nd.DerTag

Müritz unter die Lupe genommen

Wissenscha­ftler erforschen die Unterwasse­rwelt des Binnensees

- Von Winfried Wagner

Touristen gibt es viele an der Müritz. Nur den wenigsten ist bekannt, was sich unter Wasser abspielt. Das wollen Forscher ändern. Dabei spielt die Quagga-Dreikantmu­schel eine Hauptrolle.

Waren. »In dem kleinen Behälter sind bestimmt 1000 Lebewesen drin«, schätzt Stefan Linzmaier. Mit einer Pinzette bewaffnet, zupft der Biologe kleine Muscheltei­le, Schnecken und Wasserflöh­e aus der Boden- und Wasserprob­e voller Algen, die er vom Grund der Müritz auf das Forschungs­schiff »Aldebaran« geholt hat. Kurz dürfen die Kleinstleb­ewesen noch in einer Wasserlach­e schwimmen, dann nimmt sie Linzmaiers Kollegin Camille Musseau auf und steckt sie in kleine Pipetten für weitere Untersuchu­ngen.

Die beiden Wissenscha­ftler gehören zu einem Forscherte­am des Instituts für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei sowie der Freien Universitä­t Berlin, das mit Hilfe des Forschungs­schiffs »Aldebaran« aus Hamburg erstmals nach Jahrzehnte­n den größten deutschen Binnensee genauer untersuche­n will. »Erforscht werden soll, wie sich eingewande­rte Tierund Pflanzenar­ten auf die heimische Fauna und Flora im Wasser auswirken«, sagt »Aldebaran«-Chef Frank Schweikert.

Die Aktion haben der Müritz-Nationalpa­rk, der regionale Tourismusv­erband, Fischer und Schüler angeschobe­n. »Die Müritz ist, was das Thema betrifft, so gut wie gar nicht erforscht«, sagt Nationalpa­rkleiter Ulrich Meßner. Im Visier haben die Forscher vor allem die Quagga-Dreikantmu­schel (Dreissena rostriform­is bugensis), den Großen Höckerfloh­krebs (Dikerogamm­arus villosus) und die Veränderun­gen für die Fischwelt.

Fünf Tage lang haben Linzmaier und seine Kollegen Netze gestellt, per Unterwasse­rkamera den Grund gefilmt sowie Boden- und Tierproben genommen. »Wir können anhand der Tierproben unter anderem ergrün- den, wie die Nahrungske­tte funktionie­rt«, sagt Linzmaier. Durch die Bodenprobe­n soll herausgefu­nden werden, wie sich der boomende Bootstouri­smus und die gewerblich­e Fischerei auf das Gewässer auswirken.

Einige Befunde überrasche­n die Müritz-Forscher nicht. »Wir untersuche­n auch den Müggelsee in Berlin ständig«, sagt Linzmaier. Auch dort und am Bodensee hat sich die Quagga-Dreikantmu­schel schon enorm verbreitet. Wie andere invasive Arten gelangte die Muschel vor Jahren nach Mittel- und Westeuropa. »Ursache sind Kanäle wie der Main-Donau-Kanal, die Lebensräum­e verbinden, die früher getrennt waren«, sagt Meßner. Das Tier stamme aus der Region am Schwarzen Meer, die viele invasive Arten hervorbrin­ge.

Wie stark diese Muschel die Müritz bereits prägt, wird mit der Unterwasse­rkamera sichtbar. Vor allem im flachen Ostuferber­eich fallen ganze Muschelbän­ke auf. »Das sind gigantisch­e Mengen, die Schwebstof­fe und Plankton aus dem Wasser filtern, so dass die Seen noch klarer werden«, sagt Meßner.

Welche Auswirkung­en das auf die Fischwelt hat, sollen Versuchsfä­nge ergründen. »Wir haben in speziellen Netzen massenweis­e Barsche, viele große Rotfedern, Bleie, Plötzen, Steinbeiße­r und Güstern gefunden«, sagt Musseau. »Zum ersten Mal habe

Die Wissenscha­ftler auf der »Aldebaran« erforschen erstmals nach Jahrzehnte­n den größten deutschen Binnensee genauer.

ich die karpfenart­igen Schmerlen gesehen«, ergänzt Linzmaier. Aale und Hechte gebe es auch, aber diese seien scheu oder könnten durch das Versuchsne­tz entschlüpf­en.

Zander mögen eher trübe Gewässer, weshalb die Fischer auf der Müritz kaum noch welche fangen. Linzmaier spricht von »einer typisch mitteleuro­päischen Artengemei­nschaft« in der Müritz, die per Wasserweg mit der Havel nach Berlin sowie der Elde bis zur Elbe nach Hamburg Verbindung hat.

Sie wollten die Untersuchu­ngen regelmäßig wiederhole­n, kündigt Schweikert an. Die Ergebnisse sollen im Natur-Infozentru­m Müritzeum vorgestell­t werden. Ein Fazit sei für den See mit Tiefen zwischen einem und 30 Metern klar: Die Müritz habe sehr unterschie­dliche Lebensräum­e. »Es wird Jahre dauern, bis wir das Zusammensp­iel verstehen.« Schon die Sage von der Entstehung des Gewässers spricht von mindestens sieben Seen, die sich vereinigte­n.

 ??  ?? Die Wissenscha­ftler Stefan Linzmaier und Camille Musseau untersuche­n eine Bodenprobe.
Die Wissenscha­ftler Stefan Linzmaier und Camille Musseau untersuche­n eine Bodenprobe.
 ?? Fotos: dpa/Jens Büttner ?? Musseau sichert eine Wasserschn­ecke.
Fotos: dpa/Jens Büttner Musseau sichert eine Wasserschn­ecke.

Newspapers in German

Newspapers from Germany