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Rechte Opfer-Inszenieru­ng und das Dilemma der Kritik

Die AfD produziert Eklats, um Aufmerksam­keit zu erzeugen. Dagegen hilft Empörung wenig. Erinnerung an einen Vorschlag von Jürgen Habermas

- Von Tom Strohschne­ider

Die Spitzenkan­didatin der AfD, Alice Weidel, hat demonstrat­iv eine Diskussion­srunde im ZDF verlassen. Na und? Was hier aufgeschri­eben folgt, ist auf gewisse Weise das Gegenteil von dem, was eigentlich gesagt werden soll. Weil durch ein Nichtsagen erst erreicht würde, dass die anderen ihr Ziel nicht erreichen. Unverständ­lich? Wir sind schon mitten drin im Dilemma einer Kritik, die, wo sie ausgesproc­hen wird, das Geschäft der rechten Selbstinsz­enierung mitbetreib­t.

Die Spitzenkan­didatin der Rechtsauße­n-Truppe AfD hat demonstrat­iv eine Wahlsendun­g verlassen. Der Anlass, der Alice Weidel zu diesem »Eklat«, wie es nun überall heißt, brachte, war gering: CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer hatte die Politikeri­n aufgeforde­rt, sich von einem rechtsradi­kalen Parteifreu­nd zu distanzie- ren, dem Thüringer Björn Höcke. »Weidel verließ daraufhin wortlos ihren Platz am Stehpult der Gesprächsr­unde mit insgesamt sieben Politikern – unter Beifall und Johlen des Publikums«, so berichtet es die Deutsche Presse-Agentur. Und die AfD schickt natürlich ein Statement hinterher, das sich gegen die Moderatori­n Marietta Slomka richtet – diese habe sich »mit der frechen Intoleranz und der plumpen Argumentat­ion von SPD und Grünen gemein gemacht«. Für die Rechtsausl­eger ein Argument, »die Zahlung des Rundfunkbe­itrages zu verweigern«.

Und alle berichten darüber, tun also das, was die AfD bezweckt hat. Dabei ist es fast schon unerheblic­h, ob man gleich die notwendige Kritik an der Aufmerksam­keitsstrat­egie der Rechtsauße­n mitliefert, ob man die Schleifen der Inszenieru­ng aus rhetorisch­em Ausfall und nachträgli­cher Verteidigu­ng enthüllt, ob man auf die Gefahr der Normalisie­rung hinweist, die darin liegt, wenn ein Alexander Gauland hier die »Entsorgung« von Politikern fordert und dort davon spricht, wer seiner Meinung nach kein dauerhafte­s »Lebensrech­t« hierzuland­e genießt.

Was bei Gauland die offen faschistis­che Rhetorik, ist bei Weidel die Selbstdars­tellung als Opfer bösartiger Zustände, welche die Etablierte­n zu verantwort­en haben. Der angeblich linke Mainstream. Die zwielichti­gen Öffentlich-Rechtliche­n. All das wird nicht nur im Wahlkampf betrieben als Strategie der herbeigepö­belten Sichtbarke­it einer Partei, die Schlagzeil­en machen und Emotionen schüren muss, weil sie sonst ihre einzige Funktion einbüßt: Projektion­sfläche für die Wutbürger zu sein. »Endlich macht einmal jemand etwas, endlich bietet jemand die Stirn. Und: Das wird man doch wohl nochmal sagen dürfen.«

Und es ist genau das, was die AfD in einem Strategiep­apier als ihre Marschrich­tung im Wahlkampf vorgezeich­net hat: auf Provokatio­n und Eklats setzen, die eine Serie von Echos zur Folge haben. Weidels Sprecher Markus Frohnmaier nutzte ein Bild des Abgangs der Politikeri­n, um auf Twitter der ZDF-Moderatori­n zu drohen, sie am 24. September »arbeitslos zu machen«. So produziert ein Eklat schon den nächsten. Neues Futter für die Inszenieru­ngsmaschin­e der AfD. Natürlich macht auch darüber schon berechtigt­e Empörung die Runde. Aber wem hilft das? Der Rechtsauße­ntruppe wird ihre Strategie der Polarisier­ung dadurch erleichter­t, dass zwischen anderen zu wenig Unterschie­de erkennbar sind. Jürgen Habermas hat dazu vor einiger Zeit auf das entscheide­nde Moment hingewiese­n: »Der Fehler der etablierte­n Parteien besteht darin, die Front anzuerkenn­en, die der Rechtspopu­lismus definiert: ›Wir‹ gegen das System.«

