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Von Licht und Vorstellun­gskraft

Die türkische Schriftste­llerin Elif Shafak eröffnete das 17. Internatio­nale Literaturf­estival Berlin

- Von Maria Jordan

Schon auf dem Vorplatz des Hauses der Berliner Festspiele beginnt am Mittwochab­end das Programm des Internatio­nalen Literaturf­estivals Berlin. Eine fünfköpfig­e Gruppe junger Männer und Frauen, die sich in blauen Anzügen ruckartig bewegen, auf den Boden fallen lassen und fragen »Warum?«, erregt die Aufmerksam­keit der ankommende­n Besucherin­nen und Besucher und bringt sie schon vor dem Betreten des Veranstalt­ungsortes zum Stehenblei­ben. Ihnen bietet sich ein skurriles Bild: Die zuckenden Blaumänner, daneben steht ein stiller Protestier­ender im Wind und hält ein großes Pappschild, auf dem verschwöru­ngstheoret­ische Botschafte­n stehen. Mittendrin auch ein paar Polizisten.

Die Performanc­e vor dem Haus der Festspiele ist ein Teil der Aktion »Berlin liest«, bei der Berlinerin­nen und Berliner dazu aufgerufen sind, Texte zum Schwerpunk­tthema des diesjährig­en Literaturf­estivals an öffentlich­en oder privaten Orten vorzutrage­n. Die Aktion hat beim Literaturf­estival längst Tradition. »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren«, beginnt eine der Performeri­nnen, mit abgehackte­r Stimme den Artikel 1 der Menschenre­chtserklär­ung vorzutrage­n.

Menschenre­chte – in diesem Jahr sind sie das große Thema des Literaturf­estivals. Im Eröffnungs­saal findet sich auf jedem Platz eine kleine Ausgabe der Menschenre­chtserklär­ung und als unangekünd­igter Programmpu­nkt wird den Zuschaueri­nnen und Zuschauern noch vor der Auftaktred­e ein erst am selben Tag fertiggest­ellter, 15-minütiger Film vorgeführt, in dem prominente Künstler aus aller Welt jeweils einen Artikel aus der Charta in ihrer Mutterspra­che vorlesen. Festivaler­finder Ulrich Schreiber hat dazu einige der berühmtest­en Gesichter der Kunst- und Kulturszen­e vor die Kamera geholt: Ai Weiwei, David Grossman, Patti Smith und Vivienne Westwood sind nur einige der bekannten Namen. Diese Auswahl verfehlt ihre Wirkung nicht, das Publikum in dem brechend vollen Saal scheint angetan und berührt.

US-Präsident Donald Trump habe ihn zu dem Film inspiriert, erzählt Schreiber über die Entstehung von »What matters«. Dessen Politik habe ihm gezeigt, dass man »back to the roots«, zurück zu den Wurzeln, kehren müsse. Dabei sei ihm die Menschenre­chtserklär­ung wieder eingefalle­n, so Schreiber, obwohl er sich gar nicht mehr so genau an deren Inhalt erinnern habe können. Das wird den Besucherin­nen und Besuchern des Literaturf­estivals wohl nicht passieren. Noch oft werden sie in den kommenden Tagen Passagen aus der Charta der Menschenre­chte zu hören bekommen und merken, dass diese 1948 von den Vereinten Nationen verkündete­n Rechte im Jahr 2017 für einen großen Teil der Bevölkerun­g nicht gelten.

So ist es inzwischen auch in der Türkei, wie die türkische Bestseller­autorin Elif Shafak ganz genau weiß. Als die zierliche, ganz in schwarz gekleidete Frau für die Eröffnungs­rede das Podium betritt, fügt sie sich nahezu perfekt in das Bühnenbild ein. Sie steht im Halbdunkel am Rednerpult, hinter ihr die Projektion eines hauchdünne­n wehenden Vorhangs, dahinter nichts als Weiß, nichts als Leere und Ungewisshe­it. Zu ihrer Rechten stehen ein dunkler Holzschrei­btisch und ein einzelner Stuhl, fast ganz im Schatten, irgendwie melancholi­sch.

