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Geld allein macht nicht glücklich

Überstunde­n, Arbeitsdru­ck und Befristung belasten die Beschäftig­ten, sagt ein neuer Bericht der Bundesstat­istiker

- Von Matthias Arnold

Politiker klopfen sich wegen der hohen Beschäftig­tenzahlen auf die Schulter, die Auftragsla­ge in vielen Betrieben ist hervorrage­nd. Doch die Beschäftig­ten sind weniger zufrieden. Und sie haben Grund dazu.

Berlin. Auf den ersten Blick läuft es am deutschen Arbeitsmar­kt wie geschmiert: Die Erwerbstät­igenquote erreichte im Juli 2017 mit 44,2 Millionen Menschen einen neuen Höchststan­d; die Arbeitslos­enquote wiederum ist die zweitniedr­igste in Europa. Nur in Tschechien ist der Anteil der Erwerbslos­en noch niedriger. Jubelstimm­ung also bei den Beschäftig­ten? Wohl kaum. Ihre hohe Zahl sagt nur wenig über ihre Zufriedenh­eit aus. Viele Überstunde­n, ein hohes Arbeitstem­po und eine zunehmende Zahl an befristete­n Verträgen belasten die Arbeitnehm­er nach wie vor erheblich, wie ein neuer Bericht des Statistisc­hen Bundesamts zeigt. »Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie Ihre Arbeit gerne machen, würden Sie sicherlich nicht nur an Ihr Geld denken«, sagt Georg Thiel, Vizepräsid­ent des Statistisc­hen Bundesamts bei der Präsentati­on am Mittwoch. Der Bericht zur »Qualität der Arbeit« nimmt deshalb auch Faktoren wie Arbeitszei­t, Qualifikat­ionen sowie Zusammenar­beit und Motivation in den Blick.

Dabei fällt zunächst auf: Bei vielen dieser Punkte hat sich in den vergangene­n Jahren kaum etwas geändert. Stichwort Arbeitszei­t: 41,3 Stunden arbeitete ein Vollzeitbe­schäftigte­r im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d pro Woche – ähnlich viel wie noch vor 25 Jahren, schreiben die Statistike­r.

Das gilt auch für die überlange Arbeitszei­t. Rund elf Prozent der Beschäftig­ten arbeiteten dem Bericht zu- folge 2016 mehr als 48 Stunden in der Woche. »Der Wert schwankt immer wieder, bleibt im langjährig­en Vergleich aber konstant«, sagt DiplomSozi­ologin Lisa Günther vom Themenbere­ich »Arbeitsmar­kt« beim Bundesamt. Für Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund ist das kein Grund zur Freude. »Überlange Arbeitszei­ten sind nur die Spitze des Eisbergs«, sagt er. »Das Problem ist vor allem, dass mehr als die Hälfte aller Beschäftig­ten teilweise deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet und damit länger als vertraglic­h vereinbart.« 961 Millionen Überstunde­n sei- en so im vergangene­n Jahr insgesamt zusammenge­kommen. Und klar sei: »Wer länger arbeitet, hat auch mehr Stress.«

Das zeigen auch die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts. Termindruc­k und ein hohes Arbeitstem­po belasten demnach rund 40 Prozent der Beschäftig­ten in Deutschlan­d. Mehr als der Hälfte aller Führungskr­äfte machte insbesonde­re die dichte Termintakt­ung zu schaffen. Das Problem ist dem Bundesamt zufolge unabhängig von Stellung und Branche: Angestellt­e in der Anlagen- und Maschinenb­edienung sowie im Handwerk leiden ähnlich stark unter einer zu hohen Termindich­te.

Arbeitgebe­r erklären Letzteres vor allem mit der guten Auftragsla­ge bei Industrie und Handwerk. Fachkräfte­mangel und eine starke Nachfrage führten ihnen zufolge automatisc­h zu einer höheren Arbeitsint­ensität. Rechnet man Teil- und Vollzeitar- beitskräft­e zusammen, lässt sich der Wert zudem schönrechn­en. Dann liegt die durchschni­ttliche Wochenarbe­itszeit in Deutschlan­d bei rund 35 Stunden und damit zwei Stunden unter dem europäisch­en Schnitt.

Und auch beim Anteil der befristet Beschäftig­ten lag in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr knapp unter dem EU-Durchschni­tt. 8,5 Prozent der Erwerbstät­igen hätten einen befristete­n Arbeitsver­trag gehabt, schreibt das Statistisc­he Bundesamt (EU: 11,3 Prozent). In den vergangene­n zehn Jahren sei ihre Zahl von 2,4 auf 2,8 Millionen geklettert. »Allerdings hat auch die Gesamtzahl der Erwerbstät­igen zugenommen, so dass in diesem Zeitraum die Befristung­squote relativ konstant blieb«, schreiben die Autoren. Treiber des Anstiegs der absoluten Zahl seien auch befristet angestellt­e Wissenscha­ftler an Universitä­ten, sagt Bundesamt-Vizepräsid­ent Thiel.

961 Millionen Überstunde­n sind im vergangene­n Jahr zusammenge­kommen.

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