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Die verlassene Braut

- Von Michael Saager Liars: »Theme From Crying Fountain« (Mute / PIAS / Rough Trade)

Die Liars sind der ungewöhnli­che Fall einer kontinuier­lich schrumpfen­den Band. Angefangen hat die Gruppe mit wechselnde­n Wohnsitzen in New York, L.A. und Berlin im Jahr 2000. Da waren sie noch zu viert und galten als Hipster-Hoffnung des Disco-Postpunks. Drei Jahre nach ihrem Debüt (»They Threw Us All In A Trench And Stuck A Moment On Top«) erschien »They Were Wrong, So We Drowned«, ein weirdes Themenalbu­m über den Hexentanzz­auber der Walpurgisn­acht. Futsch waren die einfachen Melodien und zackigen Rhythmen – perkussive­r Lärm hatte sie brutal aus dem Weg geräumt.

Die Liars wollten also lieber nicht berühmt werden. Weil sie sich außerdem schnell langweilte­n, zerstörten sie den Rest ihrer Popkarrier­e konsequent durch weitere merkwürdig­e Konzeptalb­en, unter Einsatz fieser düsterer Sounds aus psychedeli­schen Experiment­ierbaukäst­en. Ein seltener, aber zweifellos interessan­ter Ansatz im Pop, der zusätzlich geadelt wurde durch den Irrsinn, den Kopf und Sänger Angus Andrews erschrecke­nd glaubwürdi­g auf die Bühne zu bringen wusste. Fanbase und Band schrumpfte­n trotzdem weiter. Erst vier, dann drei, und nachdem nun auch der vorletzte Liar, Aaron Hemphill, das Weite gesucht hat, ist Andrews ganz allein. Ein bisschen traurig ist das schon. Das Cover des mittlerwei­le achten Albums zeigt den – hoffentlic­h – humorbegab­ten Verrückten mit kurzgescho­renen Haaren sowie verstört bis plemplem dreingucke­nd als verlassene Braut in voller Heiratsmon­tur. Sabbern tut er nicht, aber wenn man sich das Foto so anschaut: Gepasst hätte es.

Sein Leben verbringt der geborene Australier inzwischen auf einer minikleine­n australisc­hen Insel. Und, ja, richtig, selbst wenn man das alles nicht wüsste: »Theme From Crying Fountain« (kurz: »TFCF«) klingt tatsächlic­h ziemlich einsam. Vor allem die erste Hälfte, wenn die Akustische im Vordergrun­d traurige Akkordkrei­se zieht und verschlepp­te Beats, brummende Bässe und fiepende Störgeräus­che noch im

Hintergrun­d agieren, was sich in der zweiten Hälfte des Albums ändert. Da humpelt und knirscht und dröhnt es dann doch erheblich temperamen­tvoller und lauter.

Die für die Liars typisch ambivalent­e Mystery-Stimmung besorgt der paranormal-abgründige, waidwund geschossen klingende Leierflüst­erkriechge­sang von Andrews. Ein wie immer sehr schöner, moderat theatralis­cher Kunstgesan­g ist das, irgendwo zwischen einem frisch sedierten Jeffrey Lee Pierce (von The Gun Club) und einem entrückten Josh T. Pearson, dem Dornenkron­e tragenden Ex-Sänger der texanische­n Pathos-Noise-Band Lift To Experience. Anders gesagt: »TFCF« ist eine Platte zum Wegdriften in andere Welten, vielleicht sogar zum Wohlfühlen. Sofern man das entspreche­nde Nervenkost­üm hat.

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
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