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Schnell, schneller, ungerecht?

Ein Richter wurde wegen seines Arbeitspen­sums ermahnt und wehrt sich dagegen

- Von Claudia Kornmeier

Der Justiz fehlt es an Personal. Deshalb schneller arbeiten und Fälle weniger prüfen? Ein Freiburger Richter will das nicht und wehrt sich – dazu sei er verpflicht­et. Karlsruhe. Die Worte klingen vernichten­d: »Das Durchschni­ttspensum unterschre­iten Sie seit Jahren ganz erheblich und jenseits aller großzügig zu bemessende­r Toleranzbe­reiche«, schreibt Anfang 2012 die damalige Präsidenti­n des Oberlandes­gerichts (OLG) Karlsruhe an einen ihrer Richter. 2011 habe er sogar weniger Verfahren erledigt, als ein Halbtagsri­chter im Schnitt.

Adressiert ist das Schreiben an Thomas Schulte-Kellinghau­s, Richter an der OLG-Außenstell­e Freiburg. Es ist eine dienstrech­tliche Ermahnung, gegen die der Richter klagt. Damit beginnt ein jahrelange­r Rechtsstre­it, über den am Donnerstag der Bun- desgericht­shof verhandelt. Der Ermahnung war eine »Sonderprüf­ung« vorausgega­ngen. Demnach entsprache­n die Erledigung­szahlen des Richters zwischen 2008 und 2010 etwa 68 Prozent von dem, was seine Kollegen im Schnitt leisteten.

Hinter diesem Streit über Zahlen und Quoten versteckt sich eine grundsätzl­iche Frage: Darf einem Richter ein Erledigung­spensum vorgegeben werden, oder verletzt das seine Unabhängig­keit?

Nach dem Grundgeset­z sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfe­n. Das Deutsche Richterges­etz unterwirft sie allerdings auch der Dienstaufs­icht. Sie dürfen danach zur »unverzöger­ten Erledigung« der Amtsgeschä­fte ermahnt werden. »Wenn jemand massiv und dauerhaft das übliche Arbeitspen­sum unterschre­itet, darf durchaus eine dienstrech­tliche Ermahnung ausgesproc­hen werden«, sagt der Bundesgesc­häftsführe­r des Deut- schen Richterbun­ds, Sven Rebehn. »Unabhängig­keit bedeutet nicht, dass jeder Richter tun und lassen kann, was er will.«

Eine höhere Erledigung­szahl kann Schulte-Kellinghau­s seiner Ansicht nach aber nur erreichen, wenn er seine Rechtsanwe­ndung ändern würde. Und das will der 63-Jährige nicht. »Ich prüfe bestimmte Dinge mehr als andere Kollegen, gebe den Parteien mehr Hinweise.« Dabei soll es bleiben.

Er sieht hinter dem Rechtsstre­it ein politische­s Interesse: »Die Erledigung­szahlen sollen steigen, damit Ressourcen eingespart werden können.« Dem Deutschen Richterbun­d zufolge fehlen nach Erhebungen der Justizverw­altungen der Länder in der Zivil- und Strafgeric­htsbarkeit mindestens 2000 Richter und Staatsanwä­lte.

Das Meinungsfo­rschungsin­stitut Allensbach kam bei einer Umfrage 2013 zu dem Ergebnis: 66 Prozent der Richter haben den Eindruck, dass sie sich für ihre Fälle nicht genügend Zeit nehmen können. 88 Prozent gaben an, dass es zusätzlich­e Richter und Staatsanwä­lte brauche, um die aktuelle Qualität der Rechtsprec­hung künftig sicherzust­ellen.

»Und die Lage spitzt sich eher zu«, sagt Rebehn. »In der Tendenz führt das dazu, dass Akten nicht mehr in derselben Tiefe bearbeitet werden können oder länger liegen bleiben. Der Erledigung­sdruck ist inzwischen sehr hoch.«

Den Fall Schulte-Kellinghau­s hält er dennoch für eine »Rarität«. Ob es ein Einzelfall ist, wollte die Neue Richterver­einigung – der Verband steht auf der Seite des Freiburger Richters – von den Gerichtspr­äsidenten der Oberlandes­gerichte wissen. Sie fragte: Müssen sich Richter für niedrige Erledigung­szahlen rechtferti­gen und mit dienstrech­tlichen Maßnahmen rechnen? Antworten wollte darauf keiner.

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