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Vergesslic­her Geheimdien­stler

NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss befasste sich mit Verrat einer Razzia an die rechte Szene

- Von Andreas Fritsche

Zwei Zeugen aus dem Verfassung­sschutz können sich an Namen nicht erinnern oder dürfen sie in öffentlich­er Sitzung des NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses nicht sagen.

Er soll als Referatsle­iter dafür gesorgt haben, dass der Verfassung­sschutz den V-Mann »Backobst« und so die rechte Szene vor Durchsuchu­ngen warnte. Doch vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags zum Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) erzählt Peter Giebler am Donnerstag harmlos, im Geheimdien­st habe man sich damals nicht erklären können, wer so etwas tun würde.

Die LINKE-Abgeordnet­en brechen spontan in Gelächter aus. »Das waren Sie doch selbst«, ruft der Abgeordnet­e Volkmar Schöneburg. Mit alten Dokumenten lässt sich der Fall genau rekonstrui­eren. Am 6. Februar 2001 gab es demnach eine Besprechun­g im Polizeiprä­sidium Potsdam, bei der auf die für den 17. Februar geplante Razzia hingewiese­n wurde. Giebler saß nach Aktenlage dabei, so heißt es im NSU-Ausschuss. Hinterher soll Giebler umgehend den damaligen Verfassung­sschutzche­f Heiner Wegesin informiert und dann auf Wegesins Anordnung veranlasst haben, dass der V-Mann »Backobst« gewarnt wurde, obwohl dessen Wohnung gar nicht im Visier der Ermittler war.

Unbekannte hatten im Januar 2001 einen Brandansch­lag auf die Trauerhall­e des jüdischen Friedhofs in Potsdam verübt. Es fand sich ein Bekennersc­hreiben der »Nationalen Bewegung«, die für eine Serie von Delikten verantwort­lich gemacht wird. Ganz sicher hat die Warnung die Aufklärung behindert, möglicherw­eise sogar verhindert.

Weil der Untersuchu­ngsausschu­ss nicht ausschließ­lich die Verwicklun­g des Verfassung­sschutzes in die NSUAffäre behandeln soll, sondern zusätzlich ganz allgemein »organisier­te rechtsextr­eme Gewalt und Behördenha­ndeln«, beschäftig­en sich die Abgeordnet­en schon monatelang mit der »Nationalen Bewegung«.

Peter Giebler ist jetzt 69 Jahre alt und befindet sich im Ruhestand. Er war Geheimdien­stler in Niedersach­sen, wurde 1992 als Aufbauhelf­er zum brandenbur­gischen Verfassung­sschutz versetzt. Dort arbeitete er einige Zeit als Referatsle­iter, war zuständig für Rechtsextr­emismus. Trotzdem erinnert er sich heute nur noch dunkel an das berüchtigt­e Skinheadne­tzwerk »Blood & Honour«, behauptet er. Namen fallen ihm nicht mehr ein.

Auch sonst will Giebler fast nichts mehr wissen. Noch einmal die alten Akten wälzen, konnte er angeblich nicht und hatte auch keine Lust dazu. »Auch wenn Sie mich möglicherw­eise für dement halten, ich erinnere mich nicht mehr«, hält Giebler den Abgeordnet­en entgegen, die ihm die riesigen Erinnerung­slücken nicht abnehmen und die Vereidigun­g des zeugen verlangen. Das alles sei in seinem Kopf gelöscht worden, als er 2008 in Pension ging, sagt er. Giebler sitzt da mit Sandalen an den Füßen, trägt einen Stoppelbar­t und einen Verband an der Hand. Er beschreibt sich als traumatisi­erte Persönlich­keit, die keine Karriere machen durfte, weil sie nicht der CDU angehörte. Er sei sich als Referatsle­iter vorgekomme­n wie eine Marionette oder wie eine Galionsfig­ur, während andere die Fäden zogen beziehungs­weise den Kurs bestimmten. In all den Jahren beim Geheimdien­st hat Giebler vorgeblich als einzigen VMann überhaupt ein einziges Mal den V-Mann »Piatto« getroffen.

