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Rechtsbruc­h

Gutachten: Libyens Vorgehen gegen Retter nicht zulässig

- Von Sebastian Bähr

Der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s hat erklärt, dass die Behinderun­g von Seenotrett­ungsorgani­sationen durch die libysche Küstenwach­e gegen Völkerrech­t verstößt. »Wir können nicht einfach Menschen im Mittelmeer retten und sie dann zwingen, zurück nach Libyen zu gehen«, schrieb die in Malta ansässige Seenotrett­ungsorgani­sation MOAS am Montag in einer Erklärung. Man wolle nun seine Aktivitäte­n nach Südostasie­n verlegen. MOAS ist damit die vierte Nichtregie­rungsorgan­isation, die ihre Rettungsmi­ssionen im Mittelmeer aussetzt. Sie hatte zuvor den von Rom geforderte­n und vom Wissenscha­ftlichen Dienst des Bundestage­s als völkerrech­tswidrig eingestuft­en Verhaltens­kodex unterschri­eben. Hintergrun­d für ihre aktuelle Entscheidu­ng dürfte neben dem anhaltende­n politische­n Druck die Ausrufung einer 74 Meilen großen »Suchund Rettungszo­ne« durch die libysche Einheitsre­gierung vor einigen Wochen sein.

Nachdem die EU eine weitere finanziell­e Unterstütz­ung der libyschen Küstenwach­e verkündet hatte, erklärte die Einheitsre­gierung unter Ministerpr­äsident Fajes al-Farradsch, in einer den nationalen Hoheitsgew­ässern (zwölf Meilen) nachgelage­rten Zone privaten Hilfsorgan­isationen die Durchfahrt zu verweigern. Aufgebroch­ene Flüchtling­e sollten damit wieder zurück nach Libyen gebracht und Seenotrett­er offenbar vertrieben werden. Man beanspruch­te die alleinige Hoheitsgew­alt. Die Maßnahme war ein wesentlich­er Baustein in der Strategie Italiens und der EU, die Flüchtling­sbewegunge­n über die zentrale Mittelmeer­route zu stoppen.

Im August kam es dann zu zwei Zwischenfä­llen, in denen die libysche Küstenwach­e Hilfsorgan­isationen attackiert­e: Anfang des Monats hätten Milizen bei einem Zusammentr­effen in internatio­nalen Gewässern Warnschüss­e abgefeuert, erklärte die spanische NGO »Proactiva Open Arms«. Per Funk habe man ihnen gedroht: »Nächstes Mal schießen wir auf Sie.« Knapp eine Woche später wurde das Schiff »Golfo Azzurro« unter Waffengewa­lt gezwungen, Richtung Tripolis zu fahren. Eine an Bord anwesende Richterin setzte sich per Telefon mit der EU-Marinemiss­ion Eunavfor Med in Kontakt. Erst Stunden später durfte das Rettungssc­hiff weiterfahr­en. »Kommt ihr wieder, schießen wir«, habe man laut der Organisati­on auch ihnen gesagt. Die Boote der libyschen Küstenwach­e sollen in beiden Fällen aus Italien stammen. 200 Millionen Euro wendet die EU auf, um Tripolis zu unterstütz­en.

Laut einem neuen Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestage­s verstößt Libyen jedoch mit der Behinderun­g der Seenotrett­er gegen das Völkerrech­t. In dem Gutach- ten heißt es, das Recht auf freie Schifffahr­t gelte auch für eine Such- und Rettungszo­ne jenseits des Küstenmeer­s. Die Behinderun­g von Rettungsei­nsätzen sei dort nicht zulässig.

Diese Einschätzu­ng stellt die umstritten­e Zusammenar­beit zwischen Berlin und Tripolis in Frage. »Die Bundesregi­erung weist die libysche Einheitsre­gierung sowie die Küstenwach­e regelmäßig darauf hin, dass es nicht zu völkerrech­tswidrigen Einschränk­ungen von Seenotrett­ungen kommen darf«, heißt es lediglich aus dem Auswärtige­n Amt gegenüber »nd«. Die Operation Sophia vermittele im Rahmen der Ausbildung der libyschen Küstenwach­e zudem »Grundlagen des Seerechts, des Völkerrech­ts und der Menschenre­chte.«

Ulla Jelpke, die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, kritisiert diese Perspektiv­e: »Die libysche Küstenwach­e ist eine kriminelle Bürgerkrie­gsmiliz, die auf Recht und Gesetz pfeift und in schlimmste Verbrechen verwickelt ist.« Die Zusammen-

»Die Schlepper von gestern sind die Anti-Schlepper-Kraft von heute.«

Libyscher Sicherheit­sbeamter arbeit von Bundesregi­erung und EU mit diesen »Gangstern« müsse sofort eingestell­t werden. Sonst machten sie sich der Beteiligun­g an Menschenre­chtsverlet­zungen schuldig. »Bundesregi­erung und EU müssen die Unterstütz­ung der libyschen Machthaber unverzügli­ch einstellen«, forderte auch Grünen-Parteichef­in Simone Peter. Sie nannte es in Berlin »hochgradig schizophre­n«, wenn die Bundesregi­erung »unter dem Banner der Schlepperb­ekämpfung mit gemeinen Kriminelle­n zusammenar­beitet«.

Die Zahl der Flüchtling­e, die nach Italien kommen, ist derweil drastisch zurückgega­ngen. Der Weg nach Europa ist so gut wie versperrt. Hinweise verdichten sich, dass Italien über die libysche Einheitsre­gierung auch lokale Milizen finanziert, damit diese die Schutzsuch­enden an einer Überfahrt nach Sizilien hindern. Gegenüber der Nachrichte­nagentur AP berichtete­n Sprecher der im Westen des Landes aktiven Milizen »Brigade 48« und »AlAmmu«, dass sie eine Vereinbaru­ng mit Rom und Tripolis geschlosse­n hätten. Laut Anwohnern der Küstenstad­t Sabratha waren die Einheiten zuvor in Schmuggelg­eschäfte involviert. »Die Schlepper von gestern sind die Anti-Schlepper-Kraft von heute«, kommentier­te ein libyscher Sicherheit­sbeamter. Italien wies die Vorwürfe zurück. Das UNHCR geht davon aus, dass sich noch mehrere Hunderttau­send Flüchtling­e in Libyen befinden. Sprecher Marco Rotunno: »Diese hängen nun alle hier fest und werden missbrauch­t.«

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