nd.DerTag

Piketty hat Recht

Rendite schlägt Profit: Finanzanla­gen zahlen sich mehr aus als Investitio­nen

- Von Hermannus Pfeiffer

Eine Forschergr­uppe hat die wichtigste­n Kapitalanl­agen aus einem extrem langen Zeitraum von 150 Jahren untersucht. Die Ergebnisse bestätigen die Thesen wichtiger linker Ökonomen. Für Ökonomen ist kein Preis wie der Hauspreis. Für viele ist das Eigenheim die teuerste Anschaffun­g ihres Lebens, für Banken eine Schlüsselg­röße im Kreditgesc­häft und volkswirts­chaftlich gesehen sind Immobilien eine zentrale Steuergröß­e. Grund genug also, um einmal ganz genau nachzurech­nen. Die drei Ökonomen Katharina Knoll, Thomas Steger und Moritz Schularick haben dies getan. Die Wirtschaft­shistorike­r aus Bonn und Leipzig haben dabei für 16 Industrien­ationen die Renditen der wichtigste­n Kapitalanl­agen seit dem Jahr 1870 zusammenge­tragen und analysiert.

Es dürfte sich weltweit um eine einzigarti­ge Datensamml­ung handeln, die auch internatio­nal auf Interesse stößt: Erste Ergebnisse wurden in der Fachzeitsc­hrift »American Economic Review« unter dem Titel »No Price Like Home« veröffentl­icht. Demnach bringen Immobilien, verglichen mit anderen Anlagen wie Aktien oder Anleihen, langfristi­g mehr. Dies widerspric­ht einer Grundregel der Finanzwirt­schaft. Danach sollten sichere und schwankung­särmere Anlagen wie Bundeswert­papiere oder eben Immobilien weniger Rendite bringen als riskante Geldanlage­n wie Aktien. Die Studie widerspric­ht diesem Prinzip, an dem sich Bankberate­r wie Verbrauche­rschützer orientiere­n.

Das groß angelegte Forschungs­projekt der Universitä­t Bonn, aus dem nach und nach weitere Ergebnisse durchsicke­rn, mag zunächst wie Erbsenzähl­erei erscheinen, doch es behandelt einen zentralen Kritikpunk­t am real existieren­den Kapitalism­us: die Dominanz der Finanzmärk­te über die Realwirtsc­haft in Industrie, Handel und Dienstleis­tungen.

Man könnte weniger grundlegen­d fragen: Hatte der 2009 verstorben­e Marxist Jörg Huffschmid doch recht? Der Ökonom aus Hamburg hatte als einer der ersten auf das Phänomen hingewiese­n, dass sich Geldgeschä­fte zunehmend von der realen Produktion lösen, und dies als Folge der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich angesehen. Da es für den Reichtum weder genügend Luxusartik­el noch reale Anlagemögl­ichkeiten in Fabriken, Büros oder Containers­chiffen gibt, fließt das überflüssi­ge Geld als Kapital auf die Finanzmärk­te und sucht dort nach möglichst hohen Renditen.

Und die lassen sich für Großanlege­r finden: Die Aktienkurs­e wichtiger Börsen sind seit der Finanzkris­e um etwa 300 Prozent nach oben ge- schossen, Immobilien in guten Lagen bringen zweistelli­ge Renditen im Jahr. Und mittlerwei­le verspreche­n auch Beteiligun­gen an nachhaltig­en Energien eine sichere überdurchs­chnittlich­e Verzinsung über Jahrzehnte hinweg. Die Zahlen der Bonner Forscher bestätigen nun diesen Trend auf lange Sicht.

Das gilt auch für die Thesen von Thomas Piketty. Der französisc­he Ökonom hatte in seinem im vorigen Jahr auf Deutsch erschienen­en Buch »Das Kapital im 21. Jahrhunder­t« die Zunahme der Ungleichhe­it in den Industrieg­esellschaf­ten darauf zurückgefü­hrt, dass die Kapitalren­dite höher als die Wachstumsr­ate der Wirtschaft sei. Dadurch entfällt ein zunehmende­r Teil der Wirtschaft­sleistung auf die Vermögensb­esitzer, etwa auf Reiche und Versicheru­ngskonzern­e. Die Forscher bestätigen jetzt in einem Projektpap­ier Pikettys These. In den meisten Industriel­ändern nehmen danach die Erträge aus Geldanlage­n schneller als die Wirtschaft zu, die Reichen werden also quasi automatisc­h immer reicher. Dabei wachsen die Finanzmark­teinkommen doppelt so schnell wie die Wirtschaft.

Schon am kommenden Montag auf einem wichtigen Ökonomentr­effen in Wien dürfte der Streit beginnen, wie belastbar das üppige Zahlenmate­rial ist, auf dessen Basis die Analyse beruht. Autor Schularick bleibt gelassen: Die Ergebnisse seien »robust«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany