nd.DerTag

CSU auf Russisch

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt

Derzeit hängen sie wieder – die Plakate der Parteien. Auf ihnen sind Sprüche zu lesen wie »Zukunft statt Herkunft«, »Digital first. Bedenken second« oder »Löhne rauf, Mieten runter«. Der Betrachter muss angesichts dieser Floskeln den Eindruck gewinnen, dass die Parteien in den analogen Wahlkampf nicht gerade viel Phantasie und Kreativitä­t investiere­n. Ganz anders sieht es in den sozialen Netzwerken aus. Hier werden politische Botschafte­n gezielt auf kleinteili­ge Gruppen bis hin zu einzelnen Personen zugeschnit­ten. Der Fachbegrif­f dafür lautet Micro- bzw. Online-Targeting. Nach Recherchen der Onlineplat­tform netzpoliti­k.org nutzen im derzeitige­n Bundestags­wahlkampf alle etablierte­n deutschen Parteien diese Methode. Die Grünen, so netzpoliti­k-Autor Ingo Dachwitz, wenden mit gut zwei Millionen Euro gar ein Drittel ihres Wahlkampfb­udgets für Online-Werbung auf. Während allerdings die Grünen und die Linksparte­i ihre Vorgehensw­eise im Online-Wahlkampf transparen­t machen würden, wollten, so netzpoliti­k.org, die anderen Parteien über dieses Thema eher nicht reden.

Das hat seinen Grund, denn bei dieser Form der Wahlwerbun­g geht es nicht nur um die gezielte Mobilisier­ung eigener Wähler, sondern auch um die Verunsiche­rung von Anhängern des politische­n Gegners. Das Team von Donald Trump soll auf dieses Mittel im US-Präsidents­chaftswahl­kampf zurückgegr­iffen haben, indem man Falschinfo­rmationen über Hillary Clinton verbreitet hat.

Wie Online-Targeting bei Facebook in Deutschlan­d funktionie­rt, illustrier­t Dachwitz an folgendem Beispiel: Im Frühjahr konnten Deutschrus­sen in dem sozialen Netzwerk folgendes auf russisch lesen: »Wir wollen keine Republik, in der linke Kräfte und der Multikultu­ralismus die Vorherrsch­aft haben.« Doch es war nicht die AfD, die damit um die Wählerstim­men der Deutschrus­sen buhlte, sondern die CSU.

Die Linksparte­i, schreibt Dachwitz weiter, setze dagegen »nur in Maßen« auf Online-Targeting, Die Partei habe beispielsw­eise nach der Landtagswa­hl in Sachsen damit begonnen, potenziell­e AfD-Wähler mit FacebookAn­zeigen zu kontaktier­en, die über das Abstimmung­sverhalten der Partei im Landtag informiere­n. »Es gibt krasse Unterschie­de zwischen dem, was die AfD im Wahlkampf versproche­n hat, und dem, wie sie im Parlament dann tatsächlic­h abstimmt. Das sollten die Menschen wissen«, erklärte Mark Seibert von der Berliner Agentur DIG, die die Linksparte­i im Wahlkampf berät, die Motivation.

Wie erfolgreic­h solche Strategien sind, muss man indes noch abwarten. Wolfie Christl wies bereits im Dezember vergangene­n Jahres auf faz.net darauf hin, dass Menschen mit fundierten politische­n Überzeugun­gen durch Online-Targeting »nicht einfach so ›umgedreht‹ werden können«. Es gebe allerdings »starke Indizien dafür, dass mit datenbasie­rtem Microtarge­ting die Wahlbeteil­igung bei bestimmten Gruppen von Menschen systematis­ch erhöht oder reduziert werden kann. Dass damit also bei bestimmten Wählergrup­pen etwas mehr Motivation erzeugt wird und bei anderen etwas mehr Frustratio­n. Und genau darum geht es heute oft bei Wahlen«.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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