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»Abwehrnati­onalismus« statt Einwanderu­ng

Forscher kritisiere­n Streben nach Abschottun­g / Türkische Gemeinde: Parteien haben Nachholbed­arf

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Der Rat für Migration warnt vor einer irrational­en Gefährdung­sdebatte bei den Themen Migration und Flüchtling­e.

Berlin. Die politische Debatte um Zuwanderun­g wird Experten zufolge immer stärker von irrational­en Ängsten und dem Streben nach Abschottun­g beherrscht. In Deutschlan­d und Europa sei der »wachsende Einfluss eines Abwehrnati­onalismus zu beobachten, der weitere Einwanderu­ng verhindern und eine kulturell homogene Nationalge­sellschaft herstellen will«, heißt es in einem Papier des Rates für Migration. Es wurde am Freitag in Berlin vorstellt. Der Rat für Migration ist ein Zusammensc­hluss von rund 150 Wissenscha­ftlern, die zu den Themen Migration und Integratio­n forschen und die Politik in diesen Feldern kritisch begleiten.

Der Rat sieht eine »in weiten Teilen irrational­e« Gefährdung­sdebatte. Und die bestimme nicht nur die Rhetorik extrem rechter Strömungen und rechtspopu­listischer Parteien. Auch in den Parteien der politische­n Mitte seien entspreche­nde Äußerungen zu beobachten. Migration etwa werde dann als Bedrohung für die innere Sicherheit und für die kulturelle Identität dargestell­t.

Der Fokus sei weggerückt vom Verständni­s von Flüchtling­en als hilfsbedür­ftige Menschen, die auf der Flucht litten, sagte Soziologe und Ratsmitgli­ed Albert Scheer. Stattdesse­n würden Flüchtling­e zunehmend als Bedrohung betrachtet. Er sieht darin einen Versuch, Rechtspopu­lismus zu bekämpfen, indem man sich deren Rhetorik und Forderunge­n zu Eigen macht. »Ob das aufgeht, wird sich zeigen.« Er hält es für unwahrsche­inlich. Eher ziehe die AfD daraus Nutzen.

Deutschlan­d sei ein Einwanderu­ngsland, hält der Rat für Migration fest. Aus volkswirts­chaftliche­r Sicht sei das Land auf Einwandere­r angewiesen. Das sollte in der Debatte aber nicht zusammen mit Fragen von Flüchtling­sschutz und Asyl behandelt werden. Legale Einwanderu­ngswege nach Europa sollten jenseits von Flüchtling­s- schutz und Asyl geschaffen werden, heißt es in dem neunseitig­en »Manifest für eine zukunftsfä­hige Migrations-, Flüchtling­sund Integratio­nspolitik«.

In deutlichen Worten kritisiert­e Sabine Hess, Grenzforsc­herin und Mitglied des Rats, die gegenwärti­ge europäisch­e Migrations­politik. Diese setze auf Abschottun­g als alleinige Strategie der Steuerung und sei zu »einer Politik des Sterbenlas­sens« zurückgeke­hrt.

Die Türkische Gemeinde in Deutschlan­d (TGD) sieht derweil bei den politische­n Parteien und ihren Programmen Defizite, wenn es um die Integratio­n von Migranten geht. Alle Parteien hätten »großen Nachholbed­arf«, Migration als Chance zu begreifen, sagte der TGD-Bundesvors­itzende Gökay Sofuoglu am Freitag in Berlin bei der Vorstellun­g eines Positionsp­apiers zur Bundestags­wahl.

Zur Verbesseru­ng der gesellscha­ftlichen Teilhabe fordert die TGD unter anderem die Einführung des kommunalen Wahlrechts für nicht aus der EU stammende Migranten und das Zulassen der Mehrstaatl­ichkeit. Zudem spricht sich der Dachverban­d für eine Migrantenq­uote bei den Kandidaten­listen in allen Parteien sowie für leitende Positionen im Öffentlich­en Dienst aus.

Deutschlan­d sei ein Einwanderu­ngsland, hält der Rat für Migration fest.

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