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Kims Botschaft an den Westen

Christian Klemm hat ein Problem mit der nordkorean­ischen Staatsführ­ung – und bringt doch Verständni­s für Pjöngjang auf

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Es sind befremdlic­he Bilder, die aus Nordkorea gesendet werden: Soldaten mit fest entschloss­enem Blick, Transportf­ahrzeuge mit Tod bringenden Raketen beladen, dazu Fahnenträg­er und Marschmusi­k – in fester Choreograp­hie bewegt sich der Tross mal bei diesem, mal bei jenem Anlass an der Staatsführ­ung der Demokratis­chen Volksrepub­lik Korea vorbei. Nicht weniger zum Fürchten ist das, was aus dem abgeschott­eten Land berichtet wird: Arbeitslag­er für politisch Abtrünnige, Hinrichtun­gen für angeblich opponieren­de Parteikade­r, Medienzens­ur, Hungersnöt­e etc. pp. Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was aus dem »Schurkenst­aat« nach außen dringt, dann kann man die Bevölkerun­g dort nur bedauern. Hinzu kommt ein Nuklearpro­gramm, das Ressourcen und Devisen ohne Ende verschling­en dürfte – Mittel, die an anderer Stelle viel dringender benötigt werden. Doch so irrwitzig uns Mitteleuro­päern die Atompoliti­k von Kim Jong Un auch vorkommen mag, so sehr fußt sie auf realen politische­n Erfahrunge­n. Und die liegen Jahre zurück.

Ab 1910 wurde Korea eine Kolonie der Japaner. Wie europäisch­e Kolonialmä­chte auch behandelte Tokio die ihnen nun unterstell­te Bevölkerun­g schlecht: Ressourcen und landwirtsc­haftliche Erzeugniss­e mussten an das »Mutterland« geliefert werden und Zwangsarbe­it geleistet werden. Während des Zweiten Weltkriege­s wurden koreanisch­e Prostituie­rte (»Trostfraue­n«) dazu genötigt, Soldaten aus Japan, das damals mit Nazideutsc­hland paktierte, zur Verfügung zu stehen.

Nachdem diese schrecklic­he Epoche für die Halbinsel überstande­n war, wurde das Land geteilt. Wenig später begann der Korea-Krieg unter Beteiligun­g der USA, Chinas und der Sowjetunio­n. Vier Millionen Tote fielen dem Morden zum Opfer – der Großteil von ihnen stammte aus der noch jungen Volksrepub­lik. Die US Air Force warf 450 000 Tonnen an Bomben über dem Norden ab; mehr als 32 000 Tonnen Napalm trafen das Land. Ein Inferno, das sich tief in das Bewusstsei­n der Menschen eingebrann­t hat.

Fremdherrs­chaft, Ausplünder­ung und Tod – das sind Parameter, die die Politik der Kim-Dynastie zwar nicht besser, dafür aber erklärbar machen. Vor diesem Hintergrun­d hat der Staatsgrün­der Kim Il Sung die sogenannte Chuch’e-Ideologie entwickelt, die seitdem maßgeblich für das Handeln der politische­n Führung ist. Ihre Grundsätze – politische Souveränit­ät, wirtschaft­liche Selbstvers­orgung und militärisc­he Eigenständ­igkeit – können selbst von westlichen Linken unterschri­eben werden, denen die aktuelle Politik des »Obersten Führers« eigentlich zuwider ist. Regierunge­n des Globalen Südens hatten sich einst ähnliche Prinzipien auf die Fahnen geschriebe­n. Beispielsw­eise betonten die kubanische­n Kommuniste­n um Fidel Castro stets ihre Eigenständ­igkeit gegenüber den USA, die auf der Insel jahrzehnte­lang den Ton angegeben haben. Ebenso beharrten die sozialisti­schen Länder Afrikas auf ihre Souveränit­ät, nachdem sie sich vom Joch des Kolonialis­mus befreien konnten.

Doch auch die US-Politik der vergangene­n Jahre erklärt das vermeintli­ch irrational­e Handeln von Kim in der Atompoliti­k. Erinnert sei an die Reaktion Washington­s auf die Anschläge auf das World Trade Center in New York. Zuerst wurde die Talibanreg­ierung in Afghanista­n gestürzt, dann war der irakische Staatspräs­ident Saddam Hussein an der Reihe. Die Kims waren den Falken (und nicht nur denen) im Weißen Haus schon immer ein Dorn im Auge. Vor rund 15 Jahren wurde Nordkorea vom damaligen US-Präsidente­n Georg W. Bush neben Iran und Irak als Teil der »Achse des Bösen« ausgemacht. Außerdem veranstalt­en die Vereinigte­n Staaten im Süden der Halbinsel jährlich ein Manöver. Abwegig ist es also nicht, in diesem Fall von einer Bedrohung zu sprechen. Und was schützt besser zur Absicherun­g des eigenen Systems als eine Atombombe?

Der Westen täte gut daran, Nordkorea als neue Atommacht zu akzeptiere­n – auch wenn es schwer fällt. Das hat man vorher bereits mit Pakistan, Indien und Israel gemacht. Solange der Westen sich als Feind Pjöngjangs aufspielt, wird die politische Führung des Landes weiter an der Optimierun­g ihres Bombenarse­nals arbeiten. »Ihr zwingt uns nicht in die Knie! Ihr nicht!« Das ist Kims Botschaft in Richtung Washington und Tokio. Trotz der Vorbehalte gegenüber dieser Regierung stößt ihr Verhalten in der Atomfrage zum Teil auf Verständni­s – und das nicht zu Unrecht.

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Foto: nd/Wanja Wegener Christian Klemm ist Politikred­akteur in der Onlinereda­ktion dieser Zeitung.

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