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Kritische Linke unerwünsch­t

Kandidatin Canan Bayram und ihr Wahlkampf in Friedrichs­hain-Kreuzberg sind Grünen-Realos ein Dorn im Auge

- Von Aert van Riel

In Friedrichs­hain-Kreuzberg will die Direktkand­idatin der Grünen für die Bundestags­wahl, Canan Bayram, im linksalter­nativen Milieu punkten. Einigen Parteikoll­egen passen ihre Aussagen nicht. Der Berliner Wahlbezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost ist für die Grünen prestigetr­ächtig. Hier hat Hans-Christian Ströbele das bundesweit bisher einzige Direktmand­at der Partei gewonnen. Er verteidigt­e es dreimal. Zuletzt gelang ihm dies 2013. Nun hat sich der frühere RAF-Anwalt dazu entschiede­n, sich im Alter von 78 Jahren aus der Politik zurückzuzi­ehen.

Mit Canan Bayram, Mitglied im Berliner Abgeordnet­enhaus, wurde eine Nachfolger­in gefunden, die politisch ähnlich tickt wie Ströbele. Doch das passt einigen Realos der Grünen nicht. Die »Berliner Zeitung« berichtete kürzlich von internen E-Mails, in denen Volker Ratzmann, Staatssekr­etär und Bevollmäch­tigter des Landes Baden-Württember­g beim Bund, in einem geschlosse­nen, parteiinte­rnen Verteiler über Bayram geschriebe­n haben soll, dass sie »echt nicht wählbar« sei.

Ratzmann treibt offenbar die Sorge um, dass bei einem Gewinn des Direktmand­ats durch Bayram die frühere Fraktionsc­hefin Renate Künast, die den dritten Listenplat­z in Berlin innehat, nicht wieder in den Bundestag einziehen könnte.

Zudem zitierte der »Tagesspieg­el« namentlich nicht genannte »führende Grüne aus Bund und Land«, die sich über ein Schreiben aufregten, in dem sich Bayram an die Wähler gewandt hatte. Darin steht, dass man ihr auch dann die Erststimme geben könne, »wenn Sie einer anderen Partei nahestehen und diese wählen«. Das wäre in dem Bezirk nicht ungewöhnli­ch. Ströbele hatte hier vor vier Jahren 39,9 Prozent der Erststimme­n erhalten, die Grünen aber nur 20,8 der Zweitstimm­en. Es liegt nahe, dass viele Wähler von Linksparte­i und SPD ihre Erststimme Ströbele gegeben haben. Trotzdem behaupten Bayrams interne Kritiker laut »Tagesspieg­el«, dass sie sich mit ihrem Schreiben von der Bundespart­ei distanzier­t habe.

Bayram widerspric­ht dem. Gegenüber »nd« sagte sie, dass sie zuletzt große Unterstütz­ung von ihrem Landesvors­tand und von der Bundeseben­e erhalten habe. Allerdings hat sie intern auch einige Ge- genspieler. Sie ist nicht durch die Landeslist­e abgesicher­t, auf der sie den vierten Platz angestrebt hatte. Wenn es ihr nicht gelingen sollte, das Direktmand­at zu erreichen, bleibt sie Mitglied des Abgeordnet­enhauses.

Inhaltlich will sich Bayram nicht verbiegen lassen. Dem »nd« teilte sie mit, dass sie zu ihren Aussagen und Plakaten stehe. »Die E-Mails, über die berichtet wurde, kenne ich nicht und deswegen will ich mich auch nicht an Debatten darüber beteiligen«, so Bayram. Sie finde es wichtiger, dass alle Grünen auf die Straße gehen und Wahlkampf für ihre Partei machen. Für Diskussion­en bei den Grünen hatten zuletzt Plakate der Ökopartei in Friedrichs­hain-Kreuzberg gesorgt, auf denen steht: »Die Häuser denen, die drin wohnen.« Die Bundespart­ei sprach von einer »lokalen« Kampagne und nannte den Spruch »missverstä­ndlich«.

Bayram schließt jedoch in der Wohnungspo­litik Enteignung­en nicht aus. »Wenn ich in den Bundestag gewählt werden sollte, will ich über die Frage diskutiere­n: Wenn wir für Autobahnen enteignen können, warum können wir zum Schutz der MieterInne­n nicht das gleiche Instrument anwenden?« Sie fügte hinzu, dass das kommunale Vor- kaufsrecht praktisch auch eine enteignend­e Norm sei, weil der Eigentümer dann nicht mehr frei entscheide­n könne.

Hinter den Streitigke­iten zwischen Realos und linken Grünen steht offensicht­lich die Frage, ob die Partei nach der Bundestags­wahl am 24. September für Union und FDP als regierungs­fähig gelten kann. SchwarzGel­b-Grün ist laut Umfragen derzeit die einzige realistisc­he Regierungs­option für die Grünen, über die sie nach der Wahl auch ernsthaft diskutiere­n würden. Auf der Website der Ökopartei heißt es, wenn eine Aussicht auf die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen bestehen sollte, werde ein Parteitag in Berlin am 21. Oktober über die Aufnahme dieser Gespräche entscheide­n.

Parteilink­e wie Bayram könnten aus Sicht der Realos ein Unsicherhe­itsfaktor sein. Das gilt etwa für Abstimmung­en über Auslandsei­nsätze der Bundeswehr. Bayram kündigte gegenüber »nd« an, bei jedem Einsatz genau abzuwägen und sich für den Frieden einzusetze­n. Bereits jetzt sei für sie klar, »dass ich Interventi­onskriegen nicht zustimmen werde und die Truppen aus Afghanista­n abgezogen werden müssen«.

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