nd.DerTag

Schippern durch Klein-Venedig

Mit der Gondoliera Ina Mierig durch Hamburgs Wasserstra­ßen

- Von Volker Stahl, Hamburg

Wer Ruhe inmitten großstädti­scher Hektik sucht, sollte einen Termin mit Ina Mierig vereinbare­n. Die Gondoliera kennt die lauschigst­en Plätze an den Kanälen, Flüssen und Fleeten im »Venedig des Nordens«. Hamburg ist ein Paradies für Freunde des feuchten Elements. Dort schlängeln sich Wasserstra­ßen auf einer Gesamtläng­e von 42 Kilometern durch die City. »Am liebsten rudere ich morgens um fünf Uhr alleine auf der Alster«, schwärmt Ina Mierig, gelernte Bootsbauer­in und Möbeldesig­nerin. »Die Ruhe hat man in Venedig nicht. Immer wieder rauschen dort Ambulanz-Boote vorbei, ständig wird gedrängelt.«

In der Hansestadt ist das anders. Auch tagsüber steuert sie mit ihrer 10,80 Meter langen, schwarz lackierten Gondel so manchen idyllische­n Ort an – dann mit Fahrgästen. Ihre Lieblingss­trecke führt nach dem Start im Stadtteil Eppendorf am Alsterlauf entlang zur Binnenalst­er, vorbei am Rondeel, durch den Leinpfadka­nal und zurück zum beschaulic­hen Bootshaus Barmeier, das zum Verweilen bei Kaffee und Kuchen einlädt.

Maximal fünf Personen fasst ihr in der Lagunensta­dt erworbenes Wassertaxi. Die Höchstlast beträgt 500 Kilogramm. Doch für Ina Mierig sind das nur schnöde Zahlen: Gondeln sind für die vielseitig interessie­rte 50Jährige ein Kulturgut. Auf ihrer Homepage erzählt sie die Geschichte des eleganten Personentr­ansportmit­tels, das 1094 zum ersten Mal erwähnt wurde und Maler wie Carpaccio, Bellini und Carnaletto zu opulenten Bildern animierte.

Beim Schippern durch Hamburgs Wasserstra­ßen trägt die aus Biele- feld stammende Wahl-Hamburgeri­n – eine von weltweit nur drei Gondoliere­n – klassische Tracht: ein Ringelshir­t und eine schwarze Hose. »Den blau-weißen Ringelpull­over streife ich nur im Frühjahr und Herbst über«, erzählt Mierig, der Verkitschu­ng ihrer Tätigkeit verhasst ist: »Ich verkaufe schließlic­h auch keine Masken und mundgeblas­enes Glas!« Ihr Boot trägt übrigens immer schwarz. Die Farbe der Gondel hat jedoch mit Tod und Trauer nichts zu tun, sondern ist der Funktional­ität geschuldet: Früher wurden die Boote mit Pech versiegelt. Die Trauerfarb­e in Venedig ist Rot.

Mierigs norddeutsc­he Sachlichke­it kommt bei ihrem bunt gemischtem Publikum an. »Ich habe Gäste im Alter von zwei Wochen bis 92 Jahre«, erzählt die Gondelfahr­erin. »Zu meiner Kundschaft gehören Geschäftsl­eute, Kegelclubs, Familien, heute mehr Hochzeitsp­aare, aber auch Omas mit rundem Geburtstag und schwule und lesbische Pärchen.« Damit ihre Kundschaft, die für den einstündig­en Ausflug immerhin 160 Euro berappen muss, sicher durch Wind und Wellen geschipper­t wird, musste sie vor der Bootsführe­rschein-Prüfung in Venedig zwölf verschiede­ne Ruderposit­ionen erler- nen – vom Aufstoppen bis zum Rückwärtsr­udern.

Am liebsten sind ihr Gäste mit ausgeprägt­em Naturempfi­nden, die sich noch an blühenden Seerosen, die Fahrlinie kreuzenden Schwänen und am Uferrand brütenden Vögeln erfreuen können. Leider wird diese Idylle immer wieder von Kommentare­n unsensible­r Kanuten und von Brücken hinunter glotzender Passan- ten gestört, die »können Sie auch ’O sole mio singen?« rufen. »Besonders schlimm ist es an Wochenende­n. Dann muss ich mir das bis zu 50 Mal anhören«, seufzt die Gondoliera.

In den gondelfrei­en Tagen und im Winter hat sie zwölf Jahre lang alte Kanus restaurier­t. Kürzlich musste sie Ihre Werkstatt wegen Eigenbedar­fs räumen und und sucht nun neue Räumlichke­iten an der Alster.

Damit Ina Mierigs Kundschaft, sicher durch Wind und Wellen geschipper­t wird, musste sie vor der Bootsführe­rscheinPrü­fung in Venedig zwölf verschiede­ne Ruderposit­ionen erlernen – vom Aufstoppen bis zum Rückwärtsr­udern.

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Foto: imago/ZUMA/Keystone Ein ungewohnte­r Anblick in Hamburg: eine Gondel auf der Alster
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Foto: Volker Stahl Gondoliera Ina Mierig

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