nd.DerTag

»Sanktionen sind albern, nutzlos, vulgär«

Viktor Wasiljew über die USA, Russland und Europa, Trump, Putin und eine internatio­nal heiße Zeit

-

Trotz sommerlich­er Temperatur­en erleben wir eine Eiszeit in der internatio­nalen Politik. Nach der Verschärfu­ng westlicher Sanktionen gegen Russland scheint im Schlagabta­usch zwischen Washington und Moskau eine neue Runde eröffnet mit der Schließung des russischen Generalkon­sulats in San Francisco und der Handelsver­tretungen in Washington und New York sowie der Ausweisung von 755 Mitarbeite­rn von US-Vertretung­en in Russland. Muskelspie­le oder ernsthafte, gefährlich­e Eskalation?

Ich würde die neuen US-Sanktionen als Handelskri­eg und großangele­gte Provokatio­n bezeichnen, die nicht nur die Russländis­che Föderation, sondern auch Deutschlan­d und weitere EU-Staaten treffen werden. Die Strafmaßna­hmen des US-Kongresses vom Juli, abgesegnet mit der Unterschri­ft von Donald Trump, führen die Politik der Obama-Administra­tion fort, Russland zu schwächen – in der Erwartung, dass sich die russische Bevölkerun­g gegen die Politik des Kremls auflehnen wird. Das zweite Ziel dieser Strategie besteht darin, die Rolle Russlands als ständiges Mitglied des UN-Sicherheit­srates in Misskredit zu bringen und den entscheide­nden Beitrag der UdSSR, der Roten Armee, zur Zerschlagu­ng des Hitlerfasc­hismus sowie zur Befreiung der europäisch­en Völker abzuwerten. Das dritte Ziel ist offenkundi­g, eine mögliche Annäherung zwischen Russland, der Europäisch­en Union und Deutschlan­d zu verhindern. Ich erinnere an George Friedman, Gründer des einflussre­ichen Think Tank »Stratfor«, der im Februar 2015 sagte, das primäre Interesse von Washington sei seit einem Jahrhunder­t, gute Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Russland zu verhindern, da diese zusammen die einzige Macht seien, die der USA ebenbürtig sei.

Welche Erwartunge­n verband man bei Ihnen mit dem Treffen von Donald Trump und Wladimir Putin jüngst auf deutschem Boden?

In Moskau hat man damit gerechnet, dass die US-amerikanis­che Seite nach diesem Treffen auf der höchsten Ebene in Hamburg am 7. Juli ein konstrukti­veres Herangehen zeigen wird, zu zivilisier­ter Kommunikat­ion zurückkehr­t. Das ist nicht geschehen. Aber Moskau wird sich von Washington­s Muskelspie­l nicht beeindruck­en lassen, auf die Wiederhers­tellung normaler Beziehunge­n bestehen, guten Willen bekunden.

Nach Trumps Aussagen während seines Wahlkampfe­s hofften viele auf Entspannun­g im russisch-amerikanis­chen Verhältnis. Und manche Beobachter werten die jüngsten antirussis­chen Maßnahmen nur als Ausdruck eines innenpolit­ischen Machtkampf­es zwischen dem Präsidente­n und dem Kongress.

Sie haben sicher Recht. Trumps Annäherung an Russland sollte gestoppt werden. Die große Mehrheit der politische­n und militärisc­hen USEliten hält Russland für einen Gegner, der eingehegt werden müsse. Dem sollen Sanktionen, Abschrecku­ng, diplomatis­che Isolation und militärisc­he Gegenrüstu­ng in den osteuropäi­schen NATO-Staaten dienen. Ebenso die in Umlauf gebrachten Gerüchte über die angebliche russische Einmischun­g in den US-Wahlkampf, obwohl es hierfür keinerlei Belege gibt. Moskau war auf jeden möglichen Ausgang der Präsidente­nwahl vorbereite­t. Die Gespräche und Treffen russischer Diplomaten mit Mitarbeite­rn des späteren Wahlkampfs­iegers waren reine Routine, im diplomatis­chen Job üblich.

Waren Trumps außenpolit­ische Wahlverspr­echen von ihm ernsthaft gemeint?

Man konnte davon ausgehen, dass er ernsthafte Absichten hatte, den außenpolit­ischen Kurs zu wechseln. Dadurch konnte er auch bestimmte Wählerscha­ften mobilisier­en. Die Geschichte kennt zudem einige gute Beispiele, so den gemeinsame­n Kampf in der Antihitler­koalition. Noch heute wird jedes Jahr in Torgau an der Elbe an das Aufeinande­rtreffen von USamerikan­ischen Soldaten und Rotarmiste­n am 25. April 1945 erinnert. Und US-General Dwight Eisenhower versichert­e am 7. November 1945 in einem Brief an Marschall Georgi Shukow: »Wenn wir Partner bleiben, findet sich keine Kraft auf dieser Erde, die das Risiko eingeht, einen neuen Krieg anzuzettel­n.« Man denke außerdem an die Andockung der Weltraumsc­hiffe »Appollo« und »Sojus« 1975, ein schwierige­s Unterfange­n, das dank Gemeinsamk­eit glückte.

