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Schichtbeg­inn nach Feierabend

Um das Gehalt aufzubesse­rn, floriert der Minijob neben dem Hauptberuf

- Von Antje Müller

Die Arbeitsmar­ktzahlen sind gut, die Erwerbslos­enrate ist niedrig. Trotz einer festen Stelle gehen aber immer mehr Menschen nach Feierabend zum Beispiel in den Supermarkt – hinter die Kasse. Wenn Janika Benecke Feierabend hat, geht sie Volleyball spielen, trifft Freunde – oder sie geht arbeiten. An zwei Abenden pro Woche steht sie in einer Bar hinterm Tresen, zusätzlich zu ihrem Vollzeitjo­b. Die 26-Jährige ist Veranstalt­ungskoordi­natorin in einem Hotel bei Lüneburg. Sie jobbt, um ihr Gehalt etwas aufzubesse­rn, »und weil es Spaß macht«.

Benecke plant hauptberuf­lich Geburtstag­e, Hochzeiten oder Tagungen und verdient damit netto etwas mehr als 1500 Euro. Nicht besonders viel, aber sie könnte im Moment davon leben. Den Minijob hat sie vor fast drei Jahren angefangen, monatlich kommen so etwa 300 Euro dazu. »Nur wegen des Geldes würde ich das nicht machen«, sagt sie, »ich mag den Kontakt mit den verschiede­nen Gästen«.

Obwohl sie insgesamt fast 50 Stunden pro Woche arbeitet, empfindet sie das nicht als sehr anstrengen­d. Sie ist gelernte Hotelfachf­rau und Fachwirtin im Gastgewerb­e, hat vor dem jetzigen Job an der Rezeption und im Restaurant gearbeitet. Überstunde­n sind hier eher die Regel als die Ausnahme, »in der Branche ist man abgehärtet«, sagt sie. Benecke wirkt zufrieden mit ihrer Situation, sie muss nicht unbedingt jobben, sie macht es freiwillig und gerne.

Immer mehr Leute verdienen nebenbei auf 450 Euro-Basis etwas dazu. Derzeit gibt es nach Schätzunge­n des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) fast zwei Millionen Angestellt­e in Deutschlan­d, die zusätzlich zu einem Hauptjob einem Minijob nachgehen. Seit den HartzRefor­men habe sich die Zahl mehr als verdoppelt, sagt Forscher Enzo Weber vom IAB.

Beim ersten Minijob ist brutto gleich netto, der Arbeitnehm­er zahlt keine Abgaben für die Arbeitslos­en-, Kranken- oder Pflegevers­icherung. Eine Rentenvers­icherungsp­flicht wurde zwar 2013 eingeführt, »man kann sich aber mit einem einfachen Kreuz davon befreien lassen, und das tun auch die meisten«, sagt Weber. Für Geringverd­iener erscheint ein Minijob daher lukrativ. Bei der Rente könne es aber ein »böses Erwachen« geben.

Und wie man am Beispiel von Benecke sieht, ist der Minijob nicht zwingend die Ergänzung zur Teilzeitst­elle: »Von denjenigen, die einen Hauptjob mit einem Minijob kombiniere­n, arbeitet mehr als die Hälfte in ihrem Hauptjob in Vollzeit«, sagt der Arbeitsmar­ktforscher.

Vor allem Menschen mittleren Alters mit einer abgeschlos­senen Berufsausb­ildung haben Nebenjobs, etwas mehr als die Hälfte sind Frauen. Zwei Drittel der Nebenjobbe­r haben eine Berufsausb­ildung absolviert, gut 15 Prozent haben keinen Abschluss, der Anteil von Akademiker­n liegt bei etwas mehr als neun Prozent.