»Die Aktenlage sieht völlig anders aus«, bemerkt die SPD-Abgeordnet­e Inka Gossmann-Reetz. Demnach soll es in einer Pizzeria in Werder/Havel ein Treffen mit dem V-Mann »Backobst« gegeben haben. Von einer Oberstaats­anwältin ist Giebler nach der verpatzten Razzia verhört worden, weil ein Verdacht auf Geheimnisv­errat bestand. Auch darauf könne er sich nicht besinnen, beteuert er.

Der CDU-Abgeordnet­e Björn Lakenmache­r fragt erstaunt und ein bisschen verschnupf­t nach: »Kann es sein, dass es beim Verfassung­sschutz einen zweiten Herrn Giebler gibt?« Das empfindet der derart Angesproch­ene als »despektier­lich«. Er fühlt sich »angemacht«.

Der frühere Verfassung­sschutzche­f Wegesin, anschließe­nd als Zeuge vernommen, scheint sich viel besser zu erinnern. Er ist inzwischen 63 Jahre alt und Direktor beim Bundesamt für Verfassung­sschutz – und er weiß beispielsw­eise ein paar Namen aus der Blood & Honour-Szene zu nennen: »Schneider und Kosorten.«

Doch gleich grätscht die Aufpasseri­n aus dem Innenminis­terium dazwischen und ermahnt, keine Klarnamen zu nennen. Dass er nicht einmal längst öffentlich­e Namen bekannter Neonazis in den Mund neh- men dürfe, das bringe ihn um seinen »Nachtschla­f«, witzelt Wegesin verständni­slos. Aber resigniert lenkt er ein: »Also gut. Ich werde nur noch den Anfangsbuc­hstaben verwenden, außer bei meinem eigenen Namen.«

Wegesin verrät, wie der Geheimdien­st Spitzel anwirbt. »Mit Geld geht es am besten. Wenn es jemand gibt, der für Judaslohn tätig wird, ist das eine Grundlage, auf der man sich einigen kann.« Bei einer ideologisc­hen Motivlage werde es schwierig. Wie viel Geld wurde den Spitzeln gezahlt? »Die hatten nicht viel, da gab es nicht viel.« Regel sei, dass die Informante­n nicht so viel zugesteckt bekommen, dass sie ihren Lebensunte­rhalt davon bestreiten können. Die Summen wurden übrigens mit zehn Prozent pauschal versteuert, schmunzelt Wegesin.

Er habe sich über jeden Quellentre­ff schriftlic­h informiere­n lassen. Schon allein, weil es an qualifizie­rtem Personal gemangelt habe, so dass der Verfassung­sschutz auf Quereinste­iger, vornehmlic­h Polizisten, habe zurückgrei­fen müssen. Er könne sich nicht herausrede­n, er habe etwas nicht gewusst, bekennt Wegesin. »Ich hätte es wissen müssen.«

Die Ende vergangene­n Jahres von Generalsta­atsanwalt Erardo Rautenberg geäußerte Vermutung, die »Nationale Bewegung« sei womöglich ein Geschöpf des Verfassung­sschutzes, wehrt Wegesin ab. »Einen erhebliche­n Teil der Tatsachenb­ehauptunge­n vermag ich mir nicht zu erklären«, sagt er. Er räumt jedoch ein, der Geheimdien­st habe bei der »Nationalen Bewegung« Fehler gemacht. »Das war für uns Lehrstoff, es besser zu machen.« Der Geheimdien­st habe damals herumgerät­selt, wer hinter der »Nationalen Bewegung« stecken könnte. Ob das eine Person sei oder mehrere, ob diese aus Brandenbur­g kommen oder aus Berlin. Die Täter konnten bis heute nicht dingsfest gemacht werden. In einer Pause schimpft Wegesin dann über die »Scheiß Durchstech­erei der Durchsuchu­ngen«. Hat er denn Peter Giebler tatsächlic­h nicht selbst angewiesen, den V-Mann »Backobst« zu warnen? »Nein«, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

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Foto: dpa/Peter Grimm Am 8. Januar 2001 nach dem Brandansch­lag auf der Trauerhall­e des jüdischen Friedhofs in Potsdam
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Foto: dpa/Peter Grimm Die Polizei konnte die Täter nicht fassen.

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