EU darf Geflüchtete verteilen
Pro Asyl rechnet nicht mit mehr Schutz / Familiennachzug bleibt umstritten
Luxemburg. Die Verteilung geflüchteter Menschen innerhalb der EU ist rechtens. Das urteilte am Mittwoch der Europäische Gerichtshof (EuGH). Er lehnte damit die Klagen von Ungarn und der Slowakei gegen die 2015 von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten beschlossene »Flüchtlingsquote« ab. Rechtens ist die Verteilungsregelung also, aber ist sie auch gut im Sinne des Flüchtlingsschutzes? Daran hat Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl, Zweifel. Im Gespräch mit dem »nd« sagt er: »Das Urteil wird keine positiven Auswirkungen auf den Flüchtlingsschutz haben. Denn wenn Flüchtlinge nun zwangsweise in Staaten gebracht werden, die ihnen feindlich gegenüberstehen, dann ist das unzumutbar. Flüchtlinge sind kein Stückgut.« Die Klagen der beiden Länder abzuweisen findet Kopp dennoch »richtig und zwingend«. Während die slowakische Regierung das Urteil aus Luxemburg akzeptieren will, erklärte Ungarn, man werde auch weiterhin keine Flüchtlinge aufnehmen.
So bleibt Europa trotz eines klaren Urteils gespalten. Und auch in der Bundesrepublik geht die Debatte um den Umgang mit Flucht und Migration weiter. Am Mittwoch bekräftigte CSU-Chef Horst Seehofer seine Forderung nach einer dauerhaften Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz. Dieser sei »ein Irrweg«, sagte der bayerische Ministerpräsident der »Bild«Zeitung. Der Familiennachzug war im vergangenen Jahr ausgesetzt worden, die Regelung läuft im März 2018 aus. Die CSU möchte die Aussetzung fortführen. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) plädierte kürzlich dafür. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich in der Frage im Wahlkampf nicht festlegen. In der »nd«-Wahlserie erklärt die Syrerin Lama Sharba, was sie davon hält und welche Hoffnungen sie nach ihrer Flucht bewegen.
Die Syrerin Lama Sharba ist seit 2014 in Deutschland. Anders als viele Geflüchtete hatte sie großes Glück, sagt die 35-Jährige. Ein Gespräch über Deutschland und die Hoffnung auf Rückkehr im Frieden. Wir treffen uns an einem warmen Sommernachmittag in Berlin-Neukölln. Die Sonne scheint, im Park wird Tischtennis gespielt, ein Tanzpaar übt Drehungen. Beim Cappucchino erzählt Lama Sharba von ihrer Ankunft in Deutschland. Die 35-jährige Syrerin sagt, sie habe großes Glück gehabt – trotz Krieg, Verfolgung und Flucht. Lama Sharba ist ihrem Mann nach Deutschland gefolgt, ganz legal.
Der Karikaturist und Filmemacher arbeitete 2013 im französischen Montpellier an seinem systemkritischen Dokumentarfilm »Aus meinem syrischen Zimmer«, als klar wurde, er kann nicht zurück. Hazem Alhamwi entschied gemeinsam mit seiner Frau, zu versuchen, in Deutschland Asyl zu beantragen. Was folgte, war eine Zeit der Ungewissheit, bis im Frühjahr 2014 die Nachricht kam: Antrag bewilligt. Damit hatten sie Anspruch auf privilegierten Familiennachzug.
Für später eingereiste Landsleute gilt diese Regelung nur noch formal, denn die meisten erhalten keinen sicheren Aufenthaltsstatus, sondern werden wegen des Bürgerkrieges lediglich nicht zurückgeschickt. Sie erhalten sogenannten subsidiären Schutz: Waren es 2015 nur 62, erhöhte sich die Zahl 2016 bereits auf knapp 9000 Syrer, denen das Bundesamt für Migration diesen Status zubilligte. Die Folgen: Statt drei Jahren dürfen sie zunächst nur ein Jahr in Deutschland bleiben und vor allem können sie ihre Familien nicht nachholen. Betroffen sind Zehntausende, vor allem aus Syrien. 2013 jedoch galt das noch nicht und Lama Sharba konnte in Beirut ins Flugzeug steigen.
»Die einzige legale Route war über den Libanon, dorthin bin ich mit dem Auto gefahren, es gab eine Straße, auf der es für Zivilisten sicher war, nach Beirut zu kommen«, erinnert sie sich. Somit konnte die gelernte Apothekerin auch all ihre Unterlagen mitnehmen – Papiere, Zeugnisse und Arbeitsbescheinigungen. Das hat für den Neuanfang vieles leichter gemacht.
»Ich habe mich im Internet schlau gemacht, welche Qualifikationen ich als Apothekerin brauche und bin dann zum Lageso gegangen, damit sie mir helfen«, sagt die ehemalige Mitarbeiterin eines internationalen Pharmaunternehmens. Anders als 2015, als Bilder des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) tags und nachts lange Menschenschlangen und überforderte Sachbearbeiter zeigten, erfuhr sie Unterstützung.
Nach einem Deutschkurs und zwei Wartejahren darf sie jetzt als Apothekerin arbeiten – unter Aufsicht. Die in Deutschland benötigte Approbation will sie nachholen, ein erster Test bei der Apothekenkammer ist bestanden, jetzt lernt sie für die Prüfung und hat Arbeit in einer Apotheke gefunden.