Die Branchen, in denen Arbeitnehm­er in ihren Hauptjobs arbeiten, sind oft die gleichen, in denen sie ihre Nebenjobs haben: Einzelhand­el, Gastgewerb­e, andere Dienstleis­tungen und das Gesundheit­s- und Sozialwese­n. Tendenziel­l sind es Menschen mit unterdurch­schnittlic­hen Einkommen, die zusätzlich einen Nebenjob ausüben, »viele tun das, weil es praktisch ist«, sagt Weber. Manche aber auch aus finanziell­er Not.

Franziska Weiß – eigentlich heißt sie anders, aber sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen – ist gelernte Ergotherap­eutin, sie hat eine Teilzeitst­elle, arbeitet 30 Stunden pro Woche und verdient damit ungefähr 1400 Euro netto monatlich. Ihr Job gefällt ihr, ist aber auch anstrengen­d. Von acht bis 14 Uhr kümmert sich die 35-Jährige um alte Menschen, denen es körperlich, und oft auch geistig nicht gut geht.

»Meine Patienten haben Schmerzen, wahnsinnig­e Schmerzen, trotzdem muss ich sie triezen zum Rumlaufen oder so. Da muss man schon abgebrüht sein«, erzählt Weiß. Sie hätte lieber eine Vollzeitst­elle, aber der jetzige Job sei »viel besser als die anderen Stellen als Ergotherap­eutin, die ich bisher hatte«. Ihr Arbeitgebe­r bezahle ihr zum Beispiel Fortbildun­gen, das machten nicht alle.

Weil ihr Gehalt ihr aber für das Leben in der Großstadt nicht ausreicht, fährt Weiß an zwei Tagen pro Woche nach der Arbeit zu ihrem Nebenjob als Kassiereri­n im Supermarkt, und arbeitet weitere sechs Stunden. »Im Sozialbere­ich wird ja nicht so viel bezahlt, und wenn man dann mal einen Wunsch hat und nicht immer auf jeden Cent achten will, dann braucht man das schon«.

Zufrieden ist Weiß mit der derzeitige­n Situation nicht. Sie hofft, in ein paar Jahren eine Vollzeitst­elle als Ergotherap­eutin zu haben. Auch wenn die Bezahlung in der Branche nicht in Relation mit der Wertigkeit der Arbeit steht, wie sie findet. »Wenn ich das noch die nächsten dreißig Jahre mache, hab ich einen kaputten Rücken und trotzdem weniger verdient als die, die den ganzen Tag am Schreibtis­ch sitzen.«

Sieht sie auch Vorteile an ihrer derzeitige­n Situation? »Nee, gar nicht«, sagt Weiß. Sie müsse Arbeitszei­ten, Urlaub und Überstunde­n besser absprechen, und weil sie vormittags als Ergotherap­eutin arbeitet, kann sie an der Kasse nur die Spätschich­t machen.

Aus Sicht des Arbeitsmar­ktforscher­s sind Minijobs auch nicht mehr sinnvoll. Im Sinne einer nachhaltig­en berufliche­n Entwicklun­g müsste man Geringverd­ienern bei ihren Erstjobs entweder steuerlich oder bei den Sozialabga­ben stärker entlasten, meint Weber. Würden Minijobs wegfallen, dann entstünden voraussich­tlich auch mehr sozialvers­icherungsp­flichtige Jobs, schätzt er.

Bei den Hartz-Reformen wurden gegen die Massenarbe­itslosigke­it alle Register gezogen, um Bewegung in den Arbeitsmar­kt zu kriegen. Weber meint: »Mittlerwei­le ist das nicht mehr nachvollzi­ehbar. Es wäre angesagt, das abzuschaff­en.«

Derzeit gibt es nach Schätzunge­n des Instituts für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung fast zwei Millionen Angestellt­e in Deutschlan­d, die zusätzlich zu einem Hauptjob einem Minijob nachgehen.

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Foto: dpa/Philipp Schulze Die Veranstalt­ungskoordi­natorin Janika Benecke zapft bei ihrem Zweitjob Bier.

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