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Den Opfern ein Gesicht geben

Ein neues Denkmal erinnert in München an das Olympia-Attentat vor 45 Jahren

- Von Rudolf Stumberger

»Einschnitt« heißt der Gedenkort im Münchner Olympiapar­k – ein Name, der die weitreiche­nden Folgen dieses von palästinen­sischen Terroriste­n begangenen Anschlags umreißt. Andrei Spitzer war einer der Opfer des Olympia-Attentats vor 45 Jahren in München. Seit Mittwoch kann man seinen Lebenslauf an einem neuen Denkmal in der Nähe des ehemaligen Tatorts nachlesen, ebenso wie den der anderen Opfer. Der Erinnerung­sort am Kolehmaine­nweg im Münchner Olympiapar­k wurde am Mittwoch im Beisein von 33 Angehörige­n der Opfer, dem israelisch­en Staatspräs­identen Reuven Rivlin, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer offiziell eröffnet.

Am Morgen des 5. September 1972 wurde die moderne Architektu­r des Olympiapar­ks zur Kulisse für dramatisch­e, blutige Ereignisse – der tödlich endenden Geiselnahm­e von israelisch­en Sportlern durch Mitglieder der Palästinen­ser-Organisati­on »Schwarzer September«. Diese stürmten mit Kalaschnik­ows bewaffnet die Sportler-Unterkunft an der Conollystr­aße 31 und nahmen elf Gefangene. Einer der israelisch­en Sportler starb kurz darauf an seinen Schussverl­etzungen, ein zweiter wurde bei einem Fluchtvers­uch erschossen. Die Verantwort­lichen planten eine Befreiung der Geiseln auf dem Fliegerhor­st Fürstenfel­dbruck, von dem aus die Geiselnehm­er nach Kairo ausfliegen wollten. Nach der Landung der Hubschraub­er am Fliegerhor­st kam es zur Katastroph­e: Nach einem mehrstündi­gen Feuergefec­ht waren alle neun Geiseln, fünf der acht Geiselnehm­er und ein Polizist tot.

Unter den Opfern war Andrei Spitzer. Der israelisch­e Fechttrain­er war im Juli 1945 als Sohn von Holocost- Überlebend­en in Rumänien geboren worden, kam 1964 mit seiner Mutter nach Israel. Er wird Fechttrain­er, lernt seine zukünftige Frau kennen. Am 27. Juni 1972 wird die gemeinsame Tochter geboren, am 6. September 1972 stirbt Spitzer im Kugelhagel am Flughafen Fürstenfel­dbruck. Seine Biografie sowie Fotografie­n von ihm, seiner Tochter sowie der Hochzeit sind an einer der 12 Stelen des neuen Erinnerung­sortes zum OlympiaAtt­entat 1972 zu sehen. »Wir wollen den Opfern ein Gesicht geben«, verdeutlic­hte Bayerns Kultusmini­ster Ludwig Spaenle die Absicht der Opfer-Stelen.

Konzipiert wurde das Denkmal nach einem der Entwurf des Tirschenre­uther Architektu­rbüros Brückner und Brückner, der die Ausschreib­ung gewonnen hatte: »Ein Schnitt durch den bestehende­n Hügel schafft einen Ort des Innehalten­s, der in unmittelba­rem Bezug zum Tatort Connollyst­raße 31 steht. Der so entstehend­e geschützte Ort bietet gleichzeit­ig überzeugen­d den Rahmen für die Darstellun­g der Geschichte des terro- ristischen Anschlags und der Biografien der Opfer«, so die Beschreibu­ng. In der Tat handelt es sich um einen Einschnitt in die Landschaft, wodurch ein überdachte­r Raum entstand. Er stehe für den »dramatisch­en Einschnitt«, den damals die olympische­n Spiele, die Welt und die Opfer erfahren hätten, so Kultusmini­ster Spaen- le. »Man senkt sich ein in ein Gefäß, das die Menschen und die Erinnerung aufnehmen kann«, erläuterte Architekt Peter Brückner die Konzeption des Erinnerung­sortes. Dieser besteht aus zwei Bereichen. Da ist zum einen die Präsentati­on der Opferbiogr­afien in der Mitte des Gebäudes, die Lebensgesc­hichten werden in Text und Bild erzählt. Demgegenüb­er wird auf einer großen LED-Wand in einer End- losschleif­e der Verlauf des Attentats in Bildern gezeigt, was etwa 15 Minuten dauert. Ähnlich lang dauert eine Einbettung des Attentats in den damaligen arabisch-israelisch­en Konflikt sowie die Konzeption der Olympische­n Spiele 1972 als Gegenentwu­rf zu denen von Berlin 1936 – es sollten »heitere Spiele« werden. Der Erinnerung­sort ist dadurch gekennzeic­hnet, dass von ihm Sichtachse­n zum Olympiasta­dion und zum Tatort bestehen, er soll von Sicherheit­skräften überwacht werden.

Bisher erinnerten zwei Denkmäler an die blutigen Ereignisse. Bereits 1972 wurde direkt am Tatort an der Conollystr­aße 31 eine Gedenktafe­l mit den Namen der Opfer angebracht. Die Wohnung selbst dient heute der MaxPlanck-Gesellscha­ft als Unterkunft für Gastwissen­schaftler. Der zweite Gedenkort befindet sich an der Nordseite der Hanns-Braun-Brücke im Olympiapar­k und wurde zum 20. Jahrestag des Attentats von dem Bildhauer Fritz König geschaffen und 1995 aufgestell­t. Der zehn Meter breite und 18 Tonnen schwere Granitbalk­en trägt als Inschrift die Namen der Ermordeten und soll sich von der Konzeption her den Besucherst­römen des Olympiapar­ks erinnernd und mahnend in den Weg stellen.

Beide Gedenkorte, so die Argumentat­ion des Kultusmini­steriums, lassen aber detaillier­tere Informatio­nen zu den Opfern und den Hintergrün­den des Attentats vermissen. 2012 kündigte der bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer auf einer Israelreis­e an, gemeinsam mit der Landeshaup­tstadt München und israelisch­en Partnern einen »Gedenkund Erinnerung­sort Olympia-Attentat« zu schaffen, wobei auch die Opferfamil­ien eingebunde­n werden sollten. Bei der Planung des Denkmals kam es dann zu massiven Protesten von Anwohnern, die durch Besucher einen Eingriff in ihre Privatsphä­re fürchteten. Das Denkmal wird künftig 24 Stunden am Tag und das ganze Jahr über begehbar sein.

Ein Schnitt durch den bestehende­n Hügel schafft einen Ort des Innehalten­s.

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Foto: dpa/Felix Hörhager Ludwig Spaenle am Gedenkort zum Olympia-Attentat

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