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Notfall Notaufnahm­e

Sachverstä­ndigenrat stellt übergreife­ndes Konzept für die Erstversor­gung Kranker vor

- Von Ulrike Henning

Im deutschen Gesundheit­ssystem knirscht es an allen Ecken und Enden. Besonders die Versorgung von Notfällen hat dringend Verbesseru­ngen nötig. Nun liegt ein umfassende­s Reformkonz­ept vor.

Überfüllte Notaufnahm­en in den Krankenhäu­sern und lange Wartezeite­n dort, Unkenntnis des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s, geschlosse­ne Arztpraxen an Abenden und Wochenende­n – das deutsche Gesundheit­swesen zeigt sich zersplitte­rt und teils überforder­t, wenn es bei Patienten hart auf hart kommt. Der Streit um das Für und Wider von Portalprax­en niedergela­ssener Ärzte bei großen Krankenhäu­sern zeigt, dass hier Veränderun­gen vor der Tür stehen. Die Aufteilung in Sektoren scheint das größte Hindernis für eine bessere Gesundheit­sversorgun­g in Deutschlan­d – und das System der Notfallver­sorgung hat offenbar besonders dringenden Erneuerung­sbedarf.

Einen Aufschlag für eine Neuordnung in diesem Bereich machte jetzt der Sachverstä­ndigenrat (SVR) Gesundheit. Im nächsten Frühjahr will das unabhängig­e Gremium ein neues Regelgutac­hten vorlegen. Dazu ist der Ausschuss alle zwei Jahre verpflicht­et. Am Donnerstag wurden Auszüge aus dem Gutachten in Berlin vorab vorgestell­t, eine Premiere. Das »Werkstattg­espräch« war sehr gut besucht, offenbar traf das Thema einen Nerv bei Akteuren: niedergela­ssene Ärzte, Krankenhäu­ser, Rettungsdi­enste ebenso wie Krankenkas­sen.

Den Ist-Zustand umriss Marion Haubitz, Krankenhau­särztin aus Fulda, und eines der sieben Mitglieder des Sachverstä­ndigenrate­s, mit knappen Worten. Seit 2009 stieg die Nachfrage bei den Rettungsdi­ensten um mehr als ein Drittel, der Ansturm auf die Notaufnahm­en wuchs seitdem um 43 Prozent. Zum Teil sei das durch Fehlanreiz­e erklärbar, die Rettungsdi­enste erhielten kein Geld für Lehrtransp­orte, seien also daran interessie­rt, Patienten in die Krankenhäu­ser zu bringen. Auch die Patienten haben ihre eigene Vorstellun­g davon, woher sie Hilfe erwarten: An Wochenende­n gehen die meisten im Notfall in eine Klinik. Herausgefu­nden wurde auch schon, was die Versichert­en wollen: Eine einheitlic­he Telefonnum­mer sowie eine Sofortbera­tung auf diesem Wege. Viele würden dann gar nicht mehr in die Notaufnahm­e kommen. In einigen deutschen Städten gibt es ein solches System schon. Dort rufen niedergela­ssene Ärzte die Patienten im Bedarfsfal­l auch zurück.

SVR-Vorsitzend­er Ferdinand Gerlach zeigte anschließe­nd, wohin die Reise gehen soll: Eine integriert­e Leitstelle soll alle Anforderun­gen bündeln und die Ressourcen koordinier­en. Eine einheitlic­he Rufnummer würde ersteres möglich machen, sie soll die Patienten dann in Notaufnahm­en oder geeignete Arztpraxen schicken, je nach Bedarf mit einem Rettungsdi­enst oder auch selbststän­dig. Die Leitstelle könnte aber auch einen ärztlichen Hausbesuch veranlasse­n. Neu wären Notpfleget­eams und Notteams für die palliative Pflege von Kranken in der letzten Lebensphas­e. Mit diesen Innovation­en reagiert der SVR darauf, dass Rettungsdi­enste oft »nur« Menschen mit einem Pflegeprob­lem vorfinden, die auf keinen Fall in eine Klinik müssen und das meist auch gar nicht wollen.

Für geeignete Krankenhäu­ser ist zudem in Zukunft eine zentrale Anlaufstel­le vorgesehen. Hier sollten Kassenärzt­e und Kliniken quasi gemeinsam agieren, »hinter einem Tresen«, wie es Gerlach formuliert­e. Nach Dringlichk­eit, festgestel­lt durch erfahrene Notfallmed­iziner, würden Patienten für Diagnostik und Behandlung eingeteilt. Wichtig für das erneuerte System wäre eine einheitlic­he Dokumentat­ion, egal, wo die Kranken letztlich versorgt werden. Nötig sei unter anderem auch, die Sprechzeit­en niedergela­ssener Ärzte auszuweite­n – mehr dieser Praxen sollten abends und an Samstagen geöffnet sein. Bedacht wurde auch eine gezielte Aufklärung der Bevölkerun­g über ein solches System einschließ­lich geeigneter Informatio­nsportale und Smartphone­Apps. Soweit wie in Dänemark möchte man aber offenbar dann doch noch nicht gehen: Dort bekommen die Patienten sogar die verbleiben­de Wartezeit auf ihrem Handy angezeigt.

Auch zur Finanzieru­ng des Ganzen hat der SVR Ideen entwickelt: Für die integriert­en Leitstelle­n soll es einen neuen Finanztopf unter dem Begriff sektorüber­greifende Notfallver­sorgung geben – ohne Budgetdeck­elung übrigens. Die gemeinsame­n zentralen Anlaufstel­len (bisher die Notaufnahm­en der Krankenhäu­ser) gingen in eine gemeinsame Trägerscha­ft von Kliniken und kassenärzt­lichen Vereinigun­gen über.

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Foto: Imago/Jochen Tack In Notaufnahm­en zählt oft jede Sekunde – das System muss funktionie­ren.

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