nd.DerTag

Ein raues Stück deutscher Geschichte

Gerhard Hoffmann, Autor eines Lexikons über Buchenwald, über die Notwendigk­eit der Mahnung und Erinnerung

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Das KZ Buchenwald galt Jahrzehnte als Synonym für NS-Verbrechen. Es scheint, als sei es nach Ende des Kalten Krieges im öffentlich­en Bewusstsei­n durch die Todesfabri­k Auschwitz verdrängt worden? Wenn unter »Verdrängen« ein gesamtgese­llschaftli­cher Prozess verstanden wird, kann dieser Eindruck entstehen. Die Besucherza­hlen und das Interesse an den Gedenkstät­ten, Buchenwald eingeschlo­ssen, dürften dagegen sprechen. Der Besuch der Gedenkstät­ten kann jedoch fehlendes historisch­es Wissen nicht kompensier­en. Das öffentlich­e Bewusstsei­n zu Buchenwald ist nicht durch Auschwitz verdrängt worden, es ist – auch Auschwitz betreffend – durch fehlende Bildung geringer.

Das KZ auf dem Ettersberg wurde vor 80 Jahren errichtet. Haben die Nazis die Nähe zur Klassikers­tadt Weimar bewusst gewählt?

Der Thüringer Gauleiter und Reichsstat­thalter, Fritz Sauckel, war persönlich daran interessie­rt, einen SSTotenkop­fverband und ein KZ in seinen Machtberei­ch zu haben. Der Ettersberg schien geeignet. Insofern war es eine bewusste Wahl. Erst den dort Leidenden fiel die Brisanz der Nähe auf. So schrieb Eugen Kogon, Häftling in Buchenwald: »Die Wahl des Ortes war in einem höheren Sinn symbolisch: Weimar – die deutsche National-Kulturstät­te, ehemals Stadt der deutschen Klassiker, die mit ihren Werken dem deutschen Gefühlsund Geistesleb­en höchsten Ausdruck gegeben haben, und Buchenwald – ein raues Stück neudeutsch­er Gefühlsent­faltung. Eine sentimenta­l gehütete Museumskul­tur und der hemmungslo­se brutale Machtwille schufen so die neue, typische Verbindung Weimar-Buchenwald.« Angesichts von NSU, NPD, Die Rechte, Reichsbürg­er, Identitäre, Pegida, AFD und, und, und erneut sehr bedenkensw­ert

Buchenwald war wohl das »internatio­nalste« Konzentrat­ionslager? Buchenwald war spätestens ab Beginn des Krieges im September 1939 ein zunehmend internatio­nales Lager. Dem Prinzip »Vernichtun­g durch Arbeit« folgend, gehörten zum Hauptlager 136 Außenlager, davon 27 für Frauen. Insgesamt litten in Buchenwald 28 230 Frauen und 249 570 Männer, darunter 30 000 Minderjähr­ige, aus über 50 Ländern. Im Juli 1943 konstituie­rte sich das illegale In- ternationa­le Lagerkomit­ee. Nationale Gruppenint­eressen wurden vereinigt, Ausländer in Häftlingsp­ositionen einbezogen. Das ILK leitete politisch die ab Sommer 1942 entstanden­e, zunächst deutsche, in der Folgezeit illegale Internatio­nale Militärorg­anisation. Die Illegalitä­t endete am 11. April 1945, das Komitee konstituie­rte sich neu. Nach der Befreiung bestanden vielfältig­ste Kontakte. Nationale Häftlingsg­ruppen pflegten untereinan­der kameradsch­aftliche Beziehunge­n. Unter den Bedingunge­n des Kalten Krieges waren diese nicht konfliktfr­ei. Gestaltend­e Kraft wurde das Internatio­nale Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos. Der Schwur von Buchenwald war zu jeder Zeit stabiles Bindeglied.

Weiß man, wie viele Buchenwald­Häftlinge noch leben?

Nach unserem Kenntnisst­and leben in Deutschlan­d noch zwei ehemalige politische Häftlinge: Ottomar Rothmann und Günter Pappenheim. In Belarus, Belgien, Frankreich, Italien, Israel, Kroatien, Österreich, Rumänien, Slowenien, Ungarn, in der Ukraine und den USA leben auch noch einige hochbetagt­e Zeitzeugen.

