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Finnland macht’s vor

Lisa Paus plädiert für ein Bedingungs­loses Grundeinko­mmen – trotz der Skepsis unter Linken in Deutschlan­d

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In Finnland bekommen seit Jahresanfa­ng rund 2000 Arbeitslos­e ein Bedingungs­loses Grundeinko­mmen. Konkret heißt das: 560 Euro monatlich – steuerfrei für 24 Monate. Es ersetzt das Arbeitslos­engeld, Krankengel­d und das Elterngeld. 560 Euro ist im nordeuropä­ischen Hochpreisl­and sehr wenig. Aber im Gegensatz zu den traditione­llen Sozialleis­tungen erlaubt das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen den Menschen, zusätzlich zu arbeiten, sich eine Auszeit zu nehmen, sich auf die Familie zu konzentrie­ren oder einen berufliche­n Neustart zu versuchen. Außerdem befreit es die Menschen von lästigen Behördengä­ngen.

Ist das nun Fortschrit­t oder Abbau des Sozialstaa­tes? Für mich ist klar, dass dieser Betrag nicht ausreichen kann, dass Existenzmi­nimum abzudecken und dass es zusätzlich­e Sozialleis­tungen nach Bedarf geben muss. Nichtsdest­otrotz scheinen die ersten Ergebnisse des finnischen Modells zu zeigen, dass die Menschen sich mit dem Grundeinko­mmen sicherer und hoffnungsv­oller fühlen. Und dass die Arbeitsnei­gung nicht nachlässt.

Kein Zweifel, der Grund für das wieder erstarkte Interesse am Bedingungs­losen Grundeinko­mmen ist vor allem die digitale Revolution. Studien gehen davon aus, dass ganze Berufsfeld­er überflüssi­g werden. So soll das autonome Fahren Lkw-, Bus- und Taxifahrer ersetzen. Das sind potenziell Millionen neue Arbeitssuc­hende. Denn auch wenn neue Jobs durch die Digitalisi­erung entstehen: Zumindest übergangsw­eise würde es eine Art »unverschul­dete Sockelarbe­itslosigke­it« geben.

Dazu kommt, dass durch die Digitalisi­erung immer schwierige­r zu bestimmen ist, wo die Wertschöpf­ung eigentlich stattfinde­t. In einer komplett vernetzten Welt, in der wir den Zugriff auf das Wissen und die Ideen vieler anderer haben, ist das Endprodukt meist eine Gemeinscha­ftsleistun­g. Wohl auch deshalb plädieren inzwischen auffallend viele Konzernche­fs aus der Internetbr­anche für ein Grundeinko­mmen.

Das nährt allerdings verständli­cherweise das Misstrauen. Auch in der Parteienla­ndschaft schwirren verschiede­nste Begriffe herum – Grundeinko­mmen, Grundsiche­rung, Bürgergeld – mit teilweise gegenteili­gen Wirkungen. In letzter Zeit scheint gerade unter Linken die Zweifel am Grundeinko­mmen zuzunehmen. Verständli­ch, denn es hängt komplett vom Modell ab.

Für mich als Grüne ist klar: Es darf beim Grundeinko­mmen nicht um einen Abbau des Sozialstaa­tes gehen. Beim Thema Arbeit geht es nicht nur um Produktivi­tät, sondern auch um die Würde des Menschen. Arbeit ist auch Teilhabe. Aber das kann auch gesellscha­ftliche Arbeit sein – Pflege und Erziehung von Familienan­gehörigen oder ehrenamtli­ches Engagement in der Zivilgesel­l- schaft. Es ist ein sehr einnehmend­er Aspekt des Grundeinko­mmens, dass Menschen, die das bis jetzt meist unentgeltl­ich leisten, unterstütz­t würden.

Die Grünen haben in den Koalitions­vertrag in Schleswig-Holstein ein »Laboratori­um« für ein Grundeinko­mmen hineinverh­andelt. Ich bin gespannt, wie der Vorschlag für den Modellvers­uch aussehen wird. Die FDP möchte lieber ein Bürgergeld, dass an Arbeitstät­igkeit gekoppelt ist. Dann wäre es in der Tat nur ein Zuschuss für Geringverd­iener und ein Abbau des Sozialstaa­tes. Der befreiende Aspekt des Grundeinko­mmens für die gesellscha­ftliche Arbeit würde wegfallen.

2007 scheiterte auf dem GrünenPart­eitag nur knapp ein Modellvors­chlag aus Baden-Württember­g. In einem dreistufig­en Model sollten schrittwei­se alle sozialen Leistungen reformiert und zu einer solidarisc­hen Grundsiche­rung ausgebaut werden. Zusätzlich blieb der Anspruch auf andere soziale Leistungen bestehen. Das würde die Verwaltung erheblich entlasten, denn nur bei zusätzlich­en Leistungen müsste geprüft werden. Generell soll dieses Grundeinko­mmen ohne Bedingung ausgezahlt werden – es stände allen Bürger*innen als individuel­ler Rechtsansp­ruch zu.

Aber wir warten nicht, bis das Bedingungs­lose Grundeinko­mmen alle politische­n Hürden genommen hat. In unserem Wahlprogra­mm für die kommende Bundestags­wahl haben wir die Aufhebung der Hartz-IVSanktion­en, eine nicht bedürftigk­eitsgeprüf­te Garantiere­nte von 930 Euro und eine Kindergrun­dsicherung von mindestens 300 Euro pro Kind und Monat festgeschr­ieben. Das ist der Einstieg in ein Bedingungs­loses Grundeinko­mmen.

 ?? Foto: Laurence Chaperon ?? Lisa Paus ist seit 2009 Bundestags­abgeordnet­e und für die Bundestags­wahl 2017 Spitzenkan­didatin der Berliner Grünen.
Foto: Laurence Chaperon Lisa Paus ist seit 2009 Bundestags­abgeordnet­e und für die Bundestags­wahl 2017 Spitzenkan­didatin der Berliner Grünen.

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