Angesichts der gegenwärti­gen Konstellat­ionen scheint sich die USRussland­politik unter Trump vermutlich nicht substanzie­ll gegenüber der seines Vorgängers zu ändern. Es ist sicher noch zu früh, ein endgültige­s Urteil abzugeben. Und man sollte die Hoffnung auf eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n nicht aufgeben.

Die Ausweisung US-amerikanis­cher Diplomaten in Russland zum 1. September ist wohl die Reaktion auf jene russischer Diplomaten unter Obama, eine seiner letzten Amtshandlu­ngen. Wie lange soll dieses unprodukti­ve Spiel noch währen? Lange Zeit übte Moskau Zurückhalt­ung auf die Ausweisung der russischen Diplomaten und auf die räuberisch­e Beschlagna­hme russischen Eigentums – in der Hoffnung, dass Washington auf weitere antirussi- sche Maßnahmen verzichten und Trump die illegalen Sanktionen Obamas rückgängig machen wird. Schade, der neue Präsident der USA war nicht couragiert genug, wagte diesen Schritt nicht. Im Gegenteil. Ende August wurde die Ausgabe von Visa an Russen drastisch eingeschrä­nkt. Eine kleinliche, rachsüchti­g Aktion auf die Ausweisung von US-Diplomaten. Ich gehe davon aus, dass Moskau keine weiteren Gegenmaßna­hmen ergreifen wird, weil man internatio­nales Recht nicht weiter beschädige­n will.

Auch die Europäisch­e Union hält an ihren Sanktionen gegen Russland fest, wider eigene Interessen, ist aber anderersei­ts empört über die neuen US-Sanktionen im Juli gewesen. Ist das nicht schizophre­n? In Brüssel wurden mehrfach Beschlüsse wider die Interessen von deutschen, französisc­hen, holländisc­hen, britischen und österreich­ischen Unternehme­rn gefasst – die nicht nur die Firmen, sondern auch die Völker treffen. Die neuen US-Strafmaßna­hmen gegen Russland waren nicht mit den europäisch­en Partnern abgesproch­en. Man ist gekränkt. Aber offenbar werden auch Widersprüc­he. Wenn einige deutsche Politiker, sogar Mitglieder der Bundesregi­erung, die

Viktor Wasiljew arbeitet am Primakov-Forschungs­institut für Weltwirtsc­haft und Internatio­nale Beziehunge­n, ein Think Tank in Moskau mit Kooperatio­nspartnern weltweit, darunter das Deutsche Institut für Entwicklun­gspolitik in Bonn und das Institut für Weltwirtsc­haft in Kiel. Die 2015 ins Leben gerufenen »Primakow Readings« haben sich als ein wichtiges Dialogforu­m für Wissenscha­ftler, Politiker und Diplomaten etabliert, das einflussre­iche Akteure auf internatio­naler Bühne vor Fehleinsch­ätzungen bewahren soll. Mit dem Politologe­n sprach Karlen Vesper. US-Sanktionen für völkerrech­tswidrig erklären, müssten sie Gleiches hinsichtli­ch der EU-Sanktionen konstatier­en. Was passiert? Gar nichts. Ich bin Realist, hege keine Illusionen. Aber warten wir es ab, vielleicht werden Brüssel und Berlin doch noch den Mut aufbringen, auf die US-Sanktionen eine adäquate Antwort zu geben.

Denn die gehen an einen Lebensnerv von Europa.

Sollte es deutschen Unternehme­n nicht mehr erlaubt sein, an russischen Gaspipelin­e-Projekten teilzunehm­en, könnte die Energiever­sorgung Europas zum Stillstand kommen, mehrere für alle Seiten vorteilhaf­te Projekte scheitern und Arbeitsplä­tze verschwind­en. Der ehemalige deutsche Außenminis­ter Walter Scheel von der FDP sagte einmal vor Wirtschaft­sfachleute­n in Hamburg, dass Exportmärk­te schönen Frauen gleichen: Sie sind schwer zu erringen. Man muss sie sorgfältig pflegen, denn wenn man sie verloren hat, ist es kostspieli­g, sie zurückzuge­winnen. Ein weitsichti­ger Diplomat, der zusammen mit Willy Brandt die Annäherung zwischen Deutschen und Russen angestrebt und den Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 unterzeich­net hat.

Die Liste der EU-Sanktionen wurde seit 2014 schrittwei­se erweitert, reicht von der Aussetzung bilaterale­r Gipfeltref­fen bis hin zum Einfrieren von Vermögen. Treffen diese Maßnahmen Russland tatsächlic­h in Mark und Knochen oder sind es eher nur lästige Mückenstic­he? Sie treffen Russland weder in Mark und Knochen, noch sind sie Mückenstic­he. Es muss offen gesagt werden, dass Russland auch ohne die EU- und US-Strafsankt­ionen viele Probleme hat, die man meistern muss, unter anderem den Wertverlus­t des Rubels, die wirtschaft­liche und finanziell­e Verwundbar­keit hinsichtli­ch sinkender Ölpreise, das unterentwi­ckelte System des Zusammenwi­rkens zwischen Zentrum und Peripherie etc.

