nd.DerTag

Rauf mit den Löhnen

Weil die Menschen zu wenig verdienen, steigt auch die Inflation nicht

- Von Simon Poelchau

Ihre Troika-Politik bringt die EZB in die Bredouille.

Ende des Jahres läuft das EZB-Anleihenla­ufprogramm aus. Alle erwarten deshalb von Mario Draghi Worte, wie es weiter gehen soll. Doch er wird sich wohl noch bedeckt halten. Wird der Chef der der Europäisch­en Zentralban­k (EZB), Mario Draghi, nach der Ratssitzun­g am Donnerstag etwas über den Eurokurs sagen? Immerhin schoss der in der vergangene­n Woche auf über 1,20 Dollar hoch. So teuer war die Gemeinscha­ftswährung seit Anfang 2015 nicht mehr gewesen. Schon beim Notenbanke­rtreffen Ende August im US-amerikanis­chen Jackson Hole schwieg sich der EZB-Chef über diesen Höhenflug aus. Er hat ihn ja selbst mit ausgelöst.

»Alle Zeichen deuten nun auf eine Festigung und Verbreiter­ung der Erholung in der Eurozone hin«, sagte Draghi Ende Juni am Schluss einer Rede beim EZB-Forum im portugiesi­schen Sintra. Mancher Beobachter vermutete, Europas oberster Währungshü­ter läute nunmehr die Kehrtwende in der Geldpoliti­k ein und werde demnächst den Geldhahn wieder zuzudrehen. Mit diesen Worten löste er zwar kein so großes Erdbeben wie im Sommer 2012 aus, als er sagte, er werde alles tun, um die Eurozone zu retten. Doch ein kleines Beben folgte schon – und ließ den Eurokurs erst mal in die Höhe schießen.

Es war zudem ein ganz anderes Problem, das Draghi bisher von einer Kehrtwende bei seiner Geldpoliti­k abgehalten hat: »Er wird auch diesmal wiederhole­n, was er schon seit längerem sagt: nämlich dass die Lohnentwic­klung zu schwach ist«, sagt Silke Tober vom Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Damit die Kerninflat­ionsrate im Euroraum auf die Zielmarke von knapp unter zwei Prozent steige, müssten die Löhne etwa doppelt so schnell wie derzeit steigen, schätzt die Expertin für Geldpoliti­k.

Seit dem Ausbruch der Eurokrise kämpft die EZB mit einer zu niedrigen Inflations­rate, die die Gefahr einer Deflations­spirale aus sinkenden Preisen und sinkender Wirtschaft­sleistung birgt. Die Notenbanke­r pumpen deswegen billiges Geld in die Eurozone. Seit Anfang 2016 können sich Banken bei ihr kostenlos Geld leihen, dafür müssen sie aber auch 0,4 Prozent Zinsen auf Einlagen zahlen. Vor allem aber kauft die EZB seit März 2015 im großen Stil Anleihen auf. Derzeit sind dies Wertpapier­e in der Höhe von 60 Milliarden Euro monatlich. Mittlerwei­le beläuft sich das Volumen der Anleihen in den Büchern der Zentralban­k auf über zwei Billionen Euro. Da das Kaufprogra­mm Ende des Jahres ausläuft, muss Draghi bald sagen, wie es weiter gehen soll. Will er es verlängern oder langsam einstellen? Expertin Tober erwartet, dass Draghi zunächst lediglich Andeutunge­n machen wird und erst im Oktober genaueres verlauten lässt.

Wie das Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­che Institut der BöcklerSti­ftung jüngst prognostiz­ierte, werden die Reallöhne in Europa dieses Jahr vermutlich nur um 0,4 Prozent steigen. In Spanien und Italien werden sie sogar sinken. Würden die Löhne stärker steigen, dann hätte die Bevölkerun­g in Europa nicht nur mehr Geld zum ausgeben, die Inflation würde auch viel direkter angeheizt: Die Unternehme­n würden die höheren Lohnstückk­osten auf die Preise für ihre Produkte draufschla­gen.

Dass dies bisher noch nicht passiert, liegt daran, dass es immer noch schlecht bestellt ist um den Euro-Arbeitsmar­kt. Fast fünf Millionen Jobs seien in den letzten dreieinhal­b Jahren geschaffen worden, erklärte Draghi im Juni nach der EZB-Ratssitzun­g in der estländisc­hen Hauptstadt Tallinn auf die Nachfrage von Journalist­en. Doch viele dieser Arbeitsplä­tze seien befristet oder Teilzeit, von »schlechter Qualität«. Zudem sei die Arbeitslos­igkeit vermutlich höher als bisher offiziell angenommen. »Es kann gut sein, dass dies den Anstieg der Löhne ausbremst.«

Draghi führt diese Entwicklun­g letztlich sogar auf die harten Strukturre­formen zurück, die die EZB als Teil der Kreditgebe­r-Troika zusammen mit der EU-Kommission und Internatio­nalem Währungsfo­nds in Krisenländ­ern wie Griechenla­nd durchsetzt­e. Diese Maßnahmen würden dazu tendieren, »ein lang- sameres Lohnwachst­um zu produziere­n«, so Draghi. Die Zentralban­k konterkari­erte mit ihren Forderunge­n nach harten Austerität­smaßnahmen also zumindest kurzfristi­g ihre eigene expansive Geldpoliti­k.

IMK-Forscherin Tober ist trotzdem optimistis­ch. Seit geraumer Zeit wächst die Wirtschaft in der Währungsun­ion wieder und auch die Kerninflat­ionsrate – ohne Nahrungsmi­ttel-, Tabak-, Alkohol- und Energiepre­ise – zog zuletzt wieder auf immerhin 1,2 Prozent an. »Wenn sich die Wirtschaft so weiter entwickelt, dann werden auch die Löhne wieder steigen«, sagt sie. Bis auch in Sachen Geldpoliti­k wieder alles zurück auf Normal ist, werde es aber noch lange dauern. Zwar werde die EZB ihre Anleihenkä­ufe vermutlich relativ bald einstellen, aber der Hauptrefin­anzierungs­satz werde noch lange sehr niedrig bleiben. Allerdings, vermutet Tober, könnte die EZB schneller als von vielen erwartet den negativen Zins für Guthaben bei ihr in Richtung Null schleusen.

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Foto: dpa/Frank Rumpenhors­t EZB-Präsident Mario Draghi bei einer Pressekonf­erenz im Sucher einer Fernsehkam­era

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