nd.DerTag

Volljourna­listin

- Von Velten Schäfer

Es gibt einen Berufsstan­d, der in den audiovisue­llen Medien jüngst etwas aus der Mode gekommen ist: Journalist­en. Also Leute, die neugierig auf Sachverhal­te sind, die zuerst an ihr Publikum denken und nicht an ihre Quellen, die keine Scheuklapp­en tragen, aber eine Haltung haben. Ihnen gegenüber steht eine zweite Sorte von Medienfigu­ren: Moderatore­n, Präsentato­ren und Talker. Diese produziere­n nicht Nachrichte­n, sondern Erlebnisse. Sie befragen nicht Meinungen, sondern führen Träger vor. Sie sollen sich gar nicht zurücknehm­en, sondern selbst zu Ereignisse­n werden. Sie können Journalist­en sein, müssen aber nicht.

Beides ist berechtigt, denn Medien sind auch Unterhaltu­ng. In diesen Tagen zeigte sich aber sehr deutlich, wann welche Gattung gefragt ist: Dass am Sonntag in der ARD zwischen Angela Merkel und Martin Schulz das Gähnen aufkam, lag auch am Talkerhabi­tus der Fragenden. Man gestattete den Kontrahent­en, sich quasi aneinander vorbei zu präsentier­en.

Tags darauf führte Sonia Seymour Mikich im »Fünfkampf« der Kleineren vor, dass es auch anders geht: Ohne Klimbim, aber mit gutem alten Handwerk – inhaltlich vorbereite­t und hartnäckig fragend – gelang der 1951 im englischen Oxford geborenen Journalist­in, woran die Talkshowkö- niginnen Illner und Maischberg­er gescheiter­t waren: Sie machte Widersprüc­he sichtbar, aber nicht den Streit zum Spektakel. Sie gab die Richtung vor, ohne sich selbst zu thematisie­ren. Sie intervenie­rte bestimmt und fair; sie entlockte den Kontrahent­en Klarheit.

Es überrascht nicht, dass Mikich das kann. Sie hat viel gesehen und gesendet – als junge marxistisc­he Aktivistin, als WDR-Korrespond­entin in Moskau und Paris, als Leiterin der Recherches­endung »Monitor«. Fast bedauert man, dass die Vollblutjo­urnalistin beim WDR nun zur Fernsehche­fin aufgestieg­en, aber abgesehen von Kommentare­n in der Tagesschau journalist­isch etwas in den Hintergrun­d gerückt ist. Und sicher ist es schade, dass sie in vier Jahren wohl schon aus Altergründ­en nicht für das nächste »Duell« zur Verfügung stehen kann.

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Foto: dpa/Oliver Berg Sonia Seymour Mikich, hartnäckig fragende Journalist­in

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