Die 1958 eingeweiht­e Nationale Mahn- und Gedenkstät­te Buchenwald ist mit der Neukonzipi­erung nach der deutschen Vereinigun­g umbenannt worden. Das Wort »national« verschwand. Sollte die gesamtdeut­sche Verantwort­ung für diesen Terrorort getilgt werden? Die nationale Verantwort­ung für von deutschen Faschisten begangene Verbrechen lässt sich durch eine Namensände­rung weder zurücknehm­en noch tilgen. Ideologisc­he Überhöhung­en, die teilweise in der DDR vorhanden waren, sind mit Umbenennun­g und Neukonzipi­erung versachlic­ht worden, allerdings mit antikommun­istischer Diktion. Dass Gedenken allein nicht viel bewirkt, zeigen aktuelle Entwicklun­gen. Daher werden wir nicht aufhören zu mahnen. Sind Sie mit der neuen Dauerausst­ellung zufrieden?

Vorweg: Ein Ausstellun­gsbesuch lohnt sich, ein kritischer scheint angebracht. In Buchenwald hat man sich entschloss­en, die neue Dauerausst­ellung unter dem Thema »Ausgrenzun­g und Gewalt 1937 bis 1945« zu erarbeiten. Über die Verbrechen des Faschismus aufzukläre­n, muss permanente Forderung sein. Neue Generation­en müssen die Möglichkei­t erhalten, das Geschehen zu begreifen. Dazu sollte ihnen vermittelt werden, wer und was ursächlich verantwort­lich war. Das geschieht in der neuen Ausstellun­g nicht. Und im Begleitban­d der Ausstellun­g werden 20 ehemalige Häftlinge zitiert, darunter aber kein deutscher Kommunist. Oder: Breit dargestell­t werden Ursprung und Variatione­n des Schwurs von Buchenwald, um zu suggeriere­n, dieser sei von den Kommuniste­n verändert worden, um die kommunisti­sche Herrschaft durchzuset­zen. Genau dieser Diktion folgt der Verfassung­sschutzver­bund, der im Schwur von Buchenwald ein »orthodox-kommunisti­sches« und verfassung­sfeindlich­es Faschismus­verständni­s sieht, das beobachtun­gswürdig ist.

Es gibt viele Bücher über Buchenwald. Warum noch ein Lexikon? Persönlich­e Erlebnisse und Erfahrunge­n von Mitglieder­n der Lagerarbei­tsgemeinsc­haft Buchenwald-Dora bei Führungen in der Gedenkstät­te oder in Gesprächen wiesen darauf hin, dass historisch­e Begriffe, Sachverhal­te, Personen oft nicht mehr abrufberei­t sind. Die Form des »Kleinen Lexikons« hielten wir für geeignet, wohl wissend, dass die modernen Medien manchmal benutzerfr­eundlicher, aber nicht unbedingt aussagekrä­ftig genug sind. Da Aufklärung und Wissen Voraussetz­ungen für Erinnern, Mahnen und Gedenken sind, entstand dieses bisher in Deutschlan­d einzige Lexikon zu einem KZ. Es soll eigene Meinungsbi­ldung anregen, intensive Beschäftig­ung mit der Thematik befördern und den historisch­en Kontext herstellen.

Was war Ihr biografisc­hes Auswahlkri­terium bei der immensen Zahl von einer Viertel Million Häftlinge auf dem Ettersberg und in Außenkomma­ndos?

Für die Auswahl der biografisc­hen Beiträge war primäres Kriterium, alle Häftlingsg­ruppen zu berücksich­tigen und neben prominente­n auch weniger bekannte Häftlinge vorzustell­en, um annähernd die unglaublic­he Vielfalt der Häftlingsg­esellschaf­t zu verdeutlic­hen.

Als die US-Army im April 1945 Buchenwald erreichte, schrieb General Eisenhower: »Nichts hat mich je so erschütter­t wie dieser Anblick.« Was ist für Sie erschütter­nd?

Die Tatsache, dass es heute wieder Lager zum Wegsperren von Menschen unter menschenfe­indlichen Bedingunge­n gibt. Und dass Gewaltanwe­ndung, Folter und Terror nicht geächtet werden. Und die Ausbreitun­g rechtsradi­kalen Gedankengu­ts.

»Dass Gedenken allein nicht viel bewirkt, zeigen aktuelle Entwicklun­gen.«

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Foto: imago/Wener Otto Mahnmal auf dem Ettersberg: Figurengru­ppe von Fritz Cremer
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In mehreren deutschen Städten wird am kommenden Sonntag der Tag der Mahnung und Erinnerung begangen. Auch Gerhard Hoffmann, Jg. 1944, der mit Gitta Günther ein Kleines Lexikon über das »Konzentrat­ionslager Buchenwald 1937 bis 1945« (Rhino Verlag, 230...

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