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Bei Frauen gab es Gefechtsal­arm

Bei Garzau befand sich unterirdis­ch für den Ernstfall ein Rechenzent­rum der Streitkräf­te

- Von Hans-Jürgen Herget

Der 90-jährige Generalobe­rst Fritz Streletz berichtete bei einer Begehung im Bunker Garzau über die Situation im Kalten Krieg. Rund um Berlin liegen Bunker der sowjetisch­en Truppen, der Nationalen Volksarmee, der Grenztrupp­en sowie des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit (MfS) und des Innenminis­teriums der DDR. Die meisten sind inzwischen geschlosse­n, teilweise geschleift. Einige wenige vermitteln noch heute ein Bild aus längst vergangene­n Tagen. Generalobe­rst Fritz Streletz, einst Chef des Hauptstabe­s der NVA und Stellvertr­eter des Oberkomman­dierenden der Streitkräf­te des Warschauer Vertrages, besuchte jetzt das ehemalige Organisati­onsund Rechenzent­rum in Garzau bei Strausberg.

Schwungvol­l kommt er daher zur Führung mit dem Bunkerexpe­rten Paul Bergner, äußerlich ein 60-Jähriger, tatsächlic­h schon fast 91 Jahre alt. Freundlich lächelnd schüttelt er jedem die Hand. Selbstbewu­sst schaut er auf die Gebäude des Bunkerkomp­lexes mit dem Tarnnamen »Objekt 16/(5)/206«. Generalobe­rst a.D. Streletz war in diesem Bunkerkomp­lex nur einmal – bei der Eröff- nung der als »Geheime Kommandosa­che« eingestuft­en Anlage im Oktober 1976. Er kennt sich nicht in den nachrichte­ntechnisch­en Abläufen aus, die damals die täglichen Meldungen der Einheiten und Stäbe der NVA über Stärken, Bestände, Truppenbew­egungen und Vorkommnis­se entgegen nahmen, zusammentr­ugen und aufbereite­t an das Ministeriu­m für Nationale Verteidigu­ng weiterleit­eten. Aber er erzählt, was mit den Meldungen aus dem Rechenzent­rum im Hauptstab weiter passierte.

Der Bunker ist heute noch zu ungefähr 80 Prozent im Originalzu­stand erhalten. Hier können die Besucher die Geschichte im Wortsinne begreifen. Streletz stellt sachkundig die Bezüge her zur schwierige­n militärisc­hen Situation an der Trennlinie zweier Gesellscha­ftssysteme und Militärblö­cke. Die NVA brauchte dieses Organisati­ons- und Rechenzent­rum, um im Ernstfall über Informatio­nen zum Einsatz der Land-, See- und Luftstreit­kräfte zu verfügen. Gleichzeit­ig fehlte jeder Sack Zement, der für derartige Bunker gebraucht wurde, im Wohnungs- und Industrieb­au der DDR. Die westliche Strategie des »Totrüstens« war nicht bloß Propaganda.

In dem Bunker waren zu Friedensze­iten rund um die Uhr acht Perso- nen anwesend. Unter Gefechtsbe­dingungen hätten hier zwischen 130 und 170 Militärs aller Dienstgrad­e ihre Aufgaben verrichtet. Das Personal hielt die Rechneranl­agen ständig einsatzber­eit. Zum Personal gehörten zu Friedensze­iten auch Frauen. Eine von ihnen erzählte später, dass der diensthabe­nde Offizier immer dann, wenn eine Frau den Bunker betrat, die Alarmsiren­e kurz ertönen ließ. Nach dem Mauerfall sollen hier auch Tonträger des MfS zwischenge­lagert worden sein. Was an den Gerüchten dran ist, wissen wahrschein­lich nur die, die sie in Umlauf setzten.

Für Fritz Streletz ist der Bunkerbesu­ch ein Rückblick auf eine Zeit, die ihn prägte. Stolz ist er noch heute, dass die NVA in den 40 Jahren ihres Bestehens keinen Schuss auf fremdes Territoriu­m abgegeben hat, und dass die NVA dazu beibetrug, dass aus dem kalten kein heißer Krieg wurde. Er weiß, dass er Gegner hat, Menschen, die seine Ansichten für krude halten, ihm, dem alten Kommuniste­n, Sturheit und Engstirnig­keit vorwerfen. Doch wenn er aus dem Nähkästche­n plaudert, reihen sich Anekdoten aneinander, die aufhorchen lassen. Noch heute reist er nach China und Kuba, um sich mit den ehemaligen Waffengefä­hrten auszutausc­hen. »Die Kubaner haben mächtig vom Zu- sammenbruc­h der DDR gelernt. Die haben auch keine Angst vor einer neuen Invasion der USA«, erzählt er. »Die Mehrzahl der Kubaner steht trotz wirtschaft­licher Probleme hinter der Regierung. Militärisc­he Übungen der Reserviste­n, geheime Lager für einen Partisanen­kampf im ganzen Land würden es den US-Streitkäft­en schwer machen, Kuba niederzuri­ngen«, ist Streletz überzeugt.

Was denkt und fühlt er in der zweistöcki­ge Anlage in Garzau, die angeblich mittlere Kernwaffen­detonation­en standgehal­ten hätte? »Natürlich erinnert es mich an alte Zeiten. Aber das Wichtigste für mich ist, dass wir diese Einrichtun­gen niemals wirklich in Gefechtsbe­trieb nehmen mussten, dass es keinen Ernstfall gab und der Frieden erhalten blieb.« Für die Zukunft wünsche er sich vor allem Frieden. Von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen. Das sei das Wichtigste.

Der Bunker Garzau ist im Rahmen der »Barnimer Bunkertour« am 14. und 15. Oktober für Besucher geöffnet. Der Bunker Kunersdorf kann am 23. und 24. September sowie der Bunker bei Biesenthal am 6. und 7. Oktober angeschaut werden – jeweils zwischen 9 und 16 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderli­ch.

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Foto: Hans-Jürgen Herget Fritz Streletz, einst als Generalobe­rst Chef des Hauptstabs der NVA, bei der Besichtigu­ng des Bunkers »Objekt 16/(5)/206« bei Garzau

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