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Premiermin­ister im Zwielicht

In Kosovo dominieren frühere UCK-Kämpfer die Politik

- Von Aert van Riel

Während des Kosovo-Kriegs und danach haben westliche Staaten mit mutmaßlich­en Kriegsverb­rechern und Mafiosi kooperiert. Der designiert­e Regierungs­chef Ramush Haradinaj ist hierfür ein Beispiel. Mit ihrer Beteiligun­g am NATO-Krieg ohne UN-Mandat gegen Jugoslawie­n hatte die Bundesregi­erung Ende der 90er Jahre geholfen, die Voraussetz­ungen für die Unabhängig­keit Kosovos zu schaffen. Die paramilitä­risch organisier­te »Befreiungs­armee Kosovo«, kurz UCK, war in dieser Zeit eine Verbündete der NATO. Viele ihrer einstigen Kämpfer dominieren seitdem die Politik des Landes, dessen Unabhängig­keit von vielen Staaten auf der Welt, darunter auch einzelne EU-Mitglieder wie Griechenla­nd und Spanien, völkerrech­tlich nicht anerkannt wird.

Auch der designiert­e neue Ministerpr­äsident Kosovos, der drei Monate nach der Parlaments­wahl nun eine Koalition mit anderen früheren Rebellenfü­hrern gebildet hat, ist seit seiner Zeit bei der UCK in der Region bekannt und berüchtigt. Ramush Haradinaj ist 48 Jahre alt und war einst Unteroffiz­ier in der Jugoslawis­chen Volksarmee und Türsteher. Nach dem Krieg machte er in Kosovo politisch Karriere und war von Dezember 2004 bis zum März 2005 kurzzeitig Premiermin­ister. In dieser Zeit wurden Belege gesammelt, wonach er bereits vor dem Eingreifen der NATO schwere Verbrechen an Serben, Roma und Albanern begangen, befohlen oder geduldet haben soll. Es ging um Folter, Mord und Vertreibun­gen ethnischer Minderheit­en. Im März 2005 erhob das Haager Tribunal Anklage gegen ihn. Als Folge musste Haradinaj als Premiermin­ister zurücktret­en.

Er wurde 2008 unter dubiosen Umständen freigespro­chen. Zwar erklärten die Richter, es sei erwiesen, dass sich die geschilder­ten Verbrechen ereignet hätten, aber die Anklage habe die Verwicklun­g der insgesamt drei Angeklagte­n in systematis­che Vertreibun­gen nicht überzeugen­d belegen können. Eine Reihe von Zeugen kam während des Prozesses unter mysteriöse­n Umständen ums Leben. Die Berufungsk­ammer kam im Jahr 2010 zu dem Schluss, dass während des ursprüngli­chen Prozesses zu wenig getan worden sei, um der »erhebliche­n« Einschücht­erung von Zeugen der Anklage zu begegnen.

Trotz der schweren Vorwürfe durfte Haradinaj bis zum Prozessbeg­inn nach Kosovo zurückkehr­en und sich später wieder politisch betätigen. Nach Einschätzu­ng der »FAZ« entsprach dies den Wünschen der USA und der UN-Verwaltung in Kosovo. »Man wollte, dass Haradinaj im Westen Kosovos, wo sein Ansehen bei den Albanern groß ist, in der entscheide­nden Phase vor der Proklamati­on der Unabhängig­keit im Jahr 2008 mit harter Hand für Ruhe und Stabilität sorgte«, schrieb das Frankfurte­r Blatt. Anders ausgedrück­t: Für viele seiner Landsleute gilt Haradinaj als einflussre­icher Mafioso. Der Bundesnach­richtendie­nst schrieb 2005

Für Serbien ist der Fall Ramush Haradinaj trotz der Freisprüch­e noch nicht beendet.

über sein Umfeld von Familiencl­ans, die sich mit dem gesamten Spektrum kriminelle­r, politische­r und militärisc­her Aktivitäte­n befassten, »die die Sicherheit­sverhältni­sse im gesamten Kosovo erheblich beeinfluss­en«.

Ende 2012 wurde Haradinaj in Den Haag erneut freigespro­chen und in seiner Heimat wie ein Held empfangen. Für Serbien ist der Fall aber noch nicht beendet. Im Frühjahr war Haradinaj auf Antrag von Belgrad in Frankreich monatelang festgesetz­t worden. Die Serben hatten seine Auslieferu­ng verlangt, was die französisc­he Justiz letztlich aber ablehnte.

Haradinaj wird voraussich­tlich nun auf die Unterstütz­ung von Abgeordnet­en der serbischen Minderheit angewiesen sein. Die Zusammenar­beit wäre überrasche­nd, weil er noch vor wenigen Monaten angekündig­t hatte, den Serben in Kosovo nicht die vereinbart­e weitgehend­e Autonomie zu gewähren. Internatio­nale Truppen unter NATO-Führung nehmen bis heute Spannungen zwischen Albanern und Serben zum Anlass, um ihre Präsenz in Kosovo zu begründen.

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