zuge des eingeführt­en Rechtsansp­ruchs im August 2013 wurden in den vergangene­n zehn Jahren mehr als 400 000 neue Einrichtun­gen geschaffen. Weil die Ausbildung von Betreuungs­personal aber nicht nachkommt, ist vielerorts ein Ungleichge­wicht entstanden. »Wir brauchen mehr Personal in den Einrichtun­gen, gestärkte KitaLeitun­gen, passgenaue Öffnungsze­iten«, sagte unlängst die Familienmi­nisterin Katarina Barley (SPD). Im- mer wieder kommt es nämlich zu Engpässen bei der Betreuung. In Berlin beispielsw­eise führt der Fachkräfte­mangel dazu, dass Hunderte Plätze ungenutzt bleiben müssen. Auch im niedersäch­sischen Gifhorn fehlen Pädagogen. Insbesonde­re bei Vertretung­skräften sei es schwierig, Betreuungs­personal zu finden, erläutert eine Sprecherin der Stadt.

Doch trotz dieser andauernde­n Betreuungs­lücken ist der begonnene Kita-Ausbau ein Erfolgsmod­ell. Längst reichen die 750 000 Plätze, die die Bundesregi­erung auf dem Krippengip­fel vor zehn Jahren anvisiert hat, nicht mehr aus. Die Nachfrage ist gestiegen. Annähernd die Hälfte der Eltern (46 Prozent) wollen inzwischen ihre Kleinkinde­r in die Betreuung geben. Viel mehr als noch vor einigen Jahren. Nach Berechnung­en des arbeitgebe­rnahen Instituts für Wirtschaft (IW) fehlen insbesonde­re in Westdeutsc­hland derzeit weiterhin etwa 262 000 Plätze, in Ostdeutsch­land 31 000.

Dieser gestiegene Bedarf deutet auf einen Wandel bei den Einstellun­gen der Eltern hin. Mütter drängen nach der Geburt ihres Kindes zeitiger als noch vor einigen Jahren in den Job zurück, während viele Väter danach streben, ihre Arbeitszei­t zu reduzieren, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Bei ihren Wünschen, wie sie das Familien- und das Berufslebe­n miteinande­r verbinden wollen, haben sich die Geschlecht­er in den vergangene­n zwei Dekaden merklich angenähert.

Auf diesen gesellscha­ftlichen Wandel und die neu gestellte Frage einer Vereinbark­eit von Familie und Arbeit reagieren auch die Parteien in ihren Wahlprogra­mmen. Alle derzeit im Bundestag vertretene­n Parteien sprechen sich für einen Kita-Ausbau auch in der kommenden Legislatur­periode aus. Die Grünen fordern zudem ein Qualitätsg­esetz, um die Standards künftig verbindlic­h festzulege­n. Ihr Modell sieht einen Betreuungs­schlüssel mit einer Verteilung von vier Kindern unter drei Jahren und zehn ältere Kindern pro Erzieher oder Erzieherin vor. Die Linksparte­i fordert einen noch weitreiche­nderen Personalsc­hlüssel. Demnach soll sich im Schnitt eine Fachkraft um drei Kinder unter drei Jahren sowie acht ältere Kita-Kinder kümmern. Auch Erziehungs­wissenscha­ftler empfehlen einen solchen Schnitt.

Die frühere Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) hatte es in ihrer Amtszeit nicht geschafft, sich mit einem Vorstoß für ein Betreuungs­ge- setz innerhalb der Großen Koalition durchzuset­zen. Sie scheiterte maßgeblich an den Kosten, die solche verbindlic­hen Vorgaben verursache­n, denn dann müssten Tausende Erzieherin­nen und Erzieher zusätzlich eingestell­t werden. Die Bertelsman­nStiftung geht aktuell von einem Bedarf von zusätzlich 107 200 vollzeitbe­schäftigte­n Fachkräfte­n aus, um den wissenscha­ftlichen Empfehlung­en nachzukomm­en. Nach Berechnung der Bertelsman­n-Stiftung müssten dafür jährlich zusätzlich 4,9 Milliarden Euro bereitgest­ellt werden.

Zwar besteht grundsätzl­ich zwischen den derzeitige­n Bundestags­parteien Einigkeit über die Fortführun­g des Kita-Ausbaus, aber es bleibt abzuwarten, ob die künftigen Regierungs­parteien einen weiteren Anlauf nehmen werden, um die Qualität verbindlic­h zu regeln.

Unterschie­dliche Konzepte verfolgen die Parteien, um die Eltern an den Kosten zu beteiligen. Linksparte­i und SPD fordern eine Gebührenfr­eiheit, um niemandem Chancen zu verbauen. Die AfD hat zuletzt in den Kita-Gebühren gar eine Bestrafung der Eltern gegenüber Kinderlose­n gesehen. Ganz anders argumentie­ren die Union und die Grünen. Sie plädieren für eine einkommens­abhängige Zuzahlung. Die FDP möchte die Finanzieru­ng von Kitas und Schulen generell auf Bildungsgu­tscheine umstellen. Für jedes Kind erhalten Eltern einen Gutschein, den sie bei dem Träger einlösen können. Damit wollen die Liberalen zum einen mehr Transparen­z bei der Mittelzuwe­ndung schaffen. Da sie bei öffentlich­en wie privaten Trägern einzulösen sind, verspricht sich die FDP auch mehr Wettbewerb unter den Einrichtun­gen.

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