Die verlassene Braut
Die Liars sind der ungewöhnliche Fall einer kontinuierlich schrumpfenden Band. Angefangen hat die Gruppe mit wechselnden Wohnsitzen in New York, L.A. und Berlin im Jahr 2000. Da waren sie noch zu viert und galten als Hipster-Hoffnung des Disco-Postpunks. Drei Jahre nach ihrem Debüt (»They Threw Us All In A Trench And Stuck A Moment On Top«) erschien »They Were Wrong, So We Drowned«, ein weirdes Themenalbum über den Hexentanzzauber der Walpurgisnacht. Futsch waren die einfachen Melodien und zackigen Rhythmen – perkussiver Lärm hatte sie brutal aus dem Weg geräumt.
Die Liars wollten also lieber nicht berühmt werden. Weil sie sich außerdem schnell langweilten, zerstörten sie den Rest ihrer Popkarriere konsequent durch weitere merkwürdige Konzeptalben, unter Einsatz fieser düsterer Sounds aus psychedelischen Experimentierbaukästen. Ein seltener, aber zweifellos interessanter Ansatz im Pop, der zusätzlich geadelt wurde durch den Irrsinn, den Kopf und Sänger Angus Andrews erschreckend glaubwürdig auf die Bühne zu bringen wusste. Fanbase und Band schrumpften trotzdem weiter. Erst vier, dann drei, und nachdem nun auch der vorletzte Liar, Aaron Hemphill, das Weite gesucht hat, ist Andrews ganz allein. Ein bisschen traurig ist das schon. Das Cover des mittlerweile achten Albums zeigt den – hoffentlich – humorbegabten Verrückten mit kurzgeschorenen Haaren sowie verstört bis plemplem dreinguckend als verlassene Braut in voller Heiratsmontur. Sabbern tut er nicht, aber wenn man sich das Foto so anschaut: Gepasst hätte es.
Sein Leben verbringt der geborene Australier inzwischen auf einer minikleinen australischen Insel. Und, ja, richtig, selbst wenn man das alles nicht wüsste: »Theme From Crying Fountain« (kurz: »TFCF«) klingt tatsächlich ziemlich einsam. Vor allem die erste Hälfte, wenn die Akustische im Vordergrund traurige Akkordkreise zieht und verschleppte Beats, brummende Bässe und fiepende Störgeräusche noch im
Hintergrund agieren, was sich in der zweiten Hälfte des Albums ändert. Da humpelt und knirscht und dröhnt es dann doch erheblich temperamentvoller und lauter.
Die für die Liars typisch ambivalente Mystery-Stimmung besorgt der paranormal-abgründige, waidwund geschossen klingende Leierflüsterkriechgesang von Andrews. Ein wie immer sehr schöner, moderat theatralischer Kunstgesang ist das, irgendwo zwischen einem frisch sedierten Jeffrey Lee Pierce (von The Gun Club) und einem entrückten Josh T. Pearson, dem Dornenkrone tragenden Ex-Sänger der texanischen Pathos-Noise-Band Lift To Experience. Anders gesagt: »TFCF« ist eine Platte zum Wegdriften in andere Welten, vielleicht sogar zum Wohlfühlen. Sofern man das entsprechende Nervenkostüm hat.