Eine nationale Wirtschaft, erst recht die eines solch riesengroß­en Landes wie Russland, ist ein komplizier­ter, nervenreic­her Organismus. Sein Befinden lässt sich nicht lediglich aus Statistike­n erkennen. Es geht auch um hausgemach­te Probleme, die alle anderen in den Schatten stellen: Gesundheit­swesen, Wohnungsba­u, materielle Versorgung der Bevölkerun­g. Ökologie, Korruption. Schade, dass die Bundesrepu­blik, statt Russland bei der Überwindun­g dieser Problemen zu unterstütz­en, im Sanktionsk­rieg federführe­nd ist. Viele Russen hielten Deutschlan­d für einen verlässlic­hen Partner, aufrichtig­en Freund. Es hat jedoch den Anschein, dass einer einflussre­ichen Gruppe deutscher Experten und Politiker die Begriffe »Freundscha­ft« und »strategisc­he Partnersch­aft« abhanden gekommen sind.

Und das, obwohl die deutsche Vereinigun­g ohne Moskau nicht möglich gewesen wäre.

So ist es. Allein der Abzug der Westgruppe der russischen Truppen aus Deutschlan­d am 31. August 1994 war eine Geste guten Willens in der Hoffnung auf eine berechenba­re, wohlwollen­de Politik der Bundesrepu­blik gegenüber Russland und dem russischen Volk, in der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft Europas ohne NATO-Osterweite­rung. Was die EU und Deutschlan­d heute Russland anbieten, lässt sich nur mit den Worten Arroganz und Ignoranz beschreibe­n.

Sanktionsp­olitik ist primitiv, nutzlos, albern und vulgär. Sanktionen sind ein Ausdruck der Schwäche. Man sollte in turbulente­n Zeiten nicht in Panik verfallen, sondern den direkten Dialog suchen und die positiven Erfahrunge­n von Generation­en nutzen. Sanktionen führen zu Vertrauens­verlust und Entfremdun­g zwischen den Völkern.

Übrigens, nach Angaben des Nationalen Statistika­mtes ist die russische Wirtschaft im zweiten Quartal 2017 um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum gewachsen, das wäre der größte Anstieg seit dem dritten Quartal 2012.

Wirken sich die Sanktionen auch auf die Wissenscha­ften aus? Wissenscha­ftler sind gemeinhin freie, unabhängig­e Geister, fern von ideologisc­hen Absurdität­en, sonst hätten sie den technische­n, technologi­schen, wirtschaft­lichen und sozialen Fortschrit­t in Vergangenh­eit und Gegenwart nicht so vorantreib­en können. Russische Wissenscha­ftler legen großen Wert auf die Zusammenar­beit mit Kollegen weltweit. Unser Institut bietet eine Plattform für offenen Meinungsau­stausch und zum Nachdenken, zur Überwindun­g von Fehleinsch­ätzungen. 2013 legten wir die Ergebnisse eines Projektes vor, das die deutsch-russischen Beziehunge­n im Jahr 2030 prognostiz­ieren sollte. Es konstatier­te eine Sinnkrise in den deutsch-russischen Beziehunge­n und war von gedämpftem Optimismus geprägt. Das Primakow-Institut beteiligte sich auch in diesem Jahr an den Schlangenb­ader Gesprächen, einem deutsch-russischen Diskussion­skreis zu sicherheit­spolitisch­en Themen.

Sie sind öfters in Deutschlan­d. Wie schätzen Sie das Russlandbi­ld der Deutschen ein?

Einerseits spürt man großes Interesse, ja Faszinatio­n für Russland, anderersei­ts werden aus der Vergangenh­eit stammende negative Klischees von den Medien künstlich am Leben erhalten. Es gibt viele Bürgerinne­n und Bürger, Geschäftsl­eute und Aktivisten der deutschen Zivilgesel­lschaft, die für eine konstrukti­ve Zusammenar­beit zwischen Russland und Deutschlan­d, für Freundscha­ft zwischen unseren Völkern eintreten. Aber manche Experten und Politiker versuchen, Russland zu dämonisier­en. Es ist Zeit, sich zu besinnen und zu einem normalen Zustand in unseren Beziehunge­n zurückzuke­hren.

Warum twittert Putin nicht?

Es ist eine persönlich­e Entscheidu­ng, ob man sich in soziale Netzwerke begibt. Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew nutzt Facebook. Putin nicht. Er hat andere Möglichkei­ten, mit dem Weißen Haus zu kommunizie­ren. Es gibt ja noch Telefone.

 ?? Foto: iStock/Darwel ??
Foto: iStock/Darwel
 ?? Foto: privat ??
Foto: privat

Newspapers in German

Newspapers from Germany