Auch eine Wohnung gibt es für die beiden. In Berlin und besonders für Geflüchtete ist es schwer, bezahlbaren Wohnraum zu mieten. Sie hatten zunächst einen befristeten Untermietvertrag, dann zogen die Nachbarn aus, die selbst dringend eine größere Wohnung brauchten. Sie wurden als Nachmieter vorgeschlagen, die Hausverwaltung akzeptierte. »Das war wirklich Glück«, sagt Lama Sharba. »Ich kenne viele Menschen, die keine Wohnung finden oder mit zu vielen Leuten auf zu engem Raum leben müssen. Die Wohnungssituation ist schwierig, besonders als Geflüchtete.«
In Berlin konnten 2016 über das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten 4000 geflüchtete Menschen in Wohnungen und Privatzimmer vermittelt werden, anderen wurde bei der Suche von ehrenamtlichen Initiativen geholfen. Keine hohe Zahl, gemessen an den rund 71 000 Geflüchteten, die in den vergangenen beiden Jahren in die Stadt gekommen und geblieben sind. Viele finden weiter in Gemeinschaftsunterkünften ein dürftiges Zuhause – ohne Privatsphäre.
Im Sommer 2015, als sich immer mehr Geflüchtete nach Europa aufmachten, viele mit dem Ziel Deutschland, wurde auch Lama Sharma von Freunden aus Syrien angerufen. »Denkst du, ich sollte mich auch auf den Weg machen?«, haben sie gefragt. »Ich habe ehrlich geantwortet und gesagt, der Vorteil ist, euer Leben ist hier nicht in Gefahr, aber ein Paradies ist es nicht.« Viele ihrer Freunde sind Anwälte oder Lehrerinnen, »für die ist es viel schwieriger, hier Arbeit zu finden als für mich als Apothekerin«. Krankheiten sind überall auf der Welt gleich, Bildungs- und Rechtssysteme nicht.
Zu Beginn war es auch für sie nicht leicht, sich zurechtzufinden. »Vieles ist schwer zu durchschauen, besonders, wenn man die Sprache noch nicht kann«, erklärt Lama Sharma: Öffentlicher Nahverkehr, Strom- und Telefonverträge. »Das ist alles anders.« Am Anfang hatte sie Angst, wenn ein Brief kam, da musste immer eine Freundin vorbeikommen und übersetzen.
Überhaupt, ein neues Leben beginnen, wo Teile des alten in ihrer Heimatstadt Damakus zurückgeblie-
Lama Sharba
ben sind, tut weh. Sharma telefoniert so häufig wie möglich mit ihren Eltern, manchmal mehrmals am Tag, wenn es wieder schlechte Nachrichten aus Damaskus gibt. »Die Angst um Familie und Freunde bleibt.« Denn auch wenn sie heute mit dem Alltag in Berlin besser umgehen kann, »das Leben bleibt schwierig, denn Syrien ist noch immer meine Heimat und ich vermisse mein Land.« Bei allem Glück: Sharma und ihr Mann mussten fliehen. »Ich bin nicht freiwillig hier, ich kann nicht zurück oder einfach mal meine Familie besuchen.«
Dennoch hat sie die Hoffnung auf Frieden nicht aufgegeben, die Hoffnung, irgendwann zurückkehren zu können. »Es wird der Zeitpunkt kommen, da wird unser Land uns brauchen.« Ein Vorteil wird dann sein, zwei Kulturen kennengelernt zu haben. »Wir können viel voneinander lernen«, sagt die zierliche Frau und setzt zum ersten Mal im Gespräch ihre Sonnenbrille ab. Was? »Nun ja, die Deutschen könnten ein wenig gelassener werden« lacht sie. »Deutsche sind Perfektionisten, deshalb sind sie immer alle so gestresst.« Außerdem sei das Essen in Syrien besser – mehr Gemüsesorten und Gewürze. Und umgekehrt? Na klar, die Pünktlichkeit. Und »Deutsche sind besser organisiert. Zu Beginn fand ich es absurd, mit Freunden einen Termin für einen Monat später auszumachen, das läuft in Damaskus spontaner, aber jetzt bin ich auch schon so.«
Von der Politik wünscht sie sich Unterstützung vor allem für die Kinder – etwa Mal- und Schreibunterlagen. Was sollen die Kinder in Syrien zukünftig machen, denen durch den Krieg eine Bildung verweigert wird, fragt sie und gibt die Antwort gleich selbst. »Ihnen bleibt, Soldaten zu werden, und das können wir alle nicht wollen.«
Sharma beobachtet auch sehr genau die Veränderungen im Asylrecht und die unterschiedliche Behandlung von Menschen. Mit den Abschiebungen nach Afghanistan ist sie gar nicht einverstanden, denn »auch dort herrscht der Krieg«. Zudem gebe es viele Gründe zu fliehen, »die Menschen aus den afrikanischen Ländern kommen auch aus katastrophalen Verhältnissen, sie haben zu Hause keine Perspektive. Ich verstehe, dass viele Deutsche denken, ›wir nehmen zu viele auf‹, aber wenn ein Land so groß und so stark ist, dann sollte es diesen Beitrag immer leisten.«
Ob sie gerne wählen gehen würde, um auf die zukünftige Politik Einfluss nehmen zu können? »Ich komme aus einer Diktatur. Wir wussten immer schon vorher, wer gewinnen würde. Hier zu wählen, bedeutet, sich gut zu informieren, um zu wissen, wen ich wählen möchte. Ich finde, das ist eine große Verantwortung.«
»Heute kann ich mit dem Alltag in Berlin besser umgehen, aber das Leben bleibt schwierig, denn Syrien ist noch immer meine Heimat und ich vermisse mein Land.«