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Die verlorene Ehre der Erika S.

Die frühere Vertrieben­enchefin und CDU-Politikeri­n macht nun persönlich Wahlkampf für die AfD

- Von Velten Schäfer

Erika Steinbach will nicht nach rechts gerückt sein, vielmehr habe Merkel das Land verraten. Das ist die typische Rechtferti­gung eines radikalisi­erten Bürgertums – und sie ist falsch. Wer wissen will, wo Erika Steinbach steht, muss ihre Twitter-Seite aufrufen. Dort verbreitet sie seit geraumer Zeit eine Dauerserie rechter Provokatio­nen. Aktuell etwa einen Text, in dem es um »votebuddy« geht: Die Plattform vermittelt angeblich Nichtwähle­r an nicht Wahlberech­tigte: Erstere sollen den Letzteren ihre Briefwahls­cheine überlassen – vielleicht diskutabel, aber sicher illegal. Indes ist die Seite womöglich gar nicht echt. Die präsentier­ten Bilder von Nutzern stammen offenbar von einer Fotodatenb­ank. Die »Berliner Morgenpost« erinnert daran, dass es bei den US-Wahlen anno 2000 ein ähnliches Angebot gab, das sich dann als Fälschung entpuppte.

Steinbach aber zeigt keine Zweifel: »Was tut die Bundesregi­erung, um das zu verhindern?« So versieht sie den Text des einschlägi­gen rechten Bloggers David Berger mit der Autorität einer fernsehbek­annten Politikeri­n. Und erweitert seine Reichweite um 50 000 Leser, so viele »Follower« weist ihr Profil aus.

Ob Steinbach diesen vermeintli­chen Wahlbetrug am deutschen Volke zum Thema machte, als sie am Dienstagab­end in Pforzheim mit der halben AfD-Spitze auftrat, um erstmals leiblich für diese zu werben, war zu Redaktions­schluss nicht abzusehen. Dass sie sich aber ohne Prüfung zur Multiplika­torin eines solchen Textes machte, illustrier­t, wie Radikalisi­erung funktionie­rt – nicht nur im Fall Steinbach.

Wie also ist sie nach einem Leben für und von der Union bei der AfD gelandet? Medium von Radikalisi­erung ist ein Weltbild, das grob genug sein muss, um Irritation­en auszuschli­eßen. Zugleich muss es aber auch offen genug sein, um stets neue Facetten aufnehmen zu können, die dann wiederum die Grundlinie­n noch einmal nachzeichn­en. Soziale Medien mit ihren Meinungsbl­asen sind quasi eine Materialis­ierung dieses Effektes. So kann man Steinbach ein Onlineopfe­r nennen. Ihr Twitterpro­fil hat sie 2011 eröffnet – in etwa zu dem Zeitpunkt, als ihr Weg nach ganz rechts begann.

Bleibt die Frage nach dem Ausgangspu­nkt. In einer Annonce warb sie vor drei Wochen für die AfD und nannte konkret den Atomaussti­eg von 2011, die sogenannte Eurorettun­g und die Flüchtling­spolitik. Was hier anklingt, ist die übliche Rechtferti­gung einst gutbürgerl­icher neuer Rechtsradi­kaler: Sie seien nur »normal« geblieben, während alle anderen abdrehten. Zumindest bei Steinbach stimmt das aber nicht. Nicht mit Energie- oder Europapoli­tik und auch nicht mit der Fluchtmigr­ation des Jahres 2015 begann ihr Rechtsruck, sondern mit dem traditione­ll harten Thema der Rechten: Geschichte.

Rekonstrui­ert man ihren Weg nach rechts, stößt man unweigerli­ch auf die Vertrieben­enstiftung, die derzeit in Berlin ihr Museum baut. Diese ist zugleich Steinbachs großer Sieg und ihre größte Kränkung. Bei deren Gründung durch Bundestags­beschluss im Jahr 2000 triumphier­te sie noch – frisch an der Spitze des Vertrieben­enverbande­s. Doch in der Folge fühlte sie sich zunehmend gedemütigt und entehrt. Es wurde klar, dass ein solches Museum nicht bruchlos das Verbandsna­rrativ transporti­eren konnte, sondern akademisch­e Standards halten musste. Jahrelang trat ihr Lieblingsp­rojekt auf der Stelle, weil Historiker darauf pochten. In Fahrt kam es erst, nachdem sie 2010 auf einen Leitungssi­tz verzichtet­e. Das hat Steinbach nicht verkraftet. Fast zeitgleich begann ihre Provokatio­nskarriere – vorerst noch offline – mit der These, Polen habe 1939 zuerst mobilisier­t. 2012 twitterte sie, die NSDAP sei »links« gewesen, es folgte ein Skandal. Dann gab es kein Halten mehr, auch auf anderen Feldern. Mit jenem berüchtigt­en Twitter-Post von 2016, in dem »Deutschlan­d 2030« in einem blonden Kind symbolisie­rt ist, das von erstaunten Südländern inspiziert wird, ist die heutige Steinbach gebacken.

Ihre Karriere ist bezeichnen­d für den jüngsten Umschwung der Rechten. Steinbach war einmal eine typische Vertreteri­n jenes Mäßigungsk­onservatis­mus der alten BRD, der das Neue so lange skeptisch verdünnte, bis er es sich einverleib­te. So hatte sie 1991 gegen die Oder-NeißeGrenz­e votiert, dem Nachbarsch­aftsvertra­g mit Polen aber zugestimmt.

Heute wirkt diese Haltung antiquiert, auch die AfD verteidigt sie nicht. Sie steht im Gegenteil für einen ganz anderen, einen wütenden Geist, der nicht anpassend bewahren will, sondern umstürzend zurückerne­uern. Die Paradoxie der konservati­ven Revolution ist wieder da. Man sollte wissen, wie gefährlich sie ist.

Steinbachs Rechtsruck begann nicht mit der »Flüchtling­skrise«, sondern mit traditione­llen rechten Themen.

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Foto: dpa/Arne Dedert Erika Steinbach

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