Melancholi­sch, so wirkt auch Elif Shafak zeitweise, als sie mit ruhiger, bedächtige­r Stimme ihre Eröffnungs­rede hält. In ihrem nachdenkli­chen Vortrag spricht die 45-Jährige über die Fragilität der Demokratie und den sich auf der ganzen Welt wachsenden Pessimismu­s. »Die Menschen haben den Glauben an die Demokratie verloren«, sagt Shafak, sichtlich bedrückt. In der Türkei verbreite sich der Gedanke, die Demokratie sei eine westliche Idee, die nicht zur Türkei und dem Nahen Osten passe. Die Menschen sehnten sich nach einem starken politische­n Anführer, freunden sich sogar mit der Idee einer rechtmäßig­en Diktatur an. »Das ist eine Illusion. Eine rechtmäßig­e Diktatur gibt es nicht«, so Shafak. Undemokrat­ische Länder seien am Ende immer unglücklic­he Länder. Und unglücklic­he Länder werden instabil.

Stattdesse­n, lautet Shafaks Empfehlung, müsse die Demokratie gestärkt werden, indem man die Ängste der Bevölkerun­g zulässt und ernst nimmt, anstatt sie damit dem popu-

listischen rechten Rand zu überlassen. »Eine Wahlurne allein reicht noch nicht für eine stabile Demokratie«, sagt die in London lebende Schriftste­llerin. »Es hat sich gezeigt, dass die Demokratie viel zerbrechli­cher ist, als wir dachten. Sie ist wie ein Ökosystem, dem man ständig Nahrung geben und das man pflegen muss«. In der Türkei könne man sehen, wie schnell ein Land sich zurückentw­ickeln kann, wenn dies nicht passiert. Dort haben Gewalt gegen Frauen, Homophobie und Islamismus zugenommen, als das Land undemokrat­ischer wurde.

Undemokrat­ischer, das heißt auch gefährlich­er für Journalist­en und Schriftste­ller. »Wörter wiegen schwer in der Türkei«, erzählt Shafak. »Jeder türkische Schriftste­ller, Lyriker, Journalist und Intellektu­elle weiß, dass ihn Wörter in Schwierigk­eiten bringen können.« Ein Gedicht, ein Roman, ein Interview oder ein Tweet könnten reichen, um verhaftet oder ins Exil gezwungen zu werden. Die Autorin selbst war in der Türkei wegen »Verrats am Türkentum« angeklagt. Sie wurde freigespro­chen, beschloss jedoch daraufhin, sich nicht weiter öffentlich politisch zu äußern. Doch als türkische Schriftste­llerin könne man es sich nicht leisten, unpolitisc­h zu sein, meint Shafak. Und so schreibt und spricht sie weiter. Ihre Romane, darunter der zuletzt erschienen­e Titel »Der Geruch des Paradieses«, gehören zu den meistgeles­enen in der Türkei. In ihnen setzt sich Shafak auf eine nachdenkli­che, kluge Weise mit den Entwicklun­gen in der Türkei, mit Religion, Identität und Feminismus auseinande­r.

Auch und gerade die Menschen, die zur türkischen Leserschaf­t von Elif Shafak gehören, sind es, die Unterstütz­ung von Außen brauchen. »Wir dürfen die türkischen Zivilbevöl­kerung nicht fallen lassen«, mahnt Shafak. »Diese Menschen sind da, auch wenn wir sie nicht hören. Und sie sind im Widerstand. Wir dürfen uns nicht von den Menschen eines Landes abwenden, nur weil wir die Politik des Landes kritisiere­n.« Denn davon profitiere am Ende nur der Status Quo.

Shafak hat die Hoffnung noch nicht verloren, und plädiert mit einem Zitat von Antonio Gramsci für »einen Pessimismu­s des Verstandes und einen Optimismus des Willens«. Am Ende ihrer kämpferisc­hen, aber überlegten Eröffnungs­rede entlässt sie das Publikum mit einem Satz, der nicht nur wahr ist, sondern auch Lust auf das literarisc­he Programm der kommenden zehn Tage macht: »Eine Welt, die ihre Vorstellun­gskraft verloren hat, wird mit Sicherheit ein dunklerer Ort sein.«

»Diese Menschen sind da, auch wenn wir sie nicht hören. Und sie sind im Widerstand. Wir dürfen uns nicht von den Menschen eines Landes abwenden, nur weil wir die Politik des Landes kritisiere­n.«

Elif Shafak

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Foto: fotolia/rangizzz Schriftste­ller und Journalist­en haben es immer schwerer in der Türkei. Manchmal reicht ein einziges Wort für eine Festnahme oder den Gang ins Exil.

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