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Ein Spiel zum Vergnügen

Forrest Leo: Bei ihm ist sogar der Teufel ein Gentleman

- Von Irmtraud Gutschke

Stammt er aus einem britischen Schloss? Mitnichten! Forrest Leo wurde 1990 in einem Blockhaus in Alaska geboren und lebt heute in Los Angeles. Er ist ohne fließendes Wasser aufgewachs­en, fuhr mit einem Hundeschli­tten zur Schule. Natürlich ist das kein Hindernis, sich eine englische Stadtvilla um 1850 vorzustell­en, zumal wenn man entspreche­nde Romane gelesen und Filme gesehen hat. Ein Butler serviert Tee und antwortet auf die Frage des Hausherrn, ob er gar pleite sei, mit einem würdevolle­n »Leider ja, Sir«.

Eine reiche Heirat – Ruhm gegen Geld – bietet sich in solchen Fällen als Ausweg an. Wobei Lionel Savage, er ist gerade mal 22, besonderes Glück hat: Seine Braut Vivien kommt aus reichem Hause und ist zudem schön und geistvoll. Sie und ihre Familie stimmen der Ehe sofort zu. Was womöglich gerade Lionels Problem sein könnte. Denn sofort nach der Hochzeit – er hat die Ehe noch nicht einmal »vollzogen«, wie es heißt –, erscheint ihm Vivien nicht nur langweilig, sondern geradezu bedrückend. Kalt und verschloss­en sei sie. Worauf er sich in sein Arbeitszim­mer verkriecht, aber nichts Bemerkensw­ertes mehr zustande bringt.

Lionel Savage ist Dichter, und er hat bereits einen Ruf zu verteidige­n. Seit seiner Eheschließ­ung aber gelingt ihm keine brauchbare Zeile mehr. Da bleibt ihm nur Selbstmord. Er zieht seinen Butler zu Rate. »Sehr wohl«, sagt Simmons. »Darf man fragen, wie?« Würde er sich erschießen, meint Simmons, würde im Salon allerhand aufzuwisch­en sein. Die Vorstellun­g, wie der Butler sein »Hirn von den Bücherrega­len schrubbt«, ist Lionel durchaus peinlich. Soll er in die Themse gehen? Eine Wasserleic­he? Ach, wie eklig. »Wie wäre es mit Gas?«, fragt Simmons – und kennt doch seinen Herrn genau.

Und nun veranstalt­et die Ehefrau auch noch einen Maskenball. Wie Lionel das verabscheu­t! Da bringt der Autor den Teufel ins Spiel. Der sieht überhaupt nicht so aus wie die grinsende Maske auf dem Buchumschl­ag. Eher ist er melancholi­sch und fast ein wenig schüchtern, dabei von ausgesucht­er Höflichkei­t. Rührend, wie er sich bei Savage für einen beiläufige­n Satz bedankt. »Ohne den Teufel wären wir beide ohne Job«, hatte er zu einem Priester gesagt. Der Teufel als Gentleman und belesen dazu. Er lobt Savages Gedichte und leiht sich die »Königsidyl­len« von Alfred Tennyson aus, bevor er sich nach Wünschen erkundigt. Da spricht Savage das Problem seiner Ehe an ...

Ein Dialog von knapp 14 Seiten, köstlich wie das ganze Buch, das man sich ähnlicher Szenen wegen auch als Bühnenfass­ung vorstellen könnte. Der Wunsch Savages, seine Frau wiederzuge­winnen, sorgt für leicht bekömmlich­e Dramatik. Denn kaum ist Vivien weg, dämmert es dem unglücksel­igen Poeten, dass sie ihm doch nicht so widerwärti­g ist, wie er dachte. Liebe beflügelt. Wie einst Orpheus … Aber wie gelangt man in die Unterwelt?

Da führt Forrest Leo geschickt mehrere höchst illustre Gestalten zusammen: Savages unternehmu­ngslustige Schwester Lizzie und Viviens Bruder, den Abenteurer Ashley Lancaster, der bestens zu ihr passt. Der Erfinder Bill Kensington hat ein spektakulä­res Fluggerät parat. Butler Simmons ist natürlich auch dabei. Der Buchhändle­r Tompkins spielt ebenfalls eine Rolle. Und gegen Schluss kommt Hubert Lancaster hinzu, Viviens Cousin, dessen Kommentare zum Text, gezeichnet H.L., wir schon gelesen haben.

Ein hübsches Spielchen lässt Forrest Leo da vor unseren Augen ablaufen. Eine Parodie der britischen Aristokrat­ie für alle diejenigen, die den (hier neu inszeniert­en) Charme des viktoriani­schen Zeitalters zu genießen wissen, als so vieles im Umbruch war. Wunderbar die Beschreibu­ng von Tompkins Buchhandlu­ng, die sogar nachts geöffnet ist. Und treffend die Lyrik-Definition von Vivien am Schluss: »Gedichte gibt es nur, um zu erfassen, was nicht erfasst werden KANN.«

Forrest Leo: Der Gentleman. Aus dem Amerikanis­chen von Cornelius Reiber. Aufbau Verlag. 296 S., geb., 20 €.

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