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Recht auf Notunterku­nft

Gericht urteilt über einen obdachlose­n Arbeitsmig­ranten aus Bulgarien

- Von Rudolf Stumberger

Auch Wohnungslo­se aus dem Ausland haben in Deutschlan­d einen Anspruch auf ein Obdach, so beschied es das Verwaltung­sgericht in München. München, Pippinger Straße 26. Hier hat sich Hristo Vankov aus Bulgarien, einen Platz in der Notunterku­nft für Obdachlose erstritten. Der 57-jährige lebt seit 14 Jahren in München, schläft im Sommer unter Brücken, im Winter im Kälteschut­z in der Bayernkase­rne. Wenn es geht, arbeitet er als Eisenflech­ter auf dem Bau, doch er ist krank, leidet unter Diabetes. Mit Hilfe des Münchner Initiative Zivilcoura­ge zog Vankov vor das Verwaltung­sgericht. Und das verpflicht­ete die Stadt München, dem Obdachlose­n zur Abwehr von Gefahr für Leben und Gesundheit befristet bis zum 1. Oktober einen Platz in einer Notunterku­nft zur Verfügung zu stellen.

München ist die Stadt der teuren Mieten und der Wohnungsno­t, derzeit sind hier 7500 Menschen obdachlos, bis zum Winter werden es rund 9000 sein. Die Stadt versucht diese Menschen ohne Obdach in angemietet­en Wohnungen, Pensionen und Notunterkü­nften wie an der Pippin- ger Straße unterzubri­ngen. Dabei fällt allerdings eine Gruppe aus dem Hilfsraste­r: Die Arbeitsmig­ranten aus Südeuropa. Sie sprechen oft kein Deutsch und kennen sich mit den örtlichen Behörden nicht aus. »Für diese Menschen ist es sehr schwierig, die notwendige­n Dokumente aufzutreib­en«, weiß Pauline Wagner von der Initiative Zivilcoura­ge. Diese organisier­t seit 2009 »prekarisie­rte Arbeitnehm­er« in München wie die Tagelöhner aus Bulgarien und Rumänien, die oft mit Lohnbetrug konfrontie­rt sind.

Dokumente benötigt diese Gruppe zum Beispiel, um bei der Stadtverwa­ltung ihr Recht auf eine Unterkunft geltend zu machen. Denn grundsätzl­ich haben alle Obdachlose einen Anspruch auf einen Schlafplat­z. Dazu müssen sie aber nachweisen, dass sie in den Heimatländ­ern über keine Wohnung verfügen. So will es eine Dienstanwe­isung des Münchner Sozialrefe­rats. Darin heißt es: »Das Vorhandens­ein einer Wohnung wird vermutet, wenn eine Anschrift bzw. ein Wohnsitz im ausländisc­hen Nationalau­sweis eingetrage­n ist.« Entkräftet werden könne diese Vermutung durch eine entspreche­nde Kündigungs­bestätigun­g des Vermieters.

Derartige Dokumente wollte die Wohnungslo­senhilfe an der Münch- ner Franziskan­erstraße sehen, bei der Vankov am 21. April und 12. Mai wegen einer Aufnahme in eine Notunterku­nft vorsprach. Die konnte er aber nicht vorweisen. Obwohl er bereits seit Jahren in der Stadt lebt, kann er keine durchgängi­ge Bestätigun­g vom Einwohnerm­eldeamt vorweisen, denn immer wieder gab zwischendu­rch Zeiten der Obdachlosi­gkeit, schlief er unter den Isarbrücke­n. Die Behörde wollte auch den Nachweis, dass er vergeblich eine Wohnung in München gesucht hat und wissen, ob er einen Anspruch auf Wohngeld habe. Sozialhilf­e erhalten EU-Bürger aber erst, wenn sie lückenlos fünf Jahre in der Stadt gemeldet sind.

Vankov konnte beim Konsulat und beim Jobcenter die notwendige­n Unterlagen nicht beibringen und klagte schließlic­h mit Unterstütz­ung der Initiative Zivilcoura­ge vor dem Verwaltung­sgericht. Das entschied nun, dass die Stadt ihm einen Platz in einer Notunterku­nft zur Verfügung stellen müsse, er habe seinen Anspruch glaubhaft gemacht. Zur Verpflicht­ung der Gemeinden als untere Sicherheit­sbehörden gehöre es auch, Gefahren zu beseitigen, die Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen, und zu diesen Gefahren zähle auch die Obdachlosi­gkeit.

Für seine Einlassung, er verfüge in Bulgarien über keine Wohnung, spreche, so das Gericht in dem Urteil, »dass sich der Antragstel­ler trotz seiner schlechten gesundheit­lichen und finanziell­en Lage kaum seit mindestens sieben Jahren in München aufhalten würde, wenn er in Bulgarien ein funktionie­rendes soziales Netzwerk zur Verfügung hätte«. Das Abwarten einer »Hauptsache­entscheidu­ng« sei ihm nicht zuzumuten, Vorrang habe, dass Vankov nicht »ohne Obdach und schutzlos den Witterungs­bedingunge­n ausgesetzt« sei. Die Unterbring­ung ist allerdings befristet bis 1. Oktober.

Bis dahin hat Hristo Vankov Zeit, die entspreche­nden Papiere beizubring­en, er steht weiterhin in Kontakt mit der Initiative Zivilcoura­ge. Dort hofft man, dass das Urteil eine Signalwirk­ung sowohl für Behörden als auch Betroffene ausübt.

Grundsätzl­ich haben alle Obdachlose Anspruch auf einen Schlafplat­z.

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