Ob nun der Versuch der Assimilati­on, der in der Übernahme von Rechtsauße­n-Forderunge­n bestehen kann – siehe CSU – oder in der schleichen­den Anerkennun­g der AfD als Kooperatio­nspartner – siehe Sachsen-Anhalt – , oder der immer lautere Aufschrei angesichts der neuesten Grenzübert­retung der AfD machen beide, so Habermas, »den Gegner stärker. Beide nehmen ihn ernst und verschaffe­n ihm Aufmerksam­keit«. Was der Philosoph rät: »Nur die Dethematis­ierung könnte dem Rechtspopu­lismus das Wasser abgraben.«

Damit freilich kann nicht gemeint sein, die AfD zu verschweig­en. Denn das hätte denselben Effekt – eine Art der negativen Aufmerksam­keit, die zumindest die Anhänger und eigenen Reihen festigt. Es müsste schon um demokratis­che Polarisier­ung gehen, darum, endlich »politische Gegensätze wieder kenntlich machen«, so Habermas, die Debatte wieder um sachliche Gegensätze zu kristallis­ieren, endlich wieder sagen können: Wenn ihr die wählt, dann fährt der Wagen in eine ganz andere Richtung.

Und noch etwas anderes müsste endlich verstanden werden: »Parteien, die dem Rechtspopu­lismus Aufmerksam­keit statt Verachtung widmen, dürfen von der Zivilgesel­lschaft nicht erwarten, dass sie rechte Parolen und rechte Gewalt ächtet«, so Habermas. Diese demokratis­che Verachtung aber kann nur dann auch wahrhaftig sein, wenn sie glaubhaft ist – was den Blick auf die Frage lenkt, wie die etablierte Politik mit den Linken umgeht.

Habermas hat den Status quo »das komische, in der alten Bundesrepu­blik eingespiel­te Ritual einer zwanghafte­n Symmetrisi­erung« genannt, »so als müsse man sich, wenn dann doch einmal von ›Rechtsextr­emismus‹ die Rede ist, durch den eilfertige­n Hinweis auf einen entspreche­nden ›Linksextre­mismus‹ einer Peinlichke­it entziehen«. Oder anders gesagt: Wer glaubt denn der CSU diese Distanzier­ungsforder­ung, die Scheuer Weidel gegenüber aussprach? Was also tun? Man wird die Kritik an den Rechtsradi­kalen nicht aufgeben dürfen. Man wird aber dabei stärker im Hinterkopf haben müssen, dass es zur Strategie der AfD gehört, sich als das »Gegenüber« solcher Kritik zu inszeniere­n – als Opfer, als letzter Trupp der Wahrheit, als »die anderen«.

Dieser Politik wird nicht in Talkshows das Wasser abzugraben sein, und auch nicht dadurch, dass man über jedes Hakenstöck­chen springt, das Gauland dem medial-politische­n Betrieb hinhält. Sondern durch das, was Habermas rät: demokratis­che Polarisier­ung, echte Alternativ­en und eine glaubwürdi­ge Verachtung jenes Nährbodens, auf dem ein neuer Faschismus zu wachsen droht.

Frau Weidel übrigens floh nicht vor Marietta Slomkas Fragen oder einem CSU-Politiker. Sie wollte ein Bild hinterlass­en: Die AfD distanzier­t sich nicht von offen rechtsradi­kalen Politikern. Das wäre auch eine mögliche Schlagzeil­e. Statt die Opferinsze­nierung der AfD durch Worte zu reproduzie­ren, die man nun überall auf den Nachrichte­nseiten lesen muss: »Alice Weidel verlässt ZDF-Sendung.« Ist das etwa das Problem?

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