Keine Angst vor Sex mit Stoma
Ein künstlicher Darmausgang ist eine unauffällige Behinderung, die dennoch Herausforderungen mit sich bringt
Herr Limpert, im Alter von 14 diagnostizierte Ihr Arzt bei Ihnen Colitis ulcerosa, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Fünf Jahre später wurde der Dickdarm entfernt und ein Darmausgang gelegt. Wie lange brauchten Sie, um das Stoma zu akzeptieren? Christian Limpert: Das hat tatsächlich gedauert. Da sind ja nicht nur das Stoma und der Stomabeutel, sondern auch die Operationsnarben. Eine beginnt über dem Schambein und zieht sich über den Nabel bis unter den ersten Rippenbogen. Gut sieht das nicht aus. Durch den Umgang mit den Hilfsmitteln wird der Blick auf den eigenen Körper außerdem medizinisch. Ist der Beutel wirklich dicht? Wann muss ich ihn wechseln? Sitzt er noch richtig? Mit den Jahren habe ich mich jedoch daran gewöhnt – auch beim Sex.
Kann sich der Beutel beim Geschlechtsverkehr lösen?
C: Wenn er richtig am Bauch haftet, kann das eigentlich nicht passieren. Trotzdem: Die Unsicherheit, dass er dennoch abgeht, war anfangs da. Sabine Massierer-Limpert: Schlimm wäre das allerdings auch nicht. Das wäre dann zwar eine ziemliche Sauerei, aber dann gehen wir halt duschen. Auch wenn viele sich das nicht vorstellen können, aber beim Sex ist der Stomabeutel tatsächlich kaum hinderlich – zumindest aus praktischer Sicht.
Was meinen Sie mit »praktisch«? S: Wenn es Probleme gibt, ist das meist eine Kopfsache. Als Christian und ich die ersten Male miteinander schliefen, tastete er etwa mit der Hand immer wieder nach seinem Beutel. Erst hat er mich zärtlich gestreichelt, dann kam die Kontrolle, ob da auch wirklich alles richtig sitzt. Romantisch war das ehrlich gesagt nicht.
C: Sabine hat recht. Dass ich das mache, war mir bis dahin gar nicht bewusst. Diesen Kontrollgriff habe ich mir über die Jahre angewöhnt. Nicht nur beim Sex, sondern auch im Alltag. Das kurze Fühlen, ob der Beutel auch nicht verrutscht ist oder voll, gab mir ein Gefühl von Sicherheit.
Sie sprechen in der Vergangenheitsform. Machen Sie den Kontrollgriff heute nicht mehr? C: Seit ich mit Sabine zusammen bin, habe ich mir den tatsächlich abtrainiert und gelernt, meinem Körpergefühl zu vertrauen. Mittlerweile spüre ich von allein, wenn der Beutel nicht mehr richtig sitzt oder es Zeit ist, ihn zu wechseln.
Wie spüren Sie das?
C: Der Stomabeutel ist an einer Haftplatte am Bauch befestigt, die Platte dient der Befestigung, schützt die Haut aber auch vor den Ausscheidungen. Ist der Beutel voll, wird der Zug auf die Platte stärker. Jucken oder Brennen bedeuten, dass die Haftplatte nicht mehr richtig sitzt und Stuhl auf die Haut gelangt.
Sie beide sind seit gut 13 Jahren ein Paar, seit acht Jahren verheiratet. Hatten Sie, Frau Massierer-Limpert, anfangs Berührungsängste? S: Nein – durch meinen Sohn kannte ich mich mit dem Thema aus. Er hat von Geburt an eine insuffiziente Niere. Mit acht wurde ihm dann ein Stoma gelegt. Christian lernte ich im Chat des Vereins Stoma-Welt kennen, in dem ich mich mit anderen betroffenen Eltern austauschte. Er war damals der Moderator. Das Stoma, also den tatsächlichen Darmausgang, bekomme ich als Partnerin auch gar nicht zu sehen. Und der Beutel stört beim Sex wie gesagt nicht.
C: Beim Kuscheln nervt er dich allerdings schon.
S: Stimmt. Manchmal piekt der Auslass des Beutels ein bisschen. Da helfen jedoch spezielle Stoffbandagen.
Die Engländerin Jasmine Stacey, die Unterwäsche für Frauen mit Stoma designt, bekam mit 20 ei- nen künstlichen Darmausgang. In einem Interview sagte sie: »Ich dachte, nun ist mein Dating-Leben vorbei«.
C: Diese Angst kenne ich – nicht nur von mir selbst, sondern auch von anderen Betroffenen. Hier hilft nur eins: Ausprobieren. Dann merken die meisten relativ schnell, dass die Angst unbegründet ist. Ich kenne sogar Stomaträgerinnen, die haben One-NightStands, ohne dass der andere etwas von dem Stoma merkt. Etwa weil sie den Beutel mit einem Dessous oder einer Bandage kaschieren.
S: Das Problem in Sachen Stoma ist, meiner Ansicht nach, dass die »Behinderung« so unauffällig ist. Anders als bei Menschen, die im Rollstuhl sitzen, lässt sich das Stoma gut verstecken. Wenn Christian nicht will, dass jemand von seinem künstlichen Darmausgang erfährt, erzählt er es einfach nicht und gut ist. Die Ängste, die viele Stomaträger haben – manche schämen sich sogar so sehr, dass sie gar nicht mehr schwimmen gehen –, kommen auch daher, dass öffentlich so wenig über die Behinderung